AW: [rak-list] Re: Aus der 10. Sitzung des STA (Teil 2)

Heidrun Wiesenmueller wiesenmueller at WLB-STUTTGART.DE
Mon Jun 6 08:41:53 CEST 2005


Liebe Frau Hengel,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

zunaechst ganz herzlichen Dank fuer die ausfuehrliche Antwortmail vom 3. 
Juni! Auch die lebhafte Diskussion der vergangenen Tage in der Liste fand 
ich erfreulich; es waere schoen, wenn es so sachlich und konstruktiv 
weiterginge.

>Wir wollen international kompatible Daten herstellen, mit denen unsere 
>Benutzer nicht nur in unseren Beständen, sondern über Datennetze weltweit 
>recherchieren können, und dies komfortabel, schnell und gezielt.
(...)
>Die dafür notwendigen Umstellungen werden nicht zum Nulltarif zu haben 
>sein - genauso wenig wie die Einführung der Datenverarbeitung in 
>Bibliotheken einmal kostenlos war - , sie werden aber die Angebote der 
>Bibliotheken entscheidend verbessern, die Katalogisierung durch das 
>verstärkte "Teilen" und "Nachbauen" von Datensätzen rationalisieren und 
>sie auch inhaltlich verändern.

Ich habe gewisse Zweifel, ob man die jetzige Situation mit der 
EDV-Einfuehrung vergleichen kann: Zum einen, weil diese Umstellung unter 
ganz anderen finanziellen und personellen Rahmenbedingungen vor sich ging. 
Zum anderen, weil man zwar mit dem Katalogbruch einen schmerzhaften Schritt 
tun musste, jedoch als Lohn eine wirklich dramatische Verbesserung sowohl 
fuer Bibliothekare wie auch Benutzer winkte. Eine aehnlich durchschlagende 
Aenderung kann ich bei einem Umstieg auf AACR3/RDA nicht erkennen.

Vielmehr ist fuer mich bisher noch immer nicht ueberzeugend belegt, dass 
die RAK fuer unsere Nutzer tatsaechlich ein nennenswertes 
Recherchehindernis darstellen. Die Ausfuehrungen dazu waren immer recht 
allgemein - vielleicht koennte man das einmal anhand realistischer 
wissenschaftlicher Bedarfsszenarien und konkreter Recherchebeispiele 
verdeutlichen?

Vernetzung ist natuerlich zu Recht ein grosses Thema. In Baden-Wuerttemberg 
beispielsweise gibt es Plaene fuer ein landeskundliches Informationssystem, 
das institutions- und medienuebergreifend Datenangebote vernetzen soll 
(neben den Landesbibliotheken sind u.a. Landesarchiv, Landesdenkmalamt, 
Landesmedienzentrum, Statistisches Landesamt und Landesvermessungsamt 
beteiligt). Das sind wirklich hochgradig heterogene Datenbestaende, deren 
Vernetzung anspruchsvolle technische Loesungen erfordert. Im Vergleich dazu 
sind - wie mir scheint - die Unterschiede zwischen zwei bibliothekarischen 
Regelwerken wie RAK und AACR nahezu vernachlaessigbar.

>Die Beziehungen, die wir als über-/untergeordnete Titeldatensätze 
>darstellen, sind i.d.R. Ganzes-Teil-Beziehungen. Die Probleme, die dabei 
>aufgetreten sind, sind einerseits Austauschprobleme aufgrund 
>unterschiedlicher Hierarchiestufen-Zuschnitte, andererseits Probleme im 
>Retrieval und im Austausch aufgrund der Unvollständigkeit der Datensätze 
>auf den jeweiligen Hierarchiestufen.
>Diese Probleme lassen sich sicherlich lösen, es spricht aber doch sehr 
>vieles für vollständige Datensätze, die alle für die Benutzerrecherche und 
>den Datentausch notwendigen Informationen enthalten, und für eine 
>Reduktion der Hierarchiestufen.

Fuer mich ist das primaer eine technische Frage. Unser bisheriges System 
ist dahingehend sehr effizient, als es kaum Redundanzen in der Datenhaltung 
gibt; dafuer ist vielleicht der technische Aufwand bei Austausch und 
Recherche wirklich etwas hoeher. Da Speicherplatz heute kein 
ernstzunehmender Kostenfaktor mehr ist, spricht in der Tat nichts dagegen, 
Informationen aus dem uebergeordneten Satz in den Untersaetzen zu 
wiederholen. Ein Kompromiss nach Art der Schweizer Loesung (weiterhin 
hierarchische Saetze, aber Untersaetze mit erweiterten Informationen) waere 
deshalb fuer mich ein durchaus gangbarer Weg.

>Zum "Mehraufwand" des FRBR-Konzepts: für neue Werke ist der Aufwand 
>gleich, bei der Nachnutzung für die nächste expression bzw. manifestation 
>sinkt der Aufwand. Für bereits vorhandene Werke würde bei durchgehender 
>intellektueller Bearbeitung allerdings Mehraufwand entstehen. So kann eine 
>rückwirkende "Ferberisierung" wahrscheinlich nur über automatische 
>Verfahren, intellektuell nur in sehr wichtigen Einzelfällen erfolgen.

Eine Schwierigkeit bei der FRBR-Thematik ist sicher, dass sich derzeit kaum 
jemand genau vorstellen kann, wie sie in der Praxis umgesetzt werden soll. 
Dass der Aufwand bei neuen Werken nicht hoeher sein wird als heute, kann 
ich mir allerdings nur schwer vorstellen. Muesste man nicht in jedem Fall 
zunaechst - mit entsprechenden Rechercheaufwand - verifizieren, dass 
wirklich ein "neues" Werk vorliegt, welches keinerlei (FRBR)-Bezuege zu etwas
schon Vorhandenem aufweist?

>Zu 3: Neben den Entitäten müssen auch die zur Identifizierung und näheren 
>Beschreibung herangezogenen Datenelemente übereinstimmen, was eng mit den 
>Zuschnitten der Entitäten zusammenhängt, aber - in jetziger Terminologie - 
>auch mit der Ansetzungsform. Wann wird der Sitz der Körperschaft, das 
>Land, die Region, der Staat, die zeitliche Zuordnung etc. angegeben?

Das hatte ich nicht auf Anhieb verstanden. Denn wenn sich das gesamte 
Entitaetensystem 1:1 entspraeche, waere es wirklich egal, aus welchen 
Datenelementen es sich definiert. Gemeint ist wohl, dass sich aus 
unterschiedlichen Beschreibungselementen eben auch unterschiedliche 
Entitaeten ergeben, diese also ein Hindernis bei der Entitaetenangleichung 
sind.

Beispiel:
"Koninklijke Bibliotheek <'s-Gravenhage>" (GKD)
"Koninklijke Bibliotheek (Netherlands)" (LOC)

Die Entitaet ist  (trotz unterschiedlicher Datenelemente) identisch und 
daher eine Verknuepfung a la VIAF unproblematisch. Wuerde jetzt aber 
beispielsweise die Koninklijke Bibliotheek nach Amsterdam umziehen, gaebe 
es in der GKD einen Split, in LOC aber nicht. Eine Angleichung der 
Entitaeten ist also leichter gesagt als getan.

Aber: Muss es wirklich eine 100-Prozent-Uebereinstimmung werden? Ich denke, 
man koennte auch mit etwas weniger zufrieden sein, zumal sich vieles mit 
technischen Methoden ausgleichen laesst (im beschriebenen hypothetischen 
Fall z.B. durch Abbildung des LOC-Satzes auf beide GKD-Saetze). Dafuer 
wuerden wir uns viel Arbeit bei der Umarbeitung der GKD und beim Umhaengen 
von Titeln sparen.

>Wir haben außerdem auch die Zusammenführung der Körperschaften der 
>Sacherschließung und der Formalerschließung zum Ziel - kein Benutzer im 
>Internet sucht Körperschaften getrennt nach FE und SE -,

Ich aergere mich auch jedesmal, wenn ich einen vorhandenen GKD-Satz fuer 
die SWD umschreiben muss - das ist wirklich unnoetig wie ein Kropf! Aber 
auch hier moechte ich fuer Pragmatismus plaedieren und einige etwas 
"ketzerische" Thesen zum Thema Koerperschaftsschlagwoerter aufstellen:

These 1: Interpunktionszeichen und Wortfolge sind fuer die Benutzer irrelevant.

Beispiel:
"Stadtarchiv <Duesseldorf>" (GKD)
"Duesseldorf / Stadtarchiv" (SWD)
"Stadtarchiv Duesseldorf" (LOC)

In der Standard-Recherchesituation (Stichwortindex) sind alle drei Formen 
voellig gleichwertig: Die Interpunktionszeichen werden vom Benutzer ohnehin 
als blosse Schreibkonvention aufgefasst (auch wenn dahinter 
unterschiedliche theoretische Konzepte stehen). Die Abfolge der Woerter 
waere nur bei einem Phrasenindex von Bedeutung; da koennte man sich dann 
aber mit Permutationen behelfen.

These 2: Fuer die Benutzer ist nicht wichtig, welche Ansetzungsform in 
ihrem Rechercheergebnis angezeigt wird, sondern nur, mit welchen Formen sie 
suchen koennen.

Wenn ein Benutzer mit der Eingabe "Koenigliche Bibliothek Den Haag" zum 
Ziel kommt, wuerde es ihn m.E. nicht stoeren, wenn beim Titel stattdessen 
"Koninklijke Bibliotheek <'s-Gravenhage>" angezeigt wuerde - eine solche 
Transferleistung duerfen wir unseren Benutzern schon zumuten!

These 3: Die Verwendung von originalsprachlicher bzw. deutschsprachiger 
Form ist der einzige wirklich suchrelevante Unterschied in GKD- und 
SWD-Ansetzungen von Koerperschaften.

Die einfachste und effektivste Loesung waere es daher doch, die vorhandenen 
GKD-Saetze um deutschsprachige Formen aus der SWD zu ergaenzen (sofern 
diese nicht sowieso schon als Verweisungsform im GKD-Satz stehen) und das 
Konglomerat dann als Grundlage fuer die Formal- _und_ die Sacherschliessung 
zu verwenden. Ich glaube, dass man eine solche Zusammenfuehrung weitgehend 
maschinell erreichen koennte. In unserer Landesbibliographie-Datenbank 
wurden uebrigens Koerperschaftsschlagwoerter von Anfang an (seit Mitte der 
1980er Jahre) nach der GKD angesetzt, und es hat sich noch nie jemand 
darueber beschwert ;-)

Die GKD ist unsere aelteste und bewaehrteste Normdatei; mit viel Aufwand 
hat man einen umfangreichen, in sich stimmigen und sehr qualitaetvollen 
Datenpool erarbeitet, der den Titelaufnehmern die taegliche Arbeit ungemein 
erleichtert. Deshalb macht mir die Vorstellung, die GKD grossraeumig in 
Richtung RFD/AACR3 umzuarbeiten, schon einige Bauchschmerzen. Wieviel davon 
automatisiert erfolgen koennte, weiss ich nicht - fuerchte aber, dass
viele Arbeiten nur intellektuell zu erledigen sind (wobei es nicht nur um 
die Normdaten selbst geht, sondern zum Teil auch um die damit verknuepften 
Titeldaten). Womoeglich muessten unsere Katalogisierer auf Jahre hinweg bei 
jedem verwendeten GKD-Satz ueberpruefen, ob er schon auf dem neuen Stand 
ist, und ihn noetigenfalls umarbeiten. Wenn man sich dann noch vor Augen 
haelt, dass sich wohl die meisten Aenderungen auf Interpunktionszeichen 
oder das Vertauschen von Ansetzungs- und Verweisungsform beschraenken 
werden (also nicht rechercherelevant sind), dann fragt man sich schon, ob 
der Aufwand gerechtfertigt sein kann.

>Zu 4: Wir werden in den Normdateien beträchtliche Anstrengungen 
>unternehmen, damit die Normdaten nach einer Regelwerksumstellung 
>"abwärtskompatibel" bleiben. Damit werden die Hauptsucheinstiege ohne 
>gravierende Brüche gewährleistet bleiben.

Das waere natuerlich eine gute Sache! Koennten Sie, liebe Frau Hengel, noch 
etwas naeher erlaeutern, wie man es sich im Detail vorzustellen hat?

Mit freundlichen Gruessen
(und Dank an alle, die diese lange Mail bis zum Ende gelesen haben!)
Heidrun Wiesenmueller
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Heidrun Wiesenmueller M.A.
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