[rak-list] Re: Rezension von Frau Wiesenmüller zur RDA-Übersetzung

Armin Stephan armin.stephan at augustana.de
Fre Jan 10 10:20:25 CET 2014


Lieber Herr Berger,

Sie sollten nicht allzu schlecht von uns langweiligen und 
rückwärtsgewandten Bibliothekaren denken. Ich bin wirklich der Letzte, 
der Entwicklungen im Bereich des Retrievals im Wege stehen wollte durch 
Festschreibung antiquierter Verfahren, habe mich schon vor Jahrzehnten 
dafür ausgesprochen, dass Programmierer von Bibliothekssoftware und 
Bibliothekare mehr lernen sollten z.B. von ihren Kollegen in der 
Programmierung von Dokumentationssystemen.

Ich gehöre allerdings nicht zu denjenigen, die sich dem Credo 
verschrieben haben, dass man mit hinreichender Technik alles irgendwie 
finden kann. Die Erfahrung hindert mich daran, mich zu diesem Credo zu 
bekehren.

Ich bin vielmehr der Überzeugung, dass man ein Retrievalwerkzeug wie 
jedes Werkzeug möglichst gut kennen und beherrschen muss, um damit 
effizient umgehen zu können. Damit dieses Kennen überhaupt möglich wird, 
muss nachvollziehbar sein, was es wie tut. Das - für den Bereich von 
Bibliothekskatalogen - niederzuschreiben, ist für mein Dafürhalten eine 
bibliothekarische Kernaufgabe.

Ein Regelwerk ist natürlich kein statisches Produkt. Selbstverständlich 
muss es Entwicklungen berücksichtigen und sich selber weiter entwickeln. 
(Gelegentlich werden die für nötig erachteten Entwicklungsschritte sogar 
so groß, dass man es für angebracht hält, ein ganz neues Regelwerk zu 
kreieren. Geschichtlich neu am RDA-Einführungsprozess ist allerdings, 
dass es bei der Entscheidung für RDA gerade nicht um den Aspekt der 
RegelwerksWEITERentwicklung ging, die Regelwerksweiterentwicklung wurde 
ja sogar zugunsten des RDA-Entscheidungsprozesses für mehr als ein 
Jahrzehnt ausgesetzt, sondern um das Paradigma Internationalisierung.)

Deshalb ärgert es mich ja auch so, dass es in RDA noch etliche Relikte 
gibt, die eindeutig aus der Zeit des Kartenkataloges stammen (weil die 
AACR chronologisch dem Kartenkatalog deutlich näher standen als die RAK) 
und in einer EDV-Umgebung einfach nichts mehr verloren haben. Mindestens 
das hätte man in einem NEUEN Regelwerk doch gerne anders gesehen. Über 
die Details der EDV-Umgebung brauchen wir an dieser Stelle noch gar 
nicht zu reden.

A propos Credo. Ich verrate Ihnen an dieser Stellemein persönliches 
Credo in Sachen Retrieval. Es stammt von einem Werbeprospekt, den ich 
vor Jahrzehnten zufällig in der Hand hatte. Die meisten Systemanbieter 
werben ja mit Sprüchen wie "Mit unserem System finden Sie alles!". Bei 
genauerer Betrachtung eher ein Alptraum als ein Traum. (Den allerdings 
Google vorbildlich vorlebt.)Wer will in Wirklichkeit schon ALLES finden?

Auf besagtem Werbeprospekt stand der etwas umständliche, aber treffende 
Slogan:

"Du findest, was Du suchst. Und nur das. Und das ganz."


Am 10.01.2014 08:44, schrieb Bernhard Eversberg:
> Am 09.01.2014 16:46, schrieb Thomas Berger:
>
>> Mir ging es in meinem Beitrag von vorhin vor allem um die
>> Parallele, dass hypertrophe Ansetzungsregeln einer known-item-
>> search dieselben Probleme bescheren koennen, die man eigentlich
>> nur bei der thematischen Suche erwartet hat: Das Bestreben
>> nach besseren "Ansetzungen" kreiert ein deskriptives Vokabular
>> der normierten Personenansetzungen und normierten Titelfassungen,
>> das schnell zu weit von meinem Kenntnisstand ueber das fragliche Item
>> abweicht um noch verlaessliche Zugriffe zu garantieren.
>>
> Heißt das, Sie plädieren für Wischiwaschi-Ansetzungen, weil man
> die besser intuitiv erraten kann? Oder was genau schlagen Sie
> konstruktiv vor?
> Die Ansetzung ist doch nicht alles. Mit "verläßlicher Zugriff" ist
> nicht gemeint, daß sich das System auf meine präzise Kenntnis der
> Ansetzung verlassen können sollte, sondern Ansetzung dient der
> Zusammenführung des Zusammengehörigen. "Diente", können Sie zwar sagen,
> denn heute sollte das eine URI leisten. Ja, aber die muß man auffinden,
> die kann der Nutzer gleich gar nicht erraten. Und das Auffinden muß eine
> Software unterstützen, die dazu nicht allein die Ansetzung heranzieht,
> sondern auch die anderen erfaßten Namensformen, etwa die Vorlageform,
> und geschickte Algorithmen oder, horribile dictu, alphabetische
> Register zum Auswählen des richtigen Namens, falls jemand so etwas noch
> will. (Können wir fordern, daß er das *nicht* wollen sollte?)
>
>
>> Und, bei einer thematischen Suche (warum nicht ueber Titelstichworte)
> Diese zündende Idee hatte man schon in Bochum ab 1970, und ich selber
> babe als Student dort den KWOC-Katalog am meisten genutzt und geschätzt.
> In Bochum aber erkannte man auch bald die Fußangeln und Fallstricke,
> die den Stichwortzugriff als verläßlichen Sachzugriff disqualifizieren.
> Und man kam zur Verschlagwortung.
> Mit den heutigen ALL-Zugriffen über den Einwurfschlitz kombinieren
> wir doch längst beides, ohne noch irgendeinen Versuch, dem Endnutzer
> die Hinter- und Abgründe klarzumachen. Einen richtig guten Dienst
> tun wir damit aber nicht, eine richtige Profession sollte darüber
> hinausgehen können. Schaffen wir nicht, da haben Sie recht.
>
>> erwarte ich u.U. Genau Das Buch, weil ich naemlich wenig Zeit habe
>> und morgen schon ein Referat halten muss.
> Das können Sie gerne erwarten, aber 90%ig kriegen werden Sie's nicht
> mit noch so viel künstlichem Intelligenzaufwand. Damit bleibt immer
> ein nicht unsignifikanter Rest. Aber nochmals: es geht nicht um
> ein entweder-oder, wir können zusätzlich neue Techniken einsetzen
> und tun das bereits. Weisen Sie schlüssig nach, daß das reicht, und wir
> sind sofort bei Ihnen.
>
>> Und bei der known-item-
>> search (gerne ueber Titelstichworte)
> Auch das machen wir ständig, stillschweigend davon ausgehend, daß
> wir die richtige Schreibweise wissen. Gerade für die Behandlung der
> Titelstichwörter brauchen wir Indexierungsregeln, wie es die zitierte
> KOBV-Studie vorgeschlagen hat. Und auch damit ist nicht alles
> erschlagen.  Schauen Sie mal als Beispiel, wie viele Einträge Sie unter
> "selbstständig?" bzw. "selbständig?"  finden, oder unter "demograf?"
> bzw. "demograph?" oder sonst was mit "graph" bzw. "graf?" oder
> "...potenzial?" bzw. "...potential?". Marginalitäten? (Und das
> ist jetzt kein Argument für Indexierungsregeln, sondern gegen die
> Verläßlichkeit des Stichwortzugriffs.)
>
>> ... bin ich gerne bereit, mehrere
>> Treffer zu akzeptieren und sogar, dass das Item, das ich im Sinn
>> hatte, gar nicht darunter ist: Ich darf mich doch umentscheiden
>> und beschliessen, dass ich auch die deutsche Uebersetzung oder
>> die neueste Auflage nutzen will, ...
> Alles völlig unbestritten und hier nicht das Thema, wie Sie dann
> selber zugeben:
>
>>
>> Aber zurueck zum Thema: Wenn ich vorhin "eindimensional" gedacht
>> habe, wie Sie mir vorwarfen, dann lag es daran, dass ich zugegebener-
>> massen dem FISO-Ansatz zu sehr verhaftet bin, und /nur/ Dinge
>> im Sinn hatte, die als known-item-search in einem leicht erweiterten
>> Sinn anzusehen sind. Und auch dort - ich wiederhole mich - laufen
>> Ansetzungen und Indexierungsregeln Gefahr, Teil des Problems
>> zu werden, zu dessen Abschaffung sie angetreten sind.
>>
> Also keine Indexierungsregeln, basta? Oder andere? Werden Sie mal
> konkret und konstruktiv.
>
> Aber berücksichtigen Sie, daß wir hier nur Scheingefechte führen.
> Die Weichen stellen andere. Die Politik hat Sachzwänge gesetzt,
> der Kurs ist alternativlos.
>
> B.E.
>
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