[rak-list] Re: Rezension von Frau Wiesenmüller zur RDA-Übersetzung

Armin Stephan armin.stephan at augustana.de
Don Jan 9 10:03:21 CET 2014


Liebe Frau Wiesenmüller, lieber Herr Eversberg,

nachdem die Rollen unter Ihnen beiden nun (wie ich finde richtig) 
verteilt sind, ein paar Sätze zur Normierung von Verlagen und generell 
zur Relevanz von A-Aspekten aus meiner Perspektive:

Wir arbeiten in unserer Bibliothek mit einem Bibliothekssystem, das 
schon seit geraumer Zeit die Option bietet, "Normdatensätze" für Verlage 
anzulegen.

Manche Anwender des Systems tun das, wir tun es nicht. Witziger Weise 
gibtes dann sogar noch eine dritte Gruppe, die Normdatensätze für 
Verlage erfasst und dann noch zusätzlich die Vorlageform erfasst, um 
RAK-gerecht zu bleiben.

(Wir missbrauchen in unserer Praxis in gewisser Weise die Strukturen des 
Systems, indem wir in Normdatensätzen Vorlageformen erfassen ...)

Ein Regelwerk hat, wie Frau Wiesenmüller ja schon angedeutet hat, auch 
viel mitder Frage des Katalogisierungsaufwandes zu tun. Und ich denke, 
dass auch die Existenz von drei verschiedenen Anwendungsweisen unseres 
Bibliothekssystems letztlich von unterschiedlichen Einschätzungen des 
angebrachten Aufwandes abgeleitet ist.

Das Problem rührt ja nun überhaupt erst daher, dass, wie Herr Eversberg 
angemerkt hat, ein Datenfeld, das vom Regelwerk mit Blick auf den 
Kartenkatalog als Vorlagefeld gedacht war nun im EDV-Kontext plötzlich 
suchbar wird. Wir machen im Grunde zwei verschiedene Dinge mit demselben 
Feld, was ein massiver Verstoß gegen alle Grundsätze der 
Datenmodellierung in Datenbanksystemen ist.

Das Beispiel an sich mag nicht besonders bedeutungsvoll sein, aber es 
belegt Herrn Eversbergs These, dass es ein riesiges Versäumnis 
seitheriger Regelwerke ist (das man aber natürlich problemlos 
geschichtlich erklären kann), dass sie dem A-Aspekt im EDV-Kontext viel 
zu wenig Bedeutung schenken. (Dem A-Aspekt im Noch-nicht-EDV-Kontext 
haben sie dagegen ganz selbstverständlich Bedeutung geschenkt durch die 
Definition umfangreicher und exakter Sortierregeln.) Man muss sich  ja 
nur einmal vor Augen halten, dass die ganze Masse von Normdatensätzen, 
die aus unserer heutigen Katalogisierungspraxis überhaupt nicht mehr weg 
zu denken sind, quasi am Regelwerk vorbei entstanden sind. Die RAK 
kennen keine Normsätze, sondern gehen davon aus, dass eine 
Verweisungsform auf ein Kärtchen geschrieben wird, auf dem dann 
zusätzlich steht "s. Ansetzungsform".

Auch ich denke, dass RDA in dieser Hinsicht reichlich unausgegoren sind. 
Man hat zwar mit den "relations" ein gedankliches Konstrukt geschaffen, 
dass sehr viel, um nicht zu sagen alles möglich machen kann, bleibt aber 
unklar, wie die technische Umsetzung auszusehen hätte.

Die A-Aspekte, um diesen Terminus aufzugreifen, kommen auch in dem neuen 
Regelwerk entschieden zu kurz.

Nach meiner Überzeugung sollte es nicht - wie bisher - den Technikern 
und Programmierern überlassen sein, wie man was in unseren Katalogen 
finden kann, sondern es ist eine bibliothekarische (Kern!)-Aufgabe, das 
zu regeln. Man hat ja zu Zeiten des Kartenkataloges die Sortierregeln 
auch nicht den Herstellern von Karteischränken überlassen ... ;-)

Wenn Verlage als Beispiel ungeeignet sein sollten, weil man sich hier 
fragen darf, ob sie überhaupt als Suchaspekt von nennenswerter Bedeutung 
sind, so wenden wir uns als Beispiel einem anderen Element zu, bei dem 
diese Frage unzweifelhaft ist, den Personennamen.

Die technische Kernfrage, die sich in der Praxis heutiger 
Bibliothekssysteme vor allem abzeichnet, ist: Phrasen- oder 
Stichwortindexierung?

Es ist durchaus faszinierend zu sehen, welche Bandbreite an technischen 
Lösungen hier zu beobachten ist, unabhängig von Preis und Größe der 
verschiedenen Systeme. Selbst identische Systeme bieten in der konkreten 
Anwendung verschiedene Lösungsansätze, die spätestens beim Zusammenspiel 
solcher Systeme in einem Meta-Katalog wie dem KVK teilweise erstaunliche 
und keinesfalls wünschenswerte "Nebenwirkungen" haben.

Es würde jetzt zu weit führen, die verschiedenen Aspekte und gewollten 
und ungewollten Nebenwirkungen der unterschiedlichen technischen 
Umsetzung hier zu diskutieren, aber das Beispiel mag hoffentlich 
verdeutlichen, was ich damit meine, wenn ich sage, dass wir die 
Auffindbarkeit unserer Daten den Programmierern überlassen.

Es mag natürlich sein, dass an den entsprechenden Entscheidungen in der 
Systementwicklung und -konfiguration auch BibliothekarInnen beteiligt 
waren, aber offensichtlich war diese Beteiligung immer punktuell und hat 
einmal zu diesem und einmal zu jenem Ergebnis geführt.

Wir gründen Kommissionen und Arbeitsgruppen, um einheitliche 
Katalogisierungsregeln zu entwickeln, etablieren ein gewaltiges globales 
bürokratisches Redaktionsverfahren, um die weltweite einheitliche 
Katalogisierung zu erreichen und überlassen die alles entscheidende 
Frage der Auffindbarkeit und damit der Nutzung der mit größtem Aufwand 
erfassten Daten weitgehend dem Zufall, der einzelnen cataloging agency, 
einer Bibliothekssoftwarefirma oder wem auch immer.


Am 08.01.2014 17:04, schrieb Heidrun Wiesenmüller:
> Lieber Herr Eversberg,
>
>
>> Für den Verlag
>> immerhin hatte man im RAK2-Umfeld schon die Einführung einer
>> zusätzlichen normierten Namensform angedacht, denn anders ist da
>> kein verläßlicher Zugriff zu schaffen. Die Altdaten allerdings
>> sind eben Kraut und Rüben. In DublinCore u.a. gab es auch schon die
>> Vorstellung einer URI für die Verlagsangabe. Die RDA-Praxis ist
>> von Normierung an der Stelle weit entfernt.
>
> Würde ich so nicht sehen. In RDA gibt es zum einen ein Element für den 
> Verlagsnamen als Merkmal der Manifestation (also im Bereich 
> Beschreibung) und zum anderen die Möglichkeit, eine Beziehung zum 
> (vulgo: Eintragung unter) Verlag anzulegen. Gemäß der normalen Regeln 
> für solche Beziehungen macht man das entweder über einen Identifier 
> (z.B. die Identnummer eines Normsatzes) oder man erfasst den 
> Authorized Access Point (entspricht ungefähr der Ansetzungsform) für 
> den Verlag.
>
> Klar brauchen wir dann auch noch Normdaten für alle Verlage, und 
> natürlich wäre es zusätzlicher Aufwand, in jedem Fall die Beziehung 
> anzulegen. Aber abgedeckt ist es durch RDA tatsächlich.
>
>
>> Also warum tun Sie sich das an, dafür ein Lehrbuch zu schreiben,
>> mal ein ganz klein wenig überspitzt gefragt. Es ist bereits überholt.
>> Schreiben Sie einen wegweisenden, unbekümmerten Text frei vom Staub der
>> Jahrhunderte, "Katalogisierung im 21. Jahrhundert - ein Tagtraum".
>
> Das überlasse ich gerne Ihnen ;-)
>
> Ich habe zwar auch viele Träume in Sachen Erschließung (und träume 
> gelegentlich auch gerne öffentlich), aber mein Job besteht halt primär 
> darin, Katalogisierung zu lehren. Das kann ich schlecht unter 
> Ignorierung des jeweils gültigen Regelwerks tun. Und da scheint es mir 
> dann nicht auch ganz so abseitig, ein Lehrbuch dafür zu schreiben.
>
> Viele Grüße
> Heidrun Wiesenmüller
>
>

-- 

Mit freundlichen Gruessen
*Armin Stephan*
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