[rak-list] MARC ohne Deskriptionszeichen?
Heidrun Wiesenmüller
wiesenmueller at hdm-stuttgart.de
Die Nov 1 12:24:09 CET 2011
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
ich habe länger überlegt, ob ich mich hierzu auch noch zu Wort melden
soll oder es lieber bleiben lassen soll - denn die Gefahr ist natürlich
groß, dass auch dieser Beitrag als Kritik an einzelnen Personen
aufgefasst wird, obwohl er so definitiv nicht gemeint ist. Vielmehr
glaube ich, dass die Probleme tiefer liegen und eher systembedingt sind.
Aber die Probleme sind da, und sie machen mir Sorge: Denn wenn nun
wirklich in den kommenden Jahren der Regelwerksumstieg gemeistert werden
soll (der ja für uns eine weit größere Herausforderung darstellt als für
die angloamerikanische Welt), so haben wir m.E. nur dann eine Chance auf
eine einigermaßen gute Umsetzung, wenn alle an einem Strang ziehen. Das
wiederum geht nur in einem Klima, das von Offenheit und gegenseitigem
Vertrauen geprägt ist.
Nach meiner Wahrnehmung sind das aber gerade nicht die in der
Fachöffentlichkeit vorherrschenden Gefühle. Dass dies so ist, hat - hier
stimme ich Herrn Eversberg absolut zu - viel mit der Art und Weise der
öffentlichen Kommunikation zu tun. Insbesondere sind es zwei Punkte, die
regelmäßig zu Unverständnis, Verunsicherung und Verdruss bei den
interessierten KollegInnen führen:
1. Informationen, die die Fachöffentlichkeit legitimerweise erwarten
darf, werden nicht bzw. erst sehr spät oder erst nach Aufforderung gegeben.
2. In den Verlautbarungen werden manche Sachverhalte augenscheinlich
eher so dargestellt, wie man sie sich wünscht, als so, wie sie sind.
Für beide Punkte je zwei konkrete Beispiele:
Zu Punkt 1.:
- Über die Ergebnisse des RDA-Katalogisierungstests der DNB vom Sommer
2010 haben wir erst im Oktober 2011 Näheres erfahren - und auch nur,
nachdem in dieser Liste kräftig "nachgebohrt" worden war.
- Über die deutsche Übersetzung wissen wir weiterhin nur, dass sie
(zumindest in einer Rohfassung) existiert. Meine Frage vom 3. Oktober,
wie denn der Titel aussehen werde, blieb unbeantwortet - warum, ist mir
ein Rätsel, zumal die Franzosen keine Probleme damit hatten, die
französische Titelfassung bekannt zu geben. Ebenfalls ohne Echo blieb
mein am selben Tag geäußerter Wunsch, der Fachöffentlichkeit wenigstens
eine kleine "Kostprobe" daraus zu präsentieren. Das muss ja nicht viel
sein - eine Handvoll Paragraphen würden genügen. Ich kann mir wirklich
nicht vorstellen, dass sich die Rechteinhaber einem solchen Wunsch
verschließen würden. Alternativ gäbe es außerdem die Möglichkeit, sich
dem Thema wissenschaftlich zu nähern, indem die daran beteiligten
Personen einen kleinen Aufsatz über die Herausforderungen,
Besonderheiten, Probleme etc. schreiben, die sich bei der Übersetzung
von RDA ins Deutsche ergeben. In einen solchen Text könnte man - durch
das Zitatrecht gedeckt - auch einige Beispielpassagen einbauen.
Zu Punkt 2.:
- In der Mail von Frau Oehlschläger vom 7. Oktober hieß es: "Da in den
USA unter Führung der Library of Congress entschieden wurde, die
Einführung der RDA mit Beginn des Jahres 2013 in die Praxis umzusetzen,
(...)"; ähnlich kann man es seither an vielen Stellen lesen.
Herr Eversberg hat schon darauf hingewiesen: Es stimmt so einfach nicht.
Die amerikanischen Nationalbibliotheken haben nicht entschieden, RDA
Anfang 2013 einzuführen, sondern sie haben entschieden, RDA _frühestens_
Anfang 2013 einzuführen, sofern bis dahin das formulierte
Arbeitsprogramm erfolgreich abgeschlossen ist. Das ist schon ein großer
Unterschied, und vielen, die auf dieser Liste mitlesen, wird die
Diskrepanz aufgefallen sein. Und dann macht man sich natürlich seine
Gedanken und fragt sich, warum eine solche - vorsichtig ausgedrückt -
eigentümliche Darstellung gewählt worden ist. Man kann dabei sicher auf
unterschiedliche Erklärungen kommen (mir selbst fallen drei ein); keine
davon würde ich unter "vertrauensbildende Maßnahme" verbuchen.
- In ihrem Aufsatz "Ist das Glas halb leer oder halb voll? Eine
subjektive Einschätzung der US-amerikanischen Entscheidung für RDA"
(Bibliotheksdienst, Heft 10, S. 894-899) schreibt Frau Oehlschläger auf
S. 895 zum "Starttermin Januar 2013": "Bei diesem Termin handelt es sich
nicht wie verschiedentlich vermutet wurde um eine Verzögerung bei der
Einführung des neuen Standards, sondern vielmehr um die Vorlaufzeit, die
benötigt wird, um Mensch und Maschine auf den Starttermin vorzubereiten.
Es ist unrealistisch, davon auszugehen, dass unmittelbar nach einem
Beschluss zur Anwendung einer neuen Praxis alle Beteiligten in der Lage
sind, diese sofort anzuwenden. Vielmehr müssen in jedem Fall Systeme
vorbereitet, Personal geschult und Detailfragen geklärt werden. Das ist
bei allen großen Projekten so, man denke hier nur an die Abschaffung des
roten Leihscheins oder an den Umstieg auf MARC 21 als einheitliches
Austauschformat oder die Schaffung der Gemeinsamen Normdatei (GND).
Warum sollte dies bei einem Regelwerksumstieg anders sein?"
Sieht man sich Aussagen aus der Zeit vor dem US-Test an, so lässt sich
diese Interpretation jedoch nicht bestätigen (meine Belege dafür bringe
ich nachher noch in einer zweiten Mail, nachdem diese schon sehr lang
geraten ist). Vielmehr handelt es sich in der Tat um eine Verzögerung,
ausgelöst durch die ernüchternden Ergebnisse des US-Tests und die sich
daraus ergebenden Nacharbeiten.
Auch wenn's manchmal schwerfällt: Man sollte die Dinge bei ihrem Namen
nennen. Mittelfristig zahlt sich das aus, und zwar in einer "Währung",
deren Bedeutung kaum zu überschätzen ist: dem Vertrauen der Community.
Viele Grüße
Heidrun Wiesenmüller
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Prof. Heidrun Wiesenmüller M.A.
Hochschule der Medien
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