[rak-list] (no subject)

Thomas Berger ThB at Gymel.com
Don Feb 21 03:19:36 CET 2013


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Liebe Frau Payer,

ich finde die Gegenueberstellung enorm aufschlussreich.

> da sich jetzt ja alle in die RDA vertiefen müssen, habe ich versucht einer
> Auswahl von RAK-WB-Regeln zu Personennamen die entsprechenden Regeln der
> RDA zu zu ordnen und Beispiele zu bringen.
> Da ich mir bei einigen Lösungen recht unsicher bin, wäre es prima, wenn
> jemand sich das mal anschaut.
> Ich habe auch versucht, die Optionen und Alternativen, die das Regelwerk
> anbietet, mit einzubauen. Die Änderungen zur RDA vom 31.1.2013 habe ich
> beachtet, auch einige Festlegungen der Library of Congress.
> 
> Zu Grunde gelegt habe ich das entsprechende Kapitel meines RAK-WB-Skripts.
> Den Versuch findet man: http://www.payer.de/rda/rdapersonen.htm

Ich will einmal zusammenfassen, was ich bislang verstanden zu haben
glaube:

Die RAK bildeten Ansetzungen als Zeichenketten, bestehend aus der
normierten Namensform gefolgt von der eventuellen Ordnungshilfe,
bestand diese aus mehreren Teilen, galt eine bestimmte Reihenfolge
(Beinamen, ansonsten normierte Lebens- oder Wirkungsdaten, dann erst
Beruf etc. falls immer noch eine Unterscheidung noetig). Ein konkretes
Beispiel, wo die Ordnungshilfe mehr als eine Komponente enthaelt, ist
mir nicht gelaeufig.
RSWK-Ansetzungen, die einem Individualisierungszwang unterlagen, hatten
hier eine andere Reihenfolge, naemlich Beruf (sorry: Weite normierte
Berufs- oder Taetigkeitsbezeichnung), dann Lebensdaten falls weitere
Individualisierung erforderlich.

Die Individualisierungsrichtlinie von 2006 hat versucht, diesen
Knoten (unterschiedliche Vorzugsreihenfolgen der individualisierenden
Elemente je nach Verwendungskontext) zu zerschlagen. Wichtig ist dabei
vor allem, dass zur Person weitere *Daten* gesammelt werden, ohne dass
diese unbedingt, und insbesondere auch nicht zwingend vollstaendig und
in einer vorgeschriebenen Reihenfolge, auf die *Ansetzung* als
Zeichenkette durchschlagen. Ein Katalog kann also weiterhin mit "Schiller,
Friedrich ¬von¬" agieren, obwohl Lebensdaten, Beruf(e), Geschlecht,
Geburts-, Sterbe- und Wirkungsort bekannt sind.

Die RDA arbeiten nun einerseits die Namensbestimmung heraus und geben
die weiteren individualisierenden Datenelemente an, haben dann aber
in 9.19 Regeln, die die Reihenfolge bei der Bildung der Ansetzung
determinieren:
An den bevorzugten Namen (modifiziert durch diverse in 9.2.x
eingestreute Regeln, nicht nur zur Namensinvertierung) schliessen sich an
zwingend: 1. Titel (sofern vorhanden)
optional: 2. Lebensdaten, 3. aufgeloeste Initialen, 4. Wirkungsdaten
falls keine Lebensdaten, 5. Beruf/Taetigkeit

Bezueglich der Syntax, mittels der diese Bestandteile zur
Ansetzungszeichenkette zu kombinieren sind, scheint man allerdings
die Regeln nicht formuliert zu haben, die Beispiele zumindest im
deutschen Uebersetzungsentwurf sind uneinheitlich: ", Heiliger"
aber " (Geist)", Taetigkeiten wohl meist ebenfalls in runden Klammern.

Vgl. MARC21, Unterfelder werden ueblicherweise in alphabetischer
Reihenfolge erfasst und dargestellt?:

$a - Personal name (NR)
$q - Fuller form of name (NR)
$b - Numeration (NR)
$c - Titles and words associated with a name (R)
$d - Dates associated with a name (NR)
$g - Miscellaneous information (NR)
$j - Attribution qualifier (R)
$u - Affiliation (NR)

(ueblicherweise wird alles mit Komma aneinandergereiht, die sind
aber MARC-typisch im vorausgehenden Unterfeld explizit erfasst.
Zwischen Namen und Zaehlung eher keine Interpunktion, vollstaendige
Namen in runden Klammern)

Name $a und Zaehlung $b gehoeren nach RDA zum bevorzugten Namen (in seiner
erfassten Form), der Rest sind individualisierende Angaben die zur Ansetzung
beitragen.

Damit also etwa:
$a Augustinus, von Hippo ist der /bevorzugte Name/,
$c Heiliger ein /verpflichtendes/ Datenelement fuer die Ansetzung,
$d 354-430 ein optionales Datenelement

(in der deutschen Uebersetzung noch(?) ohne Beinamen, dafuer mit
religioesem Titel als
$a Augustinus
$c Heiliger, Bischof von Hippo
$d 354-430
)

oder

$a Napoleon
$b I.          (oder "I"?)
$c Frankreich, Kaiser   (oder "Kaiser der Franzosen"?)
$d 1769-1821


Interessant ist Ihr Louis-Ferdinand-Beispiel, nicht nur im Hinblick
auf die RDA sondern auch auf die existierenden Regelwerke: In Folge
des Endes der Monarchie in Deutschland waehlten die Mitglieder des
Hauses Hohenzollern den buergerlichen Nachnamen "Prinz von Preussen"
(bzw. "Prinzessin von Preussen" fuer die weiblichen Mitglieder),
wobei sie spaetestens dann den Namen "Hohenzollern" abgelegt haben
duerften. [Sie blieben aber "adelig", denn anders als in Oesterreich
wurde in Deutschland der Adel nicht abgeschafft, sondern nur seiner
Privilegien entkleidet]
Die von 1944 bis 1977 gelebt habende Person hiess also "Louis Ferdinand
Prinz von Preußen". Lt. Vorlage hat sie sich aber als "Prinz Louis
Ferdinand von Preußen" bezeichnet und damit die Namensform "Louis
Ferdinand von Preußen" nahegelegt und wir unterstellen einmal, dass der
Herr das weitestgehend so getan hat. Die RAK haben alle Adelsraenge
wegnormiert (die Praedikate "von" etc. aber belassen), Ansetzung daher
stets unter "Preußen, Louis Ferdinand ¬von¬", egal ob vor 1919 (Titel)
oder nach 1919 (Bestandteil des Nachnamens).

Nach RDA haben wir folgende Kandidaten fuer die Ansetzung (beide
eben diskutierte Namensverwendungen enthalten ja "Prinz"):

9.2.2.13 scheint nur fuer individuell abgedankte Herrscher zu
gelten, nicht fuer abgeschaffte? Ansonsten kann aus "Prinz ..."
ein "fungierender" Nachname "von Preußen" abgeleitet werden,
bevorzugter Name also "Louis Ferdinand von Preußen" erfasst als
"Preußen, Louis Ferdinand von". Nach 9.4.1.5 waere nun fuer die
Bildung der Ansetzung noch der Titel zu ergaenzen, entweder
"Prinz" oder "Prinz von Preussen" (der /Adels/titel ist eigentlich
"Prinz", als "Titel der Person" kommt m.E. nur ein persoenlicher
Titel, etwa bei Regierenden infrage (wir sind hier bei 9.4.1.5,
nicht bei 9.4.1.4!, im Vereinigten Koenigreich ist es ueblich,
dass etwa der Sohn des Herzogs von X einen persoenlichen Titel
Graf von Y traegt, bis er selber zum Herzog aufrueckt):

$a Preußen, Louis Ferdinand von $c Prinz $d 1944-1977.


9.2.2.14 duerfte stets einschlaegig sein, "Prinz von Preussen" ist
ein Fall von "Adelstitel im Namen" (auch wenn es kein Titel der
konkreten Person ist).

[9.2.2.14 Fall b) halte ich fuer wenig zielfuehrend, die Person ist im
Nachschlagewerk evtl. nicht unter ihrem behaupteten Titel
"Prinz von Preussen" verzeichnet, sondern unter ihrem buergerlichen
Namen "Prinz von Preussen", wer weiss das schon so genau ...]

"Prinz ... von Preussen" wuerde auf den bevorzugten Namen erfasst als
"Preußen, Louis Ferdinand, Prinz von" ("Preussen" ist der "Eigenname
im /Titel/") fuehren (rueckgeschlossen: Der bevorzugte Name waere also
"Louis Ferdinand[,] Prinz von Preussen" gewesen, damit die Regel greift,
das ist pikanterweise zumindest im Fall ohne Komma genau nicht die Form,
die hierzulande das Prinzliche als Seinsform im Gegensatz zum buergerlichen
Namensbestandteil betont. Hier ist insgesamt ein Problem, weil 9.2.2.14
nur die zu erfassende Form des bevorzugten Namens spezifiziert, dabei
bleibt der eigentliche bevorzugte Name im Ungefaehren: Mehrere Varianten
sind moeglich). Da nur Urenkel des letzten Kaisers, ist kein
"koeniglicher Titel" nach 9.4.1.4 zu bestimmen, 9.4.1.5 interpretiere ich
so um, dass "Prinz" oder "Prinz von Preussen", zwar nicht *erstes* Element
der /Erfassung/ des bevorzugten Namens ist, aber durchaus komplett im
bevorzugten Namen enthalten ist und daher nicht noch einmal ermittelt wird.
Denn sonst kaemen wir zur Ansetzung

$a Preußen, Louis Ferdinand, Prinz von $c Prinz [von Preußen] $d 1944-1977

die mir ziemlich merkwuerdig anmutet. Mit der Uminterpretation also

$a Preußen, Louis Ferdinand, Prinz von $d 1944-1977

Das ist in Kenntnis der politischen Situation in Deutschland wie gesagt
ein Anachronismus, reflektiert aber treu den durch die Formulierung "Prinz
..." behaupteten Anspruch, Traeger eines Adelstitels zu sein.


Der buergerliche "Louis Ferdinand Prinz von Preussen" hingegen entgeht
moeglicherweise den Regeln von 9.2.2.14 a) da er unter seinem Nachnamen
"Prinz von Preussen" auftritt, hier ist der bevorzugte Name also
"Louis Ferdinand Prinz von Preussen" erfasst als "Prinz von Preussen, Louis
Ferdinand" und wir brauchen diesmal keine Uminterpretation von 9.4.1.5
um ein doppeltes "Prinz" zu vermeiden:

$a Prinz von Preussen, Louis Ferdinand, $d 1944-1977

Das "hindeutet" in der deutschen Fassung von 9.4.1.1 halte ich fuer
einen moeglichen Uebersetzungsfehler ("indicates" im Original?).
Die Crux ist hier, dass in Deutschland seit 1919 die Personen immer
noch "adelig" sind und ihre ehemaligen (Rechts-)titel im Namen fuehren,
ein "Titel der Person" existiert aber strenggenommen nicht mehr, bzw.
nur in adelsaffinen Kreisen (Wir sind m.W. auch Exportweltmeister
im Bereich ebenbuertiger Braeute fuer den europaeischen Hochadel).

Der Vater der fraglichen Person war allerdings tatsaechlich Prinz
(sowohl faktisch in seinen ersten Lebensjahren bis 1919 als auch
im RDA-Sinn als maximal Enkel eines nominellen Herrschers):
Louis Ferdinand, Prinz von Preussen (1907-1994) [und "Chef des Hauses
Hohenzollern"] sein Name und Leben nach 1919 sollte beruecksichtigt
werden, bevor man definitiv die Ansetzung bildet, das macht es
vielleicht fuer den Anfang zu kompliziert, denn Kaiser-Enkel war
er auch nach Ende der Monarchie, spaeter sogar Thronpraetendent
mit eventuell erfolger persoenlicher Umbenennung in "Kronprinz"...

Sortenreiner daher "Louis Ferdinand, Prinz von Preussen (1772-1806)",
Enkel eines preussischen Koenigs und ansonsten ohne weitere Ambitionen:

Fuer diese Person kommen als Enkel die "koeniglichen Titel" 9.4.1.4 statt
der Adelstitel 9.4.1.5 in Betracht: Anders als im Angelsaechsischen
hatte dieser Louis Ferdinand keinen Nachnamen ("Hohenzollern" zaehlt
hier nie, vgl. 9.2.2.9) bevorzugter Name ist also schlicht "Louis Ferdinand",
als Kind oder Enkel wird sein Titel als "Prinz von Preußen" bestimmt
(mag sein, dass er am Beginn seines Lebens "Prinz in Preussen" war).
Oder (falls als "Prinz Louis Ferdinand" bekannter als in einer Form
mit "Preussen"): "Prinz, Enkel von Friedrich Wilhelm I., Koenig in Preußen"
Zusammen:

$a Louis Ferdinand $c Prinz von Preußen $d 1772-1806
bzw. eventuell
$a Louis Ferdinand $c Prinz, Enkel von Friedrich Wilhelm I., Koenig in Preußen
$d 1772-1806

Alternativ koennte man "Louis Ferdinand, Prinz von Preussen" oder
"Prinz Louis Ferdinand von Preussen" als "Gruppe von Woertern und/oder
Zeichen" annehmen, "unter der die Person bekannt ist". Dann ist 9.2.2.14
zu beachten, und wir sind bei "Preußen, Louis Ferdinand, Prinz von" als
erfasstem bevorzugtem Namen, dann jedoch fuehrt an "Prinz von Preußen"
nach 9.4.1.4.3 als Titel diesmal gar kein Weg vorbei:

$a Preußen, Louis Ferdinand, Prinz von $c Prinz von Preußen $d 1772-1806

bzw. bei Bekanntheit als "Louis Ferdinand von Preussen" identisch (nur
dass der Katalogisierer den Rang fuer $a ermittelt?):

$a Preußen, Louis Ferdinand, Prinz von $c Prinz von Preußen $d 1772-1806

Im Prinzip ist das ja nicht verkehrt, in $a ist der Titel "Prinz von
Preussen" derart verwurstet, dass man ihn maschinell kaum noch
extrahieren koennte. Vermutlich fehlen in 9.19.1.2 weitere Ausnahmen,
die *fuer die Ansetzung* solche Pleonasmen vermeiden. Oder aber
"Name" ist doch nicht immer die "Gruppe von Woertern etc.", so dass
der bevorzugte Name haeufiger der reine Vorname bleibt. Vermutlich ist
letzteres beabsichtigt, weil die derzeitige Praxis von u.a. AACR und RAK
das so haelt... Andererseits bekommt man dann fuer die neuzeitlichen
Traeger adliger Namen leicht die realitaetsfremde Ansetzungsblueten wie
"Lambsdorff, Otto" zurueck. Ich sehe aber einfach nicht, wie man die
komplexe Namensformerfassung mit Titel aus 9.2.2.14 umbiegen kann
auf die "einfache-Namen-Regel" 9.2.2.18, in genau den Faellen, wo man
voraussieht, dass der Titel ueber 9.4.1.4.x ohnehin noch einmal in die
Ansetzung wandern wird...

viele Gruesse
Thomas Berger



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