[rak-list] RDA Kap. 6+7 revidiert
Heidrun Wiesenmüller
wiesenmueller at hdm-stuttgart.de
Wed Jun 20 08:56:17 CEST 2007
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
ich finde es selbst ausgesprochen schwierig, bei der RDA-Entwicklung und
der Diskussion unter den amerikanischen Kollegen einigermaßen auf dem
Laufenden zu bleiben, und bin wie Herr Eversberg der Meinung, dass man
es als ‘NormalbibliothekarIn’ kaum schaffen kann, sich näher mit den
Entwürfen zu beschäftigen. Umso mehr möchte ich mich bei dieser
Gelegenheit bei ihm dafür bedanken, dass er nicht nur immer wieder
wichtige Entwicklungen in die RAK-List einbringt, sondern sich auch
regelmäßig in amerikanischen Mailinglisten zu Wort meldet und dabei
unermüdlich deutsche Konzepte der Katalogtechnik erklärt und für unsere
Belange wirbt - das ist wirklich eine große Leistung!
Herr Stephan hat Beiträge aus den Ausbildungsstätten eingefordert; dem
will ich mich nicht entziehen. Ich habe mir zunächst das jetzige Kap. 6
"Persons, families, and corporate bodies associated with a resource"
(vormals Kapitel 7; die Umstellung der beiden Kapitel halte ich aber
nicht für so wahnsinnig wichtig) etwas näher angesehen. Im Folgenden
versuche ich eine grobe Zusammenfassung dieses Kapitels, garniert mit
einigen ersten persönlichen (und natürlich nur sehr vorläufigen) Eindrücken.
Die Erläuterungen in den einzelnen Abschnitten sind jeweils recht knapp,
und oft wird die ganze Bandbreite ihrer Bedeutung erst klar, wenn man
sich die zahlreichen Beispiele im Einzelnen ansieht (die leider nicht
durchnummeriert sind). Zu beachten ist: Es geht in diesem Kapitel nur
darum, für welche Entitäten Sucheinstiege angelegt werden müssen bzw.
können, nicht aber darum, wie die Entitäten gebildet werden und wie die
Ansetzungsformen auszusehen haben. Dies wird in Teil B behandelt, dessen
Entwurf für Dezember 2007 angekündigt ist. Dort sind dann auch besondere
Knackpunkte mit Blick auf einen möglichen Umstieg auf RDA-Deutsch zu
erwarten, insbesondere bei den Körperschaften.
Kapitel 6 ist - und schon diese Tatsache ist bemerkenswert - im zweiten
Anlauf sehr drastisch umgearbeitet worden. In der alten Fassung gab es
einen großen Abschnitt zum "primary access point" (primärer
Zugangspunkt, vulgo Haupteintragung) sowie verschiedene Abschnitte zu
"additional access points" (zusätzliche Zugangspunkte, vulgo
Nebeneintragungen). In der Neufassung sind alle diese Bestimmungen
herausgefallen, und es ist nur noch allgemein von "access points“ die
Rede. In der Einleitung heißt es, die herausgefallenen Bestimmungen
sollen in Teil B, Kap. 13 behandelt werden, und zwar "in the context of
"naming“ a work or an expression“ - es wird hier also darum gehen, wie
ein Dokument zu zitieren ist. Wenn ich mich nicht sehr irre, sind die
RDA damit auf dem Stand der RAK2-Entwürfe angekommen oder steuern
zumindest direkt darauf zu: Denn die RAK2 wollten sich ja vom obsoleten
Konzept Haupt- vs. Nebeneintragung ganz trennen und sahen stattdessen
gleichwertige Sucheinstiege vor. Ergänzend sollte es Zitierregeln geben,
zu deren Ausarbeitung es allerdings nicht mehr gekommen ist. Die
Arbeitsstelle für Standardisierung bezeichnete dies im November 2002
noch als einen "gerade im Hinblick auf internationale Standards (...)
bedenkliche[n] Vorschlag“ (Einleitung zur Veröffentlichung der
RAK2-Entwürfe, S. 2). Im Nachhinein dürfen sich die RAK2-Macher aber -
so scheint es nun - gerade durch die internationale Entwicklung
bestätigt fühlen.
Eine interessante Neuerung in der überarbeiteten Fassung ist die
Anordnung der Abschnitte im Hauptteil von Kap. 6 gemäß der vier Ebenen
der FRBR: "work“, "expression“, "manifestation“ und "item“. Zur
Erinnerung: "Work“ ist ein gänzlich abstrakter Begriff (z.B. der ‘Herr
der Ringe’ im Kopf von Herrn Tolkien), "expression“ ist dessen
Realisierung (z.B. die Originalfassung oder die neue deutsche
Übersetzung des Herrn der Ringe von 2000), "manifestation“ die physische
Verkörperung einer "expression“ (z.B. eine bestimmte Ausgabe) und "item“
schließlich das einzelne Exemplar.
Zuerst werden Sucheinstiege auf der Ebene des Werkes betrachtet.
Unterschieden werden hier zunächst "creator“ und "originating body“. Für
den wichtigsten "creator“ und den wichtigsten "originating body“ sind
Sucheinstiege obligatorisch. Alle übrigen Sucheinstiege (auch auf den
anderen Ebenen, also z.B. für Herausgeber und Übersetzer) sind
fakultativ ("optional“); sie werden angelegt, wenn der Katalogisierer es
für sinnvoll hält ("if considered important for access“). Diese Freiheit
ist einerseits sehr erfreulich und hat für RDA den Vorteil, dass nunmehr
keine Einzelfälle mehr beschrieben und dafür Regeln festgelegt werden
müssen, wie man es aus traditionellen Regelwerken kennt. Auf der anderen
Seite frage ich mich, ob eine so extreme Minimalbestimmung wirklich
befriedigend ist. Bei einem Werk von zwei Verfassern sollten
beispielsweise sicher auch künftig beide Verfasser einen Sucheinstieg
bekommen - und dies sollte nicht ins Belieben des einzelnen
Katalogisierers gestellt werden, sondern an allen Bibliotheken
gleichmäßig so gehandhabt werden. Deshalb wird man nach meiner
Einschätzung bei einer Übernahme der RDA nicht darum herumkommen, dieses
Kapitel durch eine nationale Auslegung (sozusagen Praxisregeln) zu
ergänzen, in der für bestimmte Fälle festgelegt wird, welche
Sucheinstiege als "important for access“ anzusehen sind. Dafür könnte
man sich durchaus an den 600er-Paragraphen der RAK2-Entwürfe
orientieren. Diese legen i.d.R. einen gewissen Mindeststandard fest
(z.B. Sucheinstiege für drei Verfasser) und erlauben gleichzeitig, noch
weitere Sucheinstiege anzulegen. Die RDA schaffen hier jedenfalls große
Freiheiten und damit auch Raum für die Fortführung nationaler
Traditionen - diese könnte man für unsere Zwecke nützen. Andererseits
wird es dadurch auch zwangsläufig ein Nebeneinander vieler
unterschiedlicher Praktiken geben, das mit Blick auf den internationalen
Datenaustausch eigentlich nicht wünschenswert sein kann.
"Creators“ sind Personen, Familien oder Körperschaften (diese werden in
Kap. 6 stets zusammen behandelt), die verantwortlich für die Schöpfung
eines Werkes sind. Beispielsweise kann auch ein Bearbeiter eines schon
existierenden Werkes ein "creator“ sein - nämlich dann, wenn durch seine
Bearbeitung ein neues Werk entsteht (Beispiel: Parodie eines Werkes). Es
kann mehrere "creators“ geben; auch solche mit unterschiedlichen
Funktionen (z.B. Komponist und Liederdichter bei einem gemeinsamen
musikalischen Werk). Eine Obergrenze der möglichen Sucheinstiege wird
nicht festgelegt; in einem Beispiel findet man etwa Sucheinstiege für
fünf interviewte Personen und zwei Interviewer.
Was nunmehr "originating body“ heißt, entspricht nach meinem Eindruck
(wie es auch Herr Eversberg sieht) sehr exakt dem Typus ‘Körperschaft,
die die Haupteintragung erhält’ aus den AACR2; auch die Formulierungen
sind nahezu wörtlich übernommen. D.h. das bekannte Charakteristikum der
AACR, die Haupteintragungen für Körperschaften weniger an formalen
Kriterien (wie beim Urheberbegriff der RAK), sondern mehr an
inhaltlichen Kriterien festzumachen, wird in den RDA nicht verschwinden.
Auch künftig ist also bei der Katalogisierung z.B. die schwierige Frage
zu stellen, ob in einem Werk gemeinschaftliches Gedankengut ("collective
thought“) einer Körperschaft wiedergegeben wird. Dies wird vor allem im
Bereich der Periodika nicht selten zu anderen Ergebnissen führen als
gemäß RAK.
Auf der Ebene von "work“ werden außerdem noch
Personen/Familien/Körperschaften behandelt, denen das Werk irrtümlich
zugeschrieben wird, sowie schließlich andere ("other“), die nur eine
indirekte Beziehung zu dem Werk haben. Dazu gehören u.a. Adressaten,
gefeierte Personen und veranstaltende Körperschaften bei Ausstellungen.
Auf der Ebene der "expression“ gibt es - was logisch auch ganz richtig
hier angesiedelt ist - (fakultative) Sucheinstiege für "contributors“.
Dies ist nun ein umfassender Begriff, der u.a. Herausgeber, Übersetzer,
Illustratoren und Kommentatoren abdeckt. Für Funktionsbezeichnungen
(jetzt: "roles“) soll es übrigens eine normierte Liste in einem Anhang
geben. Alternativ kann auch eine andere normierte Liste verwendet werden
(welche dann explizit anzugeben ist). Dies dürfte eine der Bestimmungen
sein, mit denen man andere ‘Communities’ außerhalb der Bibliothekswelt
für den Einsatz des Regelwerks RDA gewinnen möchte.
Auf der Ebene der "manifestation“ finden sich "producer“, "publisher“
und "distributor“. Allerdings ist es auffällig, dass in den (hier nur
recht wenigen) Beispielen kein ‘normaler’ Verlag vorkommt, sondern
primär Körperschaften wie der "Australian National Parks and Wildlife
Service“ oder die „Canadian Automobile Association“. Mir scheint
deshalb, dass kein genereller Sucheinstieg für Verlage intendiert ist,
und die Verlage also letztlich doch nur - ohne Normierung und womöglich
in abgekürzter Form - in der bibliographischen Beschreibung erscheinen
werden. Dabei wären kontrollierte Sucheinstiege für Verlage m.E. für die
Benutzer sehr wichtig. Die jetzige Situation ist nicht befriedigend: So
findet man derzeit bei korrekter Anwendung der RAK-WB etwa "Econ“ und
"Econ-Verl.“ nebeneinander, je nachdem, wie es der Verlag gerade auf die
Haupttitelseite gedruckt hat - für die Recherche ist das aber sehr
unerfreulich. Auf der Ebene des „item“ schließlich werden Sucheinstiege
für Besitzer ("owner“), Aufbewahrer ("custodian“) und Entdecker
("finder“) ermöglicht.
An diese allgemeinen Regeln (Abschnitte 6.0-6.6) schließen sich noch
zwei sehr ausführliche Kapitel (6.7-6.8) mit Sonderbestimmungen für
juristische und religiöse Werke ("legal works“ und "religious works“)
an. In der früheren Fassung gab es noch weitere Spezialkapitel, z.B. für
Musikalien; diese sind in der neuen Fassung in die allgemeinen
Abschnitte integriert worden. Bei den sehr spezifischen und
detaillierten Bestimmungen zu juristischen und religiösen Werken hielt
man dies jedoch - wie es in der Einleitung heißt - für nicht
praktikabel. Die Sonderbestimmungen verwenden nicht die Untergliederung
gemäß den FRBR; sie entsprechen eher dem üblichen Vorgehen eines
Regelwerks, zu einem bestimmten Fall jeweils die nötigen Eintragungen
anzugeben.
Im Vergleich zu den Kapiteln zur bibliographischen Beschreibung, bei
denen man oft den Eindruck hatte, dass die AACR2-Regeln nur in etwas
anderer Reihenfolge präsentiert wurden (in einer amerikanischen
Mailingliste wurde "RDA“ deshalb auch schon einmal aufgelöst als "Really
the damned AACR“), scheint mir Kap. 6 in der jetzigen Fassung
tatsächlich ein wenig von dem Anspruch einzulösen, ein moderneres
Regelwerk zu werden. Offensichtlich wird aber auch (etwa beim Thema
"originating body“), dass auf Abwärtskompatibilität zu den AACR2 sehr
viel Wert gelegt wird - denn die Datenkonsistenz in den Katalogen wird
in den USA (anders als bei uns) als ein hoher Wert betrachtet. Die
Befürchtungen von Herrn Eversberg (geäußert besonders mit Bezug auf Kap.
7), dass sich "die Praxis (...) kein Jota ändern“ wird, ist daher nicht
von der Hand zu weisen.
Viele Grüße
Heidrun Wiesenmüller
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Heidrun Wiesenmüller M.A.
Hochschule der Medien
Fakultät Information und Kommunikation
Professur für Medienerschließung
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