[rak-list] Fragen im Zusammenahng mit MAB 451

Thomas Berger ThB at Gymel.com
Thu Aug 20 12:05:36 CEST 2009


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Liebe Frau Payer, liebe Liste,

> damit die Diskussion beginnt, möchte ich mal einen Anlauf nehmen. So wie
> Sie die Lage schildern und ich mir das vorstelle (bei Archivalien habe ich
> keinerlei Erfahrung), ist RAK-WB nicht geeignet und auch nicht dafür
> gedacht.

Archivarische Regelwerke streben nicht an, alle Beschreibungsprobleme
der Welt zu loesen. Ein Werkmanuskript, Druck in der Nachlassbibliothek,
Oelportrait, Foto, USB-Stick mit Inhalt, Pfeifenkopf aendert nicht seine Natur
dadurch, dass er archiviert wird, d.h. was immer es an guenstigen Regelwerken
fuer die Beschreibung der Einzelmaterialien gibt ist immer noch einschlaegig.

Hinzu kommt dann eine archivische Komponente der Beschreibung, also Angaben zu
Bestandsbildnern, Vorbesitzern, Erhaltungszustand, Dokumentation der zur
Beschreibung genutzten Quellen und eben - ganz wichtig - die Einordnung des
Stuecks in den konkreten Bestand. Absolut trennscharf ist das nicht, denn auch
die archivarische Beschreibung muss bei der Beschreibung etwa eines Sonderdrucks
mit Widmung weit genug gehen, dass ein Benutzer erkennen kann, um welchen
Sonderdruck mit wessen Widmung es sich handelt und kann nicht darauf bauen, dass
eine parallele, bibliothekarische Beschreibung des Sonderdrucks verfuegbar ist.

Dennoch sollen solche Beschreibungen in MARC21 oder MAB transportiert werden
(koennen), etwa weil wie in Oesterreich eine Reihe von Literaturarchiven ihre
Materialien im Bibliotheksverbund nachweisen, oder weil etwa MAB 1997 im
Hinblick um Datenfelder fuer "Nachlaesse und Autographen" erweitert wurde und
sich nun bewaehren muss: Gerade Nachlaesse und Autographen von Schriftstellern
und Wissenschaftlern bestehen ja zum Grossteil aus Materialien (Werkmanuskripte,
Briefe, Stammbuecher, Vorlesungsmitschriften, ...) deren Beschreibungen in
einem (wie bei MAB: leicht ergaenzten) bibliothekarischen Datenformat ganz gut
reisen koennen, auch wenn sie nicht unter Anwendung der RAK katalogisiert sind.

Das deutschsprachige Regelwerk "Regeln zur Erschliessung von Nachlaessen
und Autographen (RNA)" (von durchweg bibliothekarisch vorbelasteten Personen
ersonnen) spricht von "(Nachlass-)Gesamtaufnahme" und "Gesamttitel" und schlaegt
MAB 451 vor fuer die Realisierung der Zuordnung von Objekten zum uebergeordneten
Bestand, daher bin ich vorbelastet.


> Bleiben wir aber bei den Begriffen: Sie schreiben, dass ein Nachlaß am
> ehesten einem mehrbändigen begrenzten Sammelwerk entspricht. Ich würde
> mehrbändig weglassen, denn dann bekommt man zu viele Einschränkungen, und

tatsaechlich? Ich muss zugeben, dass ich die exakte Stelle der "Weiche"
nie gefunden habe, die mich bei der Realisierung einer RAK-Situation in
MAB2 mal zu der "Bandsituation" mit Haupt-, Abteilungs- und Untersaetzen bringt
und mal in der "Stuecksituation" mit Gesamttiteln belaesst. Aber (zumindest
ist das eine der moeglichen Antworten auf eine der Fragen von Montag) mit den
RAK bekomme ich doch (aus ISBD-Gruenden?) eine weitgehende Parallelitaet
in der Beschreibung von mehrbaendigem begrenztem *Sammel*werk und fortlaufendem
Sammelwerk im Sinne einer Schriftenreihe, und gerade letzteres habe ich immer
als eine ziemlich "freizuegige" Situation empfunden.


> mal versuchen mit "begrenztem Sammelwerk" auszukommen. Der Nachlaß als
> solcher würde also eine Einheitsaufnahme erhalten.

In jedem Fall (und so lange das gewaehrleistet ist, koennte ich mich auch
mit dem Paradigma des fortlaufenden Sammelwerks fuer einen Bestand anfreunden:
Der "von vornherein geplanten Abschluss" ist nur aus Sicht des aufnehmenden
Archivs wirklich klar, ein Wirklich Wahnsinniger Autor oder eine literarische
Zeitschrift hatte vielleicht andere Praemissen...).
Nach neuerem Verstaendnis ist die Erschliessung jedenfalls stets "Work in
Progress". D.h. ich weise zunaechst den Bestand als solchen nach (das aber
zuegig). Spater dann erfolgt u.U. eine feinere Erschliessung, evtl. auch nur von
Teilen. Die kann sowohl aus ausfuehrlicheren Beschreibungen bestehen als auch im
Erzeugen zusaetzlicher Beschreibungen auf untergeordneten Ebenen. Hier soll zwar
weitgehend redundanzfrei gearbeitet werden, d.h. wenn ich auf hoeherer Ebene 100
Korrespondenzpartner in einer Fussnote aufgelistet habe und nun die Einzelbriefe
erschliesse, werde ich die Fussnote in der Aufnahme hoeherer Ebene evtl.
ausduennen oder abschaffen, insgesamt aber bleiben die Aufnahmen hoeherer Stufe
erhalten, insbesondere natuerlich dann, wenn sie wie der "Bestand an sich" auch
archivarisch ganz zentrale Entitaeten beschreiben.

Die Feinerschliessung muss nicht unbedingt bei der Beschreibung einer einzelnen
physischen Einheit enden (hier unterscheiden sich dann Literaturarchive vom
klassischen Archiv, wo die einzelne "Akte" schon als recht feine Einhait
angesehen wird), auf einem (in ein Skizzenheft eingebundenen) Notenblatt koennen
sich durchaus wieder mehrere datierbare, beschreibenswerte Einzelskizzen
befinden: Je bedeutender der Bestand, desto mehr ist moeglich...


> Wenn die einzelnen Teile sowieso wegen ihrer Wichtigkeit einzelne
> Aufnahmen bekommen sollen, könnte man dann nicht verfahren wie bei
> unselbstständigen Werken? Also mit "In:" gemäß RAK-UW (unselbständige
> Werke). MAB kann ja mit solchen UWs umgehen.

Die Analogie hier waeren z.B. zusammengebundene Alte Drucke, die ja auch
nicht immer in dieser Form unselbstaendig *erschienen* sind?

Die RAK-UW haben es bekanntlich nie geschafft, in die RAK-WB integriert
zu werden, m.W. werden z.B. auch nicht alle MAB-Felder von 590-599
von allen Verbuenden "unterstuetzt". Ich behaupte daher zunaechst, dass wir
mit einer UW-Loesung den bibliothekarischen Mainstream verlassen wuerden,
was man auch durchaus positiv sehen kann: Es bleibt Raum fuer Improvisation ;-)

Ich mag mich irren, aber bereits das ausschliesslich vorgesehene "In: "
als Displaykonstante in der Dokumentation von MAB 590ff zeigt mir, dass
hinter den Feldern wenig praktische Erfahrung steckt (fuer einen
Sonder(ab)druck wuerde ich etwa "Aus: " benoetigen, bei einem alten
Druck "Zsgb. mit: "?).


> Die Verknüpfung vom Einzelteil auf das Ganze und umgekehrt, ist ja
> machbar. Es gibt dann noch das Problem, dass ich eine bestimmte Ordnung
> brauche, wenn ich die übergeordnete Aufnahme anschaue und sehen will, was
> alles vorhanden ist, weshalb bei Ihnen dann die Abteilungen ins Spiel
> kommen.

Moeglicherweise erlaubt MAB sogar eine Verknuepfung in dieser Situation,
die "Identifikationsnummer der selbstaendigen Schrift" 599_ ist nicht
so deutlich beschrieben wie in den bekannteren Faellen von Verknuepfungs-
Feldern.

Ich war einmal an einem Projekt beteiligt, in dem Illustrationen aus Buechern
und Zeitschriften beschrieben wurden. Im letzteren Fall (es sind stets
Illustrationen zu einem bestimmten Aufsatz in der Zeitschrift) ist es bereits
ein Fall von "doppelt Unselbstaendig": Nicht wirklich appetitlich, aber
m.E. sachlich gerechtfertigt. Im aktuellen Fall wuerde ich aber keine rekursive
Struktur waehlen, die durch alle Stufen haspelt um bei der Gesamtaufnahme zu
landen (Brief als unselbstaendiger Bestandteil im Konvolut, dieses wiederum
"unselbstaendig" in einer Korrespondenzserie, diese "unselbstaendig" in der
Abteilung "Briefe", diese unselbstaendig im Nachlass XY als Bestand: Sooo
wichtig ist die Strukturierung dann vielleicht doch nicht).

MAB erlaubt fuer die "Quelle" die Angabe von "Abteilung / Unterreihe", bzw.
auch von Band- Heft- und Jahreszaehlungen (sowie auch von "Gesamttiteln"):
Das heisst aber doch, dass ich auch bei einer UW-Loesung immer noch in der
Situation bin, mir fuer das systematische Geruest ein bibliographisches Modell
zu waehlen, wie es von RAK angeboten wird, also entweder mehrbaendig begrenzt
mit Abteilungen oder fortlaufend mit (ungezaehlten) Unterreihen. D.h. von
meinem vielstufigen Problem von Montag bin ich eine Stufe ueber die UW-
Loesung losgeworden, fuer die restlichen bleibt das identische Problem?

[Ganz allgemein: Ich "verknuepfe" mein Objekt mit irgendeiner hoeheren
Stufe als "Quelle", z.B. der Gesamtheit, oder der naechstuebergeordneten oder
meinetwegen auch etwas mittendrin: Dann muss ich einerseits die "Zaehlung"
angeben des vorliegenden Stuecks in Bezug auf die Quelle, und andererseits
die Einordnung der Quelle zur Gesamtheit notieren, ja nach "Titelhaltigkeit"
ueber einen stark angesetzten Sachtitel oder ueber den Titel plus
Gesamtitelangabe (unverknuepft).]

Ich hatte in der vorigen Mail die eher seltene Situation eines "Bestands
im Bestand" angedeutet, also etwa der "Kryptonachlass X" in der Abteilung
"Sammlungen und spaetere Anreicherungen" des "Nachlass Y": Hier muesste
man sich auf die feinere Zuordnung festlegen (die dann den Uebergang zur
uebergeordneten Gesamtheit ermoeglicht), da sehe ich auch bei einer UW-
Loesung kein besonderes Problem (nur das allgemeine Problem, dass MAB
hier mit dem Angebot nur einer Quelle unzulaessig einschraenkt: Eines
meiner Lieblingsbuecher im Studium war z.B. ein Reader mit Abdrucken
von Zeitschriftenartikeln eines bestimmten Autors...)

[Ich persoenlich wuerde UW-Konstruktionen im Nachlassbereich da einsetzen,
wo ein Objekt "physisch Unselbstaendig" ist, also fuers Gedicht im Brief,
den einzelnen Eintrag im Stammbuch, die autographe Widmung im Druck,
die spaetere Notiz auf p. 15v einer Reinschrift, evtl. auch fuer ein
Photo als "beigefuegtes Werk" in einem Brief. Reale Katalogisierer haben
hier allerdings die Tendenz, zur "Bandauffuehrung" als Allzweckwaffe zu
greifen, das haelt den Zusammenhang schoen eng]


> Abteilungen sind aber schon bei üblichen mehrbändigen Werken eine Crux und
> sollten vermieden werden.

Ich sehe, dass bei der Konstruktion mit h-, y- und u-Aufnahmen MAB(!)
vorschreibt, dass jeweils mit der naechsthoeheren Stufe zu verknuepfen ist,
d.h. die u-Aufnahme "weiss" gar nicht mehr, was die zugehoerige h-Aufnahme
ist, obwohl diese (im begrenzten Fall) die relevante bibliographische
Einheitsaufnahme darstellt. Nach meinem Verstaendnis legt RAK hier eine
einfache Hierarchie nahe (jede Abteilung und Band egal welcher Stufe siedelt
direkt unter der Einheitsaufnahme an, wird alles in der richtigen Reihenfolge
aufs Kaertchen gebracht, erschliesst sich die Hierarchie), MAB hingegen
legt sich datentechnisch auf "volle Rekursion" fest, dabei gibt es ausgerechnet
hier mit 089 und 090 Datenfelder, um alles gewuenschte auch qua Sortierung
hinzubekommen.

Ich habe auch den Eindruck, dass die Publikationen sich wandeln, d.h.
Abteilungen im Aussterben begriffen sind (und gezaehlte Unterreihen im
fotlaufenden Fall hat die ZDB wegdefiniert, auch wenn sie nach 1989 etwas
aufgeblueht sind:
(Acta Universitatis Nicolai Copernici : Nauki Humanistyczno-Społeczne ; 328
: Bibliologia 2/3)

Aber - ganz ernsthaft - solange wir hier auf der RAK-Liste sind, gibt
es doch nicht wirklich ein Problem mit Abteilungen, erst wenn es um die
Codierung in real existierenden Formaten und Systeme geht?


> Leider kenne ich die Lösungen der RDA nicht, das neue Regelwerk soll ja
> eigentlich auch Archivalia einbeziehen.

Den Anspruch hatten bereits die AACR2, dem wurde auch nie widersprochen, was
m.E. aber wenig bedeutet. Tatsache ist, dass die Society of American Archivists
ein eigenes Regelwerk "Describing Archives - A Content Standard (DACS)" hat, das
im Aufbau frueher wohl staerker den AACR2 glich, inzwischen aber deutlich
zweigeteilt ist: Teil 1 ist "Describing Archival Materials", Teil II ist
"Describing Creators" (m.E. liegt hier das frueheste Regelwerk vor, das anregt,
Information auch konzeptionell in Normdatensaetze zu verlagern und nicht fuers
Regelwerk so zu tun, als haette man keine), Teil III "Forms of Names" ist eine
fast woertliche Adaption der Ansetzungsregeln der AACR2 fuer Personen (erweitert
um "Familien" sowie die Zulaessigkeit von Archivalien als Quelle fuer
Namensansetzungen).

Das Regelwerk enthaelt vollstaendige Beispiele, sowohl in EAD als auch in
MARC21, letztere aber dummerweise wiederum nicht als "Multilevel", die armen
Archivare hatten wohl zu recht Sorge, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen,
wenn sie MARC21-Beispiele fuer verknuepfte Teil-Ganzes-Beziehungen
praesentieren...

viele Gruesse
Thomas Berger
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Version: GnuPG v1.2.3-nr1 (Windows XP)
Comment: Using GnuPG with Mozilla - http://enigmail.mozdev.org/

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