[Rda-info-liste] (Wiesenmüller) Fwd: Re: [Allegro] DNB Testdaten

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Don Jun 18 17:34:34 CEST 2015


Liebe Frau Wiesenmueller,

> Nach RDA ist es keine Seltenheit, dass ein Werk sowohl einen oder mehrere
> menschliche geistige Schöpfer als auch einen oder mehrere körperschaftliche
> geistige Schöpfer hat. Und in diesem Fall ist klar festgelegt, dass die (erste)
> Körperschaft als erster geistiger Schöpfer gilt, also (nach alter Terminologie)
> die Haupteintragung erhält. Das steht in RDA 6.27.1.3 Ausnahme (vgl. Lehrbuch S.
> 80). Wenn also die SUB Hamburg hier geistiger Schöpfer ist, dann muss sie auch
> in MARC 110 stehen und nicht in 710.

Ah, den blauen Einschub zur Ausnahme hatte ich uebersehen, bin mir aber
sicher, dass ich ich ihn ohne Ihre Hilfe falsch verstanden haette: D.h. selbst
wenn erkennbar eine Person die Hauptverantwortung traegt, wird sie wegen der
Ausnahme /stets/ von der erstgenannten Koerperschaft "ueberholt" werden.


> Die Regeln, wann eine Körperschaft geistiger Schöpfer ist (RDA 19.2.1.1.1), sind
> schwierig genug. Ich glaube, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir sie durch
> weitere diffizile Unterscheidungen noch mehr verkomplizieren. Ich kann keinen
> Grund erkennen, warum die Beschreibung eines Handschriftenbestands einer
> Institution nicht unter 19.2.1.1.1 a) iii) fallen sollte: Es werden doch die
> "Ressourcen" (gemeint: der Besitz) der Körperschaft behandelt, und als Beispiele
> sind in der Regelwerksstelle explizit auch Kataloge aufgeführt. Und das Werk ist
> auch "administrativ" (in dem etwas merkwürdigen Verständnis von RDA), da der
> Handschriftenkatalog natürlich auch von der Körperschaft selbst benutzt wird.

Das ist - pardon - als waere bei jedem "Luftbildatlas Deutschland" die
Bundesrepublik der Hauptverfasser in MARC 110, zumindest wenn wir unterstellen
koennen, dass dieses Coffe-Table-Book von irgendeiner Bundesbehoerde zur
Verschoenerung des Wartebereichs vor dem Chefzimmer angeschafft worden ist
(die hoechst aesthetisch abgebildeten Felder, Wiesen und Sonnenuntergaenge
ueberm See sind ja die "Assets").

Bei der Dissertation ist die amtliche Verwendung sonnenklar, die
Handschriftenabteilung erbittet ohnehin stets ein Belegexemplar und wird
das in die Handbibliothek stellen.
Auch die Mitarbeiter der SUB werden das Werk benutzen, theoretisch sogar
fuer administrative Belange (sollte eine der Handschriften geklaut oder
zerstoert werden, ist es wichtig eine Beschreibung zu haben)


> Das einzige, was man vielleicht in Frage stellen könnte, ist, ob auch die
> Voraussetzung erfüllt ist - dass das Werk von der Körperschaft stammt (wegen des
> Charakters als Dissertation). Es gibt im Rahmen der AG RDA seit kurzem eine
> Themengruppe "Körperschaften als geistige Schöpfer"; wir können uns den Fall da
> nochmal ansehen.
>
> Zur Beziehungskennzeichnung "Verfasser/-in" für eine Körperschaft, die geistiger
> Schöpfer ist: Ich fand das anfangs auch etwas gewöhnungsbedürftig, aber es ist
> von der Definition her absolut abgedeckt - "eine Person, eine Familie oder eine
> Körperschaft, die für die Schaffung eines Werks verantwortlich ist, das im
> Wesentlichen aus Text besteht (...)." Und was sollte man denn sonst nehmen?

Die Institution ist Schoepfer im Sinne von Bestandsbildner der von ihr
selbst angelegten Sammlungen (da haenge ich die Latte gerne niedrig,
irgendwann hat sich aus Zufaelligkeiten so viel von einem Material
angesammelt, dass ein staerker zielgerichteter Prozess des aktiven
Weitersammelns und auch eine Verantwortlichkeit fuer den Erhalt
entstehen).

Die konkrete Sammlung (oder ein Teil davon) ist nun /Gegenstand/ einer
Beschreibung (durch Text, ggfls. durchsetzt mit Textzitaten oder
reproduzierenden Abbildungen), vermutlich ist diese Beschreibung
entsprechend der Struktur des Beschriebenen untergliedert, d.h.
man kann darin auch Einzelbeschreibungen von einzelnen Objekten
erwarten, gehen wir aber einmal davon aus, dass die beschreibenden
Texte fuer sich stehen koennen und eine Schoepfungshoehe haben,
also nicht nur Aufzaehlungen oder Bildunterschriften sind.

Logisch waere nun eigentlich, die Werk-Werk-Beziehung zwischen der
Beschreibung und der Sammlung herauszuarbeiten. Aus historischen
Gruenden fassen wir Sammlungen (auch von Schriftdenkmaelern als
Realia) aber nicht als Sammelwerke, sondern als Koerperschaften
auf. Die bzw. auch die dieser Pseudokoerperschaft "Cod. philol."
(s.u.) uebergeordnete Handschriftenabteilung sind aber zu
unberuehmt, insofern wird ersatzweise der Bestandsbildner genommen
(das finde ich in Ordnung), und dabei so getan, als gaebe es
keinen Unterschied zwischen der direkten Beteiligung am vorliegenden
Werk oder der indirekten (als "Schoepfer" des darin beschriebenen
Werks): Das raecht sich spaetestens dann, wenn "geistige Schoepfer"
(mitzudenken: des Werks "eins weiter") in "Verfasser" ummuenzt.

Ich denke, diese Indirektheit (zumal in Anwesenheit von direkt
an der Schoepfung des Textes beteiligten) muss auch bei der Bestimmung
der Hauptverantwortung mit einfliessen. Bei "sortenreinen" Bestands-
katalogen kann dabei durchaus immer noch die besitzende Koerper-
schaft die Haupverantwortung behalten, etwa wenn Reproduktionen
ueberwiegen oder Katalogredakteur, Textverfasser, Bearbeiter,
Kurator und andere Wendungen naheliegen, dass die Person(en)
auf die Expressionsebene umgeleitet gehoeren.

An der Vorbedingung "Werk ist bei der Koerperschaft entstanden"
wuerde ich hingegen wenig ruetteln, auch wenn wissenschaftliche
Bearbeiter sich vermutlich nicht mit Fotokopien und Scans
abspeisen lassen und daher tatsaechlich stets "vor Ort" arbeiten,
ist die Formulierung etwas ungluecklich. Von der Einordnung her
steht das Kriterium als Ersatz fuer die aktive Herausgeberschaft
der Koerperschaft, d.h. hier "gestattet" sie die Benutzung
ihrer Bestaende und "duldet" die Veroeffentlichung, fehlt eigentlich
nur noch das Imprimatur. Hier wird also evtl. eher dem "Besitz"
eines (als Sammlung qua definitionem) unikalen Bestandes Rechnung
getragen. Wenn das irrelevant ist, weil es Gesetze zur Zugaenglich-
machung gibt oder das Ganze sogar von der Institution selber "ins
Internet gestellt" wurde, sollte das aber moeglichst keinen
Unterschied fuer die Katalogisierung einer Beschreibung dieser
Bestaende machen.


> Die Beziehungskennzeichnung "Zusammenstellende/-r" im Lehrbuch sollte übrigens
> keine Herabwürdigung der Leistung von Frau Tinius sein. Dies ist ebenso eine
> Beziehungskennzeichnung für einen geistigen Schöpfer und nicht etwa nur für
> einen Mitwirkenden. Frau Horny und ich haben durchaus diskutiert, ob wir in
> diesem Fall "Verfasser/-in" oder "Zusammenstellende/-r" verwenden sollen. Wir
> haben uns dann auf eine Regel geeinigt, die u.E. einfach zu merken und zu
> unterrichten ist: "Zusammenstellende/-r" haben wir für alle Werke vom Typ
> Bibliografie/Wörterbuch/Verzeichnis/Katalog/Lexikon verwendet. Natürlich könnte
> man auch bei derartigen Werken wieder differenzieren und überlegen, ob
> "Verfasser/-in" besser geeignet ist, wenn die Einträge umfangreich sind. Aber
> dann muss wieder über jeden Fall einzeln nachgedacht werden... wollen wir das
> wirklich?

Dahinter sehe ich zunaechst das legitime Beduerfnis, neben kuenstlerischen,
literarischen und wissenschaftlichen geistigen Leistungen auch dem
Sammelwerk als Produkt zielgerichteter intellektueller Taetigkeit zu
seinem Recht zu verhelfen. Da haben wir also viele einzelne Teile, in
die das Werk zerfaellt und es stellt sich auch die Frage nach der
Schoepfungshoehe: Einzelne Woerterbucheintraege haben keine, dafuer sind
es meist viele, also ist das Zusammenstellen aufwendig. Bei Anthologien
oder Kongresschriften sind die Teile auch einzeln verwertbar und wenige
bis mittel-viele, der Beitrag des Zusammenstellenden wird als Herausgeber-
schaft zur Expression verlagert. Aber beim Veroeffentlichen eines Bands
meiner eigenen Gedichte oder komplett von mir verfasster Texte bin ich
doch zwar auch Zusammenstellender, aber doch vor allem Verfasser, denn
so wollen es doch die RDA, dass Goethe auch als "Verfasser" seiner
gesammelten Werke ist und Montaigne als der seiner Essays, nicht nur jedes
einzelnen, sondern eben auch den Gesamtheiten, die Herausgeber spaeter
daraus bilden!

Ich denke, die Crux Ihrer einfach-zu-merken-Regel ist, dass nicht alles,
wo "Katalog" oder anderes draufsteht, ein Katalog etc. in Ihrem Sinne
ist: Sobald die Einzeleintraege naemlich Schoepfungshoehe haben und als
eigene Werke gelten sollten, werden die Karten naemlich neu gemischt!


> Ihren Hinweis auf den hohen Bildanteil bei unserem "Altägypten"-Beispiel habe
> ich nicht verstanden, sorry. Die Entscheidung über die geistigen Schöpfer ist
> davon jedenfalls unabhängig.

Das ist jetzt klar: Ich dachte, der hohe Bildanteil sei der Grund, dass die
Verfasserin zur "Zusammenstellenden" tatsaechlich abgewertet wird und daher
die Koerperschaften zu Hauptverfassern werden und deswegen nach MARC 110
wandern.

D.h. beim vorliegenden Handschriften/katalog/ als Dissertation haetten Sie und
Frau Horny die Disserentin ebenfalls zur "Zusammenstellenden" erklaert. Lt.
<
http://www.sub.uni-hamburg.de/bibliotheken/sammlungen/sondersammlungen/handschriftensammlung/bestandsuebersicht.html
> handelt es sich um die
Signaturengruppe "Cod. philol." der SUB, und in der Tat gelten 127 der 333
als "verschollen", doch glaube ich nicht, dass die Bibliothek so desorganisiert
ist, dass es eine mit Doktorhut zu belohnende wissenschaftliche Leistung
war, die restlichen 206 Hss. aufzufinden und "zusammenzustellen" bzw.
zwischen griechisch und lateinisch zu unterscheiden.

viele Gruesse
Thomas Berger