[rak-list] RDA: Falsche Lösung für das falsche Problem?

Bernhard Eversberg ev at biblio.tu-bs.de
Mon Feb 14 08:45:07 CET 2011


Am 11.02.2011 10:59, schrieb Margarete Payer:
>
> Inzwischen scheint man bei der DFG umzudenken - oder interpretiere
> ich die Aussagen im "Positionspapier zur Weiterentwicklung der
> Bibliotheksverbünde als Teil einer überregionalen
> Informationsinfrastruktur" falsch? Im Punkt 2.2 wird zur
> Katalogisierung festgestellt, dass es keine Fortschreibung von
> Tradition mehr geben soll und der Katalogisierungsaufwand reduziert
> werden soll, weil für heutiges Retrieval eine komplexe
> Verzeichnisstruktur nicht mehr nötig ist. Klingt das nicht nach
> Verabschiedung von RDA und MARC? Es sei denn, man denkt bei RDA an
> den dort möglichen Minimalstandard. Weiß jemand in der Liste dazu
> etwas Genaueres?
>
Das Papier scheint mir noch kaum rezipiert worden zu sein. Es soll
vielleicht erst auf dem großen Bibliothekartag in Berlin den
Paukenschlag zu einem epochalen Wandel intonieren, angemessen wäre so
etwas ja schon. Erst vor Tagen haben DFG und Wissenschaftsrat eine
gemeinsame Erklärung nachgeschoben:

   Gemeinsame Erklärung
    der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des
    Wissenschaftsrats zur Zukunft der Bibliotheksverbünde
    als Teil einer überregionalen Informationsinfrastruktur
    in Deutschland
http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/gemeinsame_erklaerung_dfg_wr_bibliotheksverbuende.pdf


Darin findet man diese "gemeinsame Feststellung" (Nr. 4 von 9
Punkten):
"Mit einer Integration bislang regional geführter Kataloge und Dienste
auf nationaler und internationaler Ebene sollen Redundanzen und eine
heute so nicht mehr benötigte Komplexität der Verzeichnungsstrukturen
vermieden werden."

Dies zielt nicht eindeutig auf Katalogisierungsregeln, sondern könnte
auch meinen, daß die Verzeichnung in mehreren Verbünden eine zu hohe
Komplexität der Datenhaltung und -verwendung erzwingt, die heute
technisch nicht mehr nötig ist. Denn plädiert wird für eine
Zusammenführung der Verbunddatenbanken zu einem einzigen, umfassenden
Dienst. Genaueres zu Katalogdaten steht nicht drin.

Das DFG Positionspapier spricht sich hierzu aber deutlicher aus:

"Die Ausgestaltung von Verbunddiensten, insbesondere im
Katalogisierungsbereich, sollte weniger durch die Fortschreibung von
Traditionen, sondern konsequent auf die Reduktion der heute auch zu
einem hochdifferenzierten Retrieval nicht mehr benötigten komplexen
Verzeichnungsstruktur ausgerichtet werden. Diese Reduktion ermöglicht
die Vereinfachung von Datenmodellen für die Katalogisierungsdatenbanken
und damit die vereinfachte Bereitstellung und Wiederverwendung von
Katalogdaten außerhalb ihrer Erstellungssysteme. Anzahl und Auftrag
bibliothekarischer Arbeitsgruppen in den Verbünden sollten zu diesem
Zweck evaluiert und neben der operativen Perfektionierung stärker auf
strategische Ziele ausgerichtet werden." (S.11)

Das ist eine typische DFG-Verlautbarung: Wolkige Rhetorik hoch über
den Niederungen der Praxis und der Machbarkeit. Aber ok, dort unten hat
man nicht den globalen Überblick und sieht das Big Picture nicht. Da
fordert sich dann leicht ein "hochdifferenziertes Retrieval" im selben
Satz mit der Abschaffung einer "nicht mehr benötigten komplexen
Verzeichnungsstruktur". Hiermit wird vollkommen ignoriert, daß Google
(und wer sonst kann gemeint sein mit dem "hochdifferenzierten
Retrieval") auf gänzlich anderer Datengrundlage arbeitet
(strukturierter Volltext nebst statistischer Auswertung von Billionen
Anfragen), finanzielle und personelle Ressourcen in astronomischer Höhe
flexibel einsetzen kann und über das größte Rechnernetz auf dem
Planeten verfügt. Unbekannt dürfte der DFG auch sein, daß bei Google
Booksearch die von OCLC erhaltenen Metadaten (Katalogdaten) merklich
zur Qualität des Dienstes beitragen. Das fängt an mit der Anzeige des
bibliothekarisch angesetzten Titels über der Buchbeschreibung (was
würde dort sonst wohl stehen, hätte man die Daten nicht?). Diese Titel
sorgen auch für eine recht zuverlässige Suche nach Titelphrasen
(verbessert erheblich die Treffgenauigkeit beim known item search).
Millionen Titel, die Google gar nicht gescannt hat, werden so auch
gefunden - und ermöglichen die Weiterleitung an Bibliotheken auch in
Deutschland). Verwendet werden auch die LC-Schlagwörter, die man -
entsprechende Kenntnisse vorausgesetzt - ebenfalls vorteilhaft zum
Retrieval einsetzen kann. Ein wenig kann man das über diesen Einstieg
ausprobieren:
   http://www.biblio.tu-bs.de/db/a30/lcsh.htm

"Vereinfachung von Datenmodellen" wirft sich immer leicht hin als
Forderung, vor allem wenn man selber keine konkreten Vorschläge
dazu zu machen braucht. Arbeitsersparnis in der Katalogisierung wird
nun wirklich zum x-ten Mal eingefordert. In welchem Bereich ist
in den letzten 30 Jahren schon mehr Arbeit eingespart worden? Das
reicht noch immer nicht, und nur mit noch weniger Arbeit kann
am Ende "hochdifferenziertes Retrieval" rauskommen? Also sorry.

Wo ist das vereinfachte Datenmodell? In der RDA-Diskussion zeigt
sich, daß MARC ohne weiteren Ausbau nicht RDA angemessen abbilden
kann. Die DFG-Forderung steht dem diametral entgegen. Man wird sich
nun dazu bekennen müssen, welchen Kurs man hinsichtlich Regelwerk
fahren will. Die Orientierung auf RDA geht ja ebenfalls auf die
DFG zurück, die einen Umstieg auf internationale Normen gefordert
und dazu auch ein Projekt gefördert hat. Wo soll's denn nun langgehen?

Damit sei nicht gesagt, daß im Positionspapier nicht auch bedenkenswerte
Anregungen und notwendige Anstöße stünden. Hier jedoch fehlt jede
Konkretisierung, ohne die aber nichts geht.

B.Eversberg