[rak-list] Re: Rezension von Frau Wiesenmüller zur RDA-Übersetzung

Thomas Berger ThB at Gymel.com
Don Jan 9 14:01:47 CET 2014


-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----
Hash: SHA1

Lieber Herr Eversberg,

> Treffliche Maximen, wie sie dem Technokraten wohl im Munde ziemen.
> Sie denken damit eindimensional nur an die sachliche Suche, nicht an
> die gezielten Suchvorgänge, an "known item search" im weitesten Sinne.

Das bedeutet mir nichts: "Sachliche Suche" besteht darin, als
Benutzer das Vokabular der Beschreibungssprache zu antizipieren
und damit irgendwelche Datenbankanfragen zu versuchen. Das
hat seine eigenen Tuecken, denn selbst in Kenntnis des SWD-
Satzes bekomme ich zu oft keine Vorstellung davon, was
gemeint sein koennte, weil ich dummerweise nicht "M" oder
"B1996" neben dem Rechner stehen habe, um die Definition
zu erraten. Die Schlagwortansetzer hatten das, die Feld-Wald-
und-Wiesen-Erschliesser haben das gewiss nicht, d.h. selbst
wenn ich die genutzte Vokabel ermittelt habe /und/ mir deren
verborgene Bedeutung zu eigen gemacht habe, kommen doch
ueberwiegend Resultate "naiver Verschlagwortung", d.h. jemand
hat Titelstichworte in der SWD gesucht und die Treffer ohne
weiteres Nachdenken als RSWK-Erschliessung eingetragen. Das
kann bei klassifikatorischer Erschliessung genau so passieren
und ist dort ebenso aergerlich...

Und "known item search" heisst, dass ich mit sicher bin, dass
es (mindestens oder genau?) einen Treffer geben muss und so
lange nicht locker lasse, bis ich den aus der Datenbank
herausgekitzelt habe. Dabei hilft natuerlich die Kenntnis der
Beschreibungssprache und ihrer Regeln, in VIAF sollte ich
etwa tunlichst die Namen ohne "von" und andere Adelspraedikate
suchen, die werden zwar angezeigt, die unsichtbaren Nichtsortier-
Zeichen stoeren aber die Recherche. Dafuer brauche ich heutzutage
gluecklicherweise nicht mehr so oft darueber nachzudenken, welche
Theorie die jeweiligen Bibliothekare ueber den Pass der
betroffenen Person aufgestellt hatten, um die "korrekt" invertierte
Form des Namens als Input beizusteuern, da hilft mir die
Verstichwortung doch ungemein. Oder reden wir ueber Linked Data,
wo ich und der Katalog sich bereits vorab ueber Identitaeten
geeinigt haben und ich gar keine Recherche mehr ausfuehren
muss, sondern nur einen direkten Zugriff veranstalte?
< http://beacon.findbuch.de/seealso/pnd-aks?id=108172198&format=redirect >


Ansonsten suche ich nach einer /Person/ oder einem /Begriff/,
ob das von oder ueber die Person ist, von oder ueber Loenneberga,
verrate ich Ihnen erst, wenn es sein muss. Und wenn die Person
ein bildender Kuenstler ist oder fiktiv oder Loenneberga (auch)
ein Verlag, dann muessen mein Recherchekontext und die
bibliothekarische Art der Wissensorganisation (kuenstliche
Verfasserschaft bzw. die analogen RDA-Klimmzuege) ohnehin erst
einmal behutsam aufeinander abgestimmt werden.


> Solange nicht erwiesen ist, daß mit ihren Maximen diese Ziele
> einwandfrei erreichbar sind:
> -- Verläßliches Finden ermöglichen (und zwar schnell)
> -- Unterscheiden, was verschieden ist (und zwar möglichst automatisch)
> -- Zuammenführen, was zusammengehört (und zwar alles und *nur* das)
> -- Gefundenes überschaubar machen (und zwar logisch plausibel, nicht
>               algorithmisch und letztlich undurchschaubar)

Ich hatte keine Maximen formuliert, sondern nur aus der Lameng
versucht zu illustrieren, dass die technischen Vorgaenge oder
deren Unzulaenglichkeiten heutzutage nicht unbedingt auf eine
antike Dichotomie zwischen Phrasen- und Stichwortindexierung
zurueckfuehrbar sind.

Die von Ihnen aufgefuehrten Ziele halte ich auch fuer eminent
wichtig, ich bin aber ueberzeugt davon, dass man sie mit
Ansetzungsregeln (und dahinter geschalteten Indexierungsregeln)
nur bis zu einem gewissen Grad erreichen kann. Weitergehende
Versuche fuehren nicht nur zu immer komplexeren und komplizierteren
Regelwerken, sondern auch zu immer artifizielleren, immer
schwerer findbaren Resultaten, da hilft es auch nicht, wenn
Sie Sortierregeln vorgeben wie es die RAK taten (die hat
ueberigens /nie/ jemand vollstaendig in EDV-Umgebungen implemtiert)
oder Indexierungsregeln: Das fuehrt nur dazu, technische
Loesungen, die beim Erreichen der /Ziele/ helfen koennten,
einzuschraenken oder auszugrenzen. Die RAK waren vielleicht irgendwie
technologie-neutral gedacht, das ist - ich weiss nicht warum und
wie - aber in der Rezeption umgeschlagen und zum Schluss
verstand niemand mehr, wie das Regelwerk so lange bibliographische
Rechercheinstrumente und Normdaten etc. ausblenden konnte. Und
die Regeln sind ja auch so hermetisch, dass stets etwas herauskommt,
fuer das man nur eine Schreibmaschine und ein IBF-Kaertchen
als Technologie benoetigt. Den Fehler sollten wir also nicht
noch einmal machen.


>> Das ist der Knackpunkt. Fuer mein Dafuerhalten genuegt es, wenn sich
>> Frau Wiesenmueller um die Durchdringung der RDA-Ansetzungsregeln fuer
>> Koerperschaften kuemmert, dann braucht es /niemand/ sonst zu tun:
> 
> Da sind wir konform. Ich meine darum, daß die meisten Bibliotheken
> deshalb auf eigenes Studium und Zugriff auf RDA werden verzichten
> können. Nur die Normschaffenden werden so etwas brauchen. Das Konzept
> von VIAF allerdings war ja entstanden, um eine globale Einheitlichkeit
> eben nicht herbeiführen zu müssem, d.h. den nationalen Communities
> das Aufgeben ihrer bewährten Usancen zu ersparen. Bis auf, zugegeben,
> die Entitätenfrage bei den Körperschaften. So weit war die RAK2-
> Entwicklung aber schon gediehen gewesen. Hoochwichtig aber eben auch
> nicht: die Suchanfragen nach Körperschaften liegen unterhalb SEHR
> niedriger Schranken. Personennamen liegen dagegen an dritter Stelle.

Vorsicht: Ich bezog mich nur auf Ansetzungsregeln im engeren
Sinne, da bleiben noch genuegend viele wichtige Dinge uebrig,
die ein Regelwerk regeln kann und auch regeln muss, und wo auch
Internationalisierung ein wichtiges Ziel ist. Das sind nicht nur
die Entitaeten, ihre Abgrenzung voneinander (nicht alles ist so
einfach wie eine "Person") und die Kernelemente deren Beschreibung,
sondern auch die Aspekte der eigentlichen Objekte (wo waeren wir
ohne die internationale terminologische Vorarbeit durch ISBD
und ICCP). Und recht neu ist die Ansicht, dass man sich um
die Bezuege all dieser Entitaeten untereinander zu kuemmern hat,
traditionell waren ja Verfasserschaft oder Thema einfach nur
Attribute, die einer konkreten Beschreibung zugeordnet wurden
und fuer die Zusammenfuehrung von Werken und Ausgaben brauchte
es angeblich nur den EST, der so laessig angesetzt werden konnte,
dass es dafuer noch nicht einmal Normdaten bedurfte...

viele Gruesse
Thomas Berger

-----BEGIN PGP SIGNATURE-----
Version: GnuPG v1
Comment: Using GnuPG with Thunderbird - http://www.enigmail.net/

iJwEAQECAAYFAlLOnbsACgkQYhMlmJ6W47MHagP+I/hBa9+bkQB3hx8WDCROCbjB
80JyQwHGlt4cr7tuRYdr6MeUQllaV6TBJYHk7dF5Kt4+2VFkeCu5aDEws24zVHCv
fY+BxWSzjbeHXAKLh9Ehzf/YHXFTBab+6PmXhpZV/Sos0j6f9G1clKFfHgt6MdkW
mPuDZUU+TJAvyMBuDOE=
=sad8
-----END PGP SIGNATURE-----