[rak-list] Re: Rezension von Frau Wiesenmüller zur RDA-Übersetzung

Thomas Berger ThB at Gymel.com
Don Jan 9 11:23:32 CET 2014


-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----
Hash: SHA1

Lieber Herr Stephan,

ich wollte eigentlich ins gleiche Horn tuten, aber von der
anderen Seite?

Am 09.01.2014 10:03, schrieb Armin Stephan:
> Liebe Frau Wiesenmüller, lieber Herr Eversberg,
> 
> nachdem die Rollen unter Ihnen beiden nun (wie ich finde richtig) verteilt sind,
> ein paar Sätze zur Normierung von Verlagen und generell zur Relevanz von
> A-Aspekten aus meiner Perspektive:
...
> Auch ich denke, dass RDA in dieser Hinsicht reichlich unausgegoren sind. Man hat
> zwar mit den "relations" ein gedankliches Konstrukt geschaffen, dass sehr viel,
> um nicht zu sagen alles möglich machen kann, bleibt aber unklar, wie die
> technische Umsetzung auszusehen hätte.

Stellen Sie sich vor, bereits die PI haetten auch diesen Aspekt
geregelt, wir duerften vermutlich selbst heute noch gar keine
Computer benutzen!


> Nach meiner Überzeugung sollte es nicht - wie bisher - den Technikern und
> Programmierern überlassen sein, wie man was in unseren Katalogen finden kann,
> sondern es ist eine bibliothekarische (Kern!)-Aufgabe, das zu regeln. Man hat ja
> zu Zeiten des Kartenkataloges die Sortierregeln auch nicht den Herstellern von
> Karteischränken überlassen ... ;-)
> 
> Wenn Verlage als Beispiel ungeeignet sein sollten, weil man sich hier fragen
> darf, ob sie überhaupt als Suchaspekt von nennenswerter Bedeutung sind, so
> wenden wir uns als Beispiel einem anderen Element zu, bei dem diese Frage
> unzweifelhaft ist, den Personennamen.
> 
> Die technische Kernfrage, die sich in der Praxis heutiger Bibliothekssysteme vor
> allem abzeichnet, ist: Phrasen- oder Stichwortindexierung?

War das nicht eine Frage in den 1990er Jahren, die durch aktuelle
Entwicklungen ziemlich sinnlos geworden ist? Volltextsuchmaschinen
versuchen durch linguistische Operationen und Gewichtung von Feldern
die Beschraenkungen von (womoeglich eng datenfeldbezogenen) Indizes
aufzubrechen und anhand von - durchaus unscharfen und fehlertoleranten -
Uebereinstimmungen mit der Suchanfrage die Ergebnisse zu ranken. Und
sie versuchen anhand einer on-the-Fly-Analyse der produzierten
Ergebnisse dem Benutzer korrektur- und Verfeinerungsmoeglichkeiten
anzubieten: Recherche wird dadurch zu etwas prozesshaftem und sollte
nicht reduziert werden auf eine punktuelle Konfrontation Mensch vs. Index


> Es ist durchaus faszinierend zu sehen, welche Bandbreite an technischen Lösungen
> hier zu beobachten ist, unabhängig von Preis und Größe der verschiedenen
> Systeme. Selbst identische Systeme bieten in der konkreten Anwendung
> verschiedene Lösungsansätze, die spätestens beim Zusammenspiel solcher Systeme
> in einem Meta-Katalog wie dem KVK teilweise erstaunliche und keinesfalls
> wünschenswerte "Nebenwirkungen" haben.

Daher sind solche Ansaetze der "verteilten Suche" auch nicht mehr wirklich
en vogue: Nicht nur dass sie schlecht skalieren und ueberhaupt fuer heute
Ansprueche kritisch langsam sind, sondern sie (egal ob auf nativen Interfaces
wie beim KVK oder auf scheinbar streng normierten Modellen wie Z39.50 oder SRU
aufsetzend) schaffen es tatsaechlich auf Grundlage eigentlich recht
einheitlicher Daten vorhandene Uneinheitlichkeiten der Systeme und Indexierungen
zu verstaerken...


> Es würde jetzt zu weit führen, die verschiedenen Aspekte und gewollten und
> ungewollten Nebenwirkungen der unterschiedlichen technischen Umsetzung hier zu
> diskutieren, aber das Beispiel mag hoffentlich verdeutlichen, was ich damit
> meine, wenn ich sage, dass wir die Auffindbarkeit unserer Daten den
> Programmierern überlassen.

Solange es "unsere" Programmierer sind, duerfte das der Auffindbarkeit
der Daten zugute kommen. Bei uns. Die wir ja im direkt von uns
kontrollierten Bereich die Interfaces und damit auch Nutzungsparadigmen
vorgeben. Das KVK-Beispiel zeigt, dass es Verlust gibt, wenn man
"uebergreifende" Operationen versucht. [Vergleich der Rohdaten diverser
Bibliotheksverbuende zeigt, dass auch bereits die Datenmodellierungen und
sogar RAK-Interpretationen voneinander abweichen]. Mittlerweile ist es
aber sogar zum Ziel geworden, dass "unsere" Daten als solche die
Domaene des Bibliothekswesens verlassen koennen duerfen, derart in die
freie Wildbahn entlassen werden sie gewiss und fern unserer Kontrolle auf
Daten aus anderen Bereichen treffen, die ganz anderen Gesetzmaessigkeiten
unterliegen, dort sollen sie /nuetzlich/ sein (das ist auch unser Anspruch).


> Es mag natürlich sein, dass an den entsprechenden Entscheidungen in der
> Systementwicklung und -konfiguration auch BibliothekarInnen beteiligt waren,
> aber offensichtlich war diese Beteiligung immer punktuell und hat einmal zu
> diesem und einmal zu jenem Ergebnis geführt.
> 
> Wir gründen Kommissionen und Arbeitsgruppen, um einheitliche
> Katalogisierungsregeln zu entwickeln, etablieren ein gewaltiges globales
> bürokratisches Redaktionsverfahren, um die weltweite einheitliche
> Katalogisierung zu erreichen und überlassen die alles entscheidende Frage der
> Auffindbarkeit und damit der Nutzung der mit größtem Aufwand erfassten Daten
> weitgehend dem Zufall, der einzelnen cataloging agency, einer
> Bibliothekssoftwarefirma oder wem auch immer.

Das ist der Knackpunkt. Fuer mein Dafuerhalten genuegt es, wenn sich
Frau Wiesenmueller um die Durchdringung der RDA-Ansetzungsregeln fuer
Koerperschaften kuemmert, dann braucht es /niemand/ sonst zu tun: In
der Praxis muss ich die Entitaet identifizieren, erst einmal durch
Studium der Vorlage auf den Trichter kommen, dass da etwa ein
Uni-Institut relevant beteiligt ist, dann aber nicht "ansetzen",
sondern in einer relevanten Normdatei ausfindig und diese
Zuordnung dann in meinen Daten manifest machen. Anschliessend kann ich
dann nach Belieben Zeichenketten durch die Gegend schaufeln, wobei
ich vor allem darauf achten muss, die durch die Vorlage gegebene
Evidenz nicht voellig zu verhunzen. "Selbstaendige Rechtsform" oder
"Mehrgliedrig angesetzt" kommt in solchen Ueberlegungen nicht vor,
ich /muss/ mich sogar davor hueten, denn sonst kommt uebermorgen
ein Historiker um die Ecke und lacht mich aus, weil ich offensichtlich
irgendwelche Unterschiede nicht mitbekommen habe, die die Entwicklung
von Hochschulen in gewissen Gegenden seit der Fruehen Neuzeit genommen
haben.

Im Zweifel ist der von mir gefundene Normdatensatz gemaess einem
veralteten Regelwerk angesetzt, aber dennoch "der richtige". Und
wenn ich keinen zum gegebenen Institut finde, ist es m.E. /im Geist/
aller Regelwerke, eine analoge Koerperschaft ausfindig zu machen
und eine moeglichst aehnlich strukturierte Ansetzung zu erzeugen.
[Das ist dann gewiss auch falsch, weil ein Praktiker vor Ort darauf
hinweisen kann, dass konkret dieses Institut aber eine subtil
andere Rechtsform hatte als jenes. Das ist aber u.U. ueberhaupt
nicht zielfuehrend, weil die fuer die Absegnung der Publikationen
zustaendigen Mitarbeiter des Instituts selber davon auch keine
wirkliche Ahnung hatten und daher in den Publikationen selber
oft Dinge im Impressum fortgeschrieben werden, die in der Form
gar nicht mehr stimmen...]

Also: Wann immer wir uns von der Vorlage loesen und die "Entitaeten"
der ausserbibliothekarischen Realitaet behandeln, also Personen,
Koerperschaften, Verlage etc., besteht unsere Arbeit aus intellektuellen
Prozessen, die stark vom jeweiligen Informationsstand ausgehen,
sicher ist dabei eigentlich nur, dass wir nie die "vollstaendige
Wahrheit" kennen werden. Zweck jeglicher Regeln kann dabei eigentlich
nur sein, Unterschiede im Ausgangswissen zu nivellieren, d.h. in
moeglichst vielen Erschliessungssituationen fuer dieselbe Ressource
zu gewaehrleisten, dass in etwa dasselbe Ergebnis herauskommt.
/Das/ Vehikel dafuer sind heutzutage Normdateien und nicht
"Ansetzungsregeln" - schliesslich ist nirgendwo in Stein gemeisselt,
dass das Ergebnis bibliothekarischer Arbeit stets und unbedingt
aus Zeichenketten zu bestehen hat. Und selbst Normdateien kann man
nicht beliebig universalisieren, es waere ein Fehler anzunehmen, dass
~eigentlich~ nur noch die Harmonsierung der Regelwerke zu leisten ist,
um LC-NAF und GND und dutzende weitere Normdateien aufzuloesen und
statt dessen VIAF in ein IAF umzuwandeln...

viele Gruesse
Thomas Berger

-----BEGIN PGP SIGNATURE-----
Version: GnuPG v1
Comment: Using GnuPG with Thunderbird - http://www.enigmail.net/

iJwEAQECAAYFAlLOeKQACgkQYhMlmJ6W47OWRwQApd9VcXCyqnOtjiqaTd/L7ynj
h7ufR7rvAc/DtdgLl+A743jRqIeFn50XXhp3mbyati40VRaAGAxkfShTkGCxOyso
EGgMG/LyXXIJpWG0WwNSho1xWRycUW5Ojpg6dAePpfEQDKTLoSV12fnTn83qIUng
9EdnE6CXYuOVDuA/7Zg=
=ZmNF
-----END PGP SIGNATURE-----