[rak-list] Re: Fwd: AACR3 aus der Sicht amerikanischer Katalogisierer

Armin Stephan armin.stephan at augustana.de
Thu Jun 2 16:17:32 CEST 2005


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

beim Lesen der letzten Mails in Bezug auf den Teilaspek AACR3 
und FRBR-Modell bin ich an ein bibliothekarisches Phaenomen 
erinnert worden, das ich in meiner Praktikantenzeit an der 
Universitaetsbibliothek Tuebingen kennengelernt habe. Zu einer 
Zeit, als man noch konventionell katalogisierte. Beurteilen Sie selbst, 
ob meine Assoziation abwegig ist oder nicht.

Die UB Tuebingen hatte um 1980 noch, m. W. als einzige Bibliothek 
in Deutschland, einen sog. "Leitkarten-Katalog".  Leitkarten gab es 
natuerlich in jedem Karten-Katalog zur schnelleren Orientierung 
beim Blaettern in den Karteikaesten, ein "Leitkarten-Katalog" hebt 
sich dadurch hervor, dass grundsaetzlich jeder Karten-Kopf im 
Katalog eine eigene Leitkarte besitzt. Selbst wenn die Bibliothek also 
nur eine einzige Publikation einer bestimmten Person besitzt, 
wuerde vor dieser Eintragung eine Leitkarte stehen. Dasselbe gilt 
fuer Sachtitel und Koerperschaften, die Eintragungen erhalten.

Diese Katalogform hat zwei beachtliche Vorteile, die es im 
Rueckblick erstaunlich erscheinen lassen, dass sie sich nicht 
durchgesetzt hat:

1. Man findet in diesem Katalog das Gesuchte schneller. (Das ist 
keine vage Behauptung, sondern wir haben als Studierende einmal 
einen empirischen Vergleichstest gemacht, der das eindeutig 
bestaetigt hat.)

2. Die Ausgestaltung der bibliographischen Beschreibung der 
Titelaufnahmen ist nahezu belanglos.

Auf letzteren Punkt ist noch naeher einzugehen:

Die Katalogisierungsabteilung der UB war damals zweigeteilt. In der 
einen Abteilung wurde klassisch katalogisiert, in der zweiten wurden 
(damals schon) Fremddaten genutzt. Die klassische Abteilung 
bestand aus ca.  einem Dutzend Diplom-Kraeften und einem 
gestrengen Abteilungsleiter, die "Fremddaten-Abteilung" aus einer 
Diplom-Kraft und einer halben Kraft des mittleren Dienstes. Diese 
Mini-Abteilung bearbeitete - man hoere und staune - 90 Prozent der 
Neuaufnahmen! (Damals habe ich den Nutzen von 
Fremddatenuebernahme schaetzen gelernt.)

Genutzt wurden Fremddaten aus allen moeglichen Laendern: 
Aufnahmen der British Museum Library ebenso wie Aufnahmen der 
LoC und selbstverstaendlich auch Aufnahmen der DB. Durch das 
Prinzip des Leitkarten-Kataloges war es nicht entscheidend, ob die 
Aufnahmen nach Voll-RAK, Kurz-RAK, englische oder 
amerikanische AACR erfasst waren. Der Sucheinstieg war auf der 
Leitkarte genormt, die Gestalt der bibliographischen Beschreibung 
sekundaer.

Wenn ich nun lese, dass man daran denkt, neben Normdaten fuer 
Personen und Koerperschaften kuenftig auch Normdaten fuer 
Werke anzulegen (was es in der Sacherschliessung ja immer schon 
gibt),  dann erinnert mich das doch sehr an dieses Katalog-Prinzip 
und es stellt sich mir die Frage, wieviel Aufwand zur Angleichung der 
Regelwerke im Bereich der bibliographischen Beschreibung denn 
eigentlich noetig ist.

Bei der jetzt so locker anvisierten Ausrichtung an AACR3 ist m.E. 
noch nicht deutlich, in welchem Verhaeltnis denn eine deutsche 
AACR3 kuenftig zur angloamerikanischen Fassung stehen soll. 
Inhaltliche Naehe oder voellige Identitaet? Bislang war es AACR-
Strategie, dass jedes Anwender-Gebiet seine eigene (nationale) 
AACR-Fassung haben sollte. Hat sich durch die prinzipielle 
vorsichtige Oeffnung des JSC bei der AACR-Weiterentwicklung 
daran etwas geaendert? Wie gehen Laender mit AACR3 um, die 
schon AACR-Anwender sind, wie z.B. die Schweiz? Hier wuerde ich 
gerne Naeheres erfahren.

Mit freundlichen Gruessen
Armin Stephan
Augustana-Hochschule / Bibliothek
D-91564 Neuendettelsau





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