AW: [rak-list] Re: Aus der 10. Sitzung des STA (Teil 2)

Hengel-Dittrich, Christina hengel at dbf.ddb.de
Thu Jun 2 10:17:40 CEST 2005


Liebe Frau Wiesenmüller, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Frau Wiesenmüller hat in ihrer Mail eine ganze Reihe von Aspekten der Regelentwicklung angsprochen. Ich möchte zunächst einige Aspekte ansprechen, die bei ihr meines Erachtens zu kurz gekommen sind. 
Warum wollen wir eigentlich eine Angleichung an die RDA (mittlerweile nicht mehr AACR)? Warum haben sich auch die RAK 2 und die RfK bereits an den AACR orientiert? Doch deshalb, weil in der gesamten Regeldiskussion, bei all den immer wieder herausgestellten Diskrepanzen, eine gemeinsame Zielsetzung erkennbar wird: 
Wir wollen international kompatible Daten herstellen, mit denen unsere Benutzer nicht nur in unseren Beständen, sondern über Datennetze weltweit recherchieren können, und dies komfortabel, schnell und gezielt. Dazu brauchen wir nicht mehr nur Regeln für den Onlinekatalog, sondern  Regeln und Standards für Daten in weltweiten (Bibliotheken-)Netzen, Regeln, die von der Sache her international sein müssen.
Die dafür notwendigen Umstellungen werden nicht zum Nulltarif zu haben sein - genauso wenig wie die Einführung der Datenverarbeitung in Bibliotheken einmal kostenlos war - , sie werden aber die Angebote der Bibliotheken entscheidend verbessern, die Katalogisierung durch das verstärkte "Teilen" und "Nachbauen" von Datensätzen rationalisieren und sie auch inhaltlich verändern. Es gibt vielfache brisante parallele Entwicklungen, die dies notwendig erscheinen lassen, von neuen Ressourcentypen im Netz bis zu den neuesten Initiativen im Bereich der Suchmaschinen.  
Auch zeitlich sind wir nicht frei. Mit den Diskussionen zum "International Cataloging Code" (ICC) und nun der Weiterentwicklung der AACR zu den RDA, einem sich international öffnenden Regelwerk, stecken wir bereits mitten in dieser Entwicklung.
Die rückblickende Diskussion, ob ein Übergang zu AACR2 aus damaliger Sicht richtig gewesen wäre oder nicht, halte ich für müßig, bitte Sie aber zu bedenken, dass zum damaligen Zeitpunkt die jetzt doch sehr schnellen Entwicklungsschritte nicht abzusehen waren - auch der Entwurf von Part I der AACR3 war noch sehr konventionell - und eine Angleichung an die AACR 2 die - auch wirschaftlich - risikominimierende Variante war.

Jetzt noch zu einigen der Punkte, die Frau Wiesenmüller angesprochen hat:

Zu 1: Ich hoffe schon, dass die RDA noch ein bisschen moderner werden. Neu ist unter anderem auch die Einbeziehung von Datennetzen und von anderen Informationsanbietern und Standards, wie zum Beispiel Dublin Core. Daten sollen "übersetzungsfähig" sein. Dazu gehört auch die Ausrichtung auf Normdaten.

Zu 2: Ich weiß nicht, ob man die FRBR als ein hierarchisches Modell bezeichnen kann. 
Die Beziehungen, die wir als über-/untergeordnete Titeldatensätze darstellen, sind i.d.R. Ganzes-Teil-Beziehungen. Die Probleme, die dabei aufgetreten sind, sind einerseits Austauschprobleme aufgrund unterschiedlicher Hierarchiestufen-Zuschnitte, andererseits Probleme im Retrieval und im Austausch aufgrund der Unvollständigkeit der Datensätze auf den jeweiligen Hierarchiestufen. 
Diese Probleme lassen sich sicherlich lösen, es spricht aber doch sehr vieles für vollständige Datensätze, die alle für die Benutzerrecherche und den Datentausch notwendigen Informationen enthalten, und für eine Reduktion der Hierarchiestufen.

Die FRBR-Entitäten work, expression, manifestation, item sind demgegenüber eher Workflow- bzw. Lebenszyklus-bezogene Stadien einer Ressource, wobei die vorgelagerten Stadien mehrfach vorkommen können. Von daher wird diskutiert, die work/expression-Ebene als Normdaten zu gestalten, entweder immer oder bei mehrfachem Vorkommen. Dass dies auch für die Manifestation-Ebene nicht abwegig ist, macht die Diskussion um die ZDB als Normdatei bzw. um DDB-Titelsätze als Normsätze deutlich. Ob diese Normdaten in den Titelsätzen als jeweils gleichbleibender Datenblock eingelagert ist (der für sich dann nochmals als Normdatensatz existiert) oder ob ein Sucheinstieg über eine Ident-Nummer, eine eindeutige Ansetzungsform oder über einen Namen mit zusätzlichen Merkmalen gebildet wird, ist in den FRBR nicht geregelt. Meines Erachtens sind sehr unterschiedliche Realisierungsmöglichkeiten denkbar. 
Auch Ganzes-Teil-Beziehungen kommen in den FRBR als Relationen vor, aber ebenfalls ohne Aussage zur datentechnischen Abbildung.

Zum "Mehraufwand" des FRBR-Konzepts: für neue Werke ist der Aufwand gleich, bei der Nachnutzung für die nächste expression bzw. manifestation sinkt der Aufwand. Für bereits vorhandene Werke würde bei durchgehender intellektueller Bearbeitung allerdings Mehraufwand entstehen. So kann eine rückwirkende "Ferberisierung" wahrscheinlich nur über automatische Verfahren, intellektuell nur in sehr wichtigen Einzelfällen erfolgen. 

Zu 3: Neben den Entitäten müssen auch die zur Identifizierung und näheren Beschreibung herangezogenen Datenelemente übereinstimmen, was eng mit den Zuschnitten der Entitäten zusammenhängt, aber - in jetziger Terminologie - auch mit der Ansetzungsform. Wann wird der Sitz der Körperschaft, das Land, die Region, der Staat, die zeitliche Zuordnung etc. angegeben? 
Wir haben außerdem auch die Zusammenführung der Körperschaften der Sacherschließung und der Formalerschließung zum Ziel - kein Benutzer im Internet sucht Körperschaften getrennt nach FE und SE -, und wollen darüberhinaus die Körperschaftsregeln endlich so vereinfachen, dass die Ergebnisse den Benutzerinteressen entsprechen und sie in der Erschließung einfach sind. So wird in der IME-ICC-Diskussion z. B. von "natural order" für Körperschaften gesprochen.

Zu 4: Wir werden in den Normdateien beträchtliche Anstrengungen unternehmen, damit die Normdaten nach einer Regelwerksumstellung "abwärtskompatibel" bleiben. Damit werden die Hauptsucheinstiege ohne gravierende Brüche gewährleistet bleiben. 

Beste Grüße 
Christel Hengel 



-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: owner-rak-list at ddb.de [mailto:owner-rak-list at ddb.de] Im Auftrag von Heidrun Wiesenmueller
Gesendet: Mittwoch, 1. Juni 2005 12:32
An: rak-list at ddb.de
Betreff: [rak-list] Re: Aus der 10. Sitzung des STA (Teil 2)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

im Folgenden nun noch einige grundsaetzliche Anmerkungen zu AACR3 (soweit man dazu auf der Basis allgemeiner Verlautbarungen wie z.B.
<http://www.collectionscanada.ca/jsc/docs/aacr3pptjan2005.pdf>http://www.collectionscanada.ca/jsc/docs/aacr3pptjan2005.pdf
ueberhaupt schon etwas sagen kann).

1. Zweifelsohne werden die AACR3 moderner sein als die AACR2 - alles andere waere ja auch erschreckend. Wie gross die Fortschritte am Ende tatsaechlich sein werden, bleibt freilich abzuwarten. Im Detail kommt einem uebrigens manches sehr bekannt vor: Zu den explizit formulierten Zielen gehoert (wie in RAK2) eine Vereinfachung der Regeln sowie eine Anpassung an die Online-Welt. Das am Zettelkatalog orientierte Prinzip von Haupt- und Nebeneintragungen wird aufgegeben zugunsten von Sucheinstiegen (access
points) - auch das konnte man schon vor Jahren in den RAK2-Entwuerfen (Stand April 2000) lesen.

2. Bei der Weiterentwicklung sollen die FRBR (Functional requirements for bibliographic records) beruecksichtigt werden. Ein wichtiger Aspekt dabei ist das Erstellen einer Hierarchie vom (abstrakt gedachten) Werk bis hin zum Exemplar einer bestimmten Ausgabe (mit den Abstufungen: work / expression / manifestation / item). Ich finde das bemerkenswert: Seit Jahren erzaehlt man uns, dass unsere hierarchischen Verknuepfungen Teufelszeug sind und die Datensaetze unbedingt 'flachgeklopft' werden muessen. In der AACR-Welt hingegen scheint das Pendel gerade umzuschwingen...!

Die Vorstellung, dass beispielsweise ein Benutzer im Katalog zunaechst einen einzigen Eintrag "Hamlet" vorfaende, ueber den er zu allen Ausgaben, Verfilmungen etc. gefuehrt wuerde, ist natuerlich durchaus attraktiv. 
Allerdings gilt: Von nichts kommt nichts, d.h. entsprechende komplexe Verknuepfungen muessen erst einmal in den Katalogisaten angelegt werden. 
Fuer die Katalogisierung bedeutet die Integration der FRBR also sicher nicht weniger, sondern eher mehr Arbeit.

3. Auch das Konzept der Virtuellen Internationalen Normdatei, bei der unterschiedliche nationale Ansetzungsformen fuer die Recherche zusammengefuehrt werden, spielt eine wichtige Rolle in den AACR3-Ueberlegungen. Umso mehr fragt man sich, warum nun mit riesigem Aufwand unsere GKD-Ansetzungen an AACR angeglichen werden sollen. Eine Uebereinstimmung bei den Entitaeten (die freilich auch schon eine knifflige Sache ist) wuerde - wie schon haeufig ausgefuehrt wurde - vollauf genuegen.

4. Die AACR-Anwender tun genau das, was uns versagt bleiben soll: Sie entwickeln ihr bestehendes Regelwerk weiter, um dieses den modernen Anforderungen anzupassen und zugleich die Konsistenz ihrer Kataloge zu erhalten. Es wird also trotz aller Neuerungen eine betraechtliche Kontinuitaet zu AACR2 geben; die neuen Datensaetze sollen "abwaertskompatibel" ein.

Fuer das Szenario eines Umstiegs auf AACR3-Deutsch bedeutet das nach meiner Einschaetzung, dass der Umstellungsaufwand kein Deut geringer waere als bei dem frueher favorisierten Umstieg auf AACR2-Deutsch. Auch das Problem des Katalogbruchs stellt sich unveraendert. Die Projektstudie hat die praktischen Fragen eines Umstiegs nicht befriedigend erhellen koennen (vgl. 
dazu meinen Beitrag in BuB 3/2005:
<http://www2.bibliothek.uni-augsburg.de/kfe/mat/Wiesenmueller_BuB_57_3.pdf>http://www2.bibliothek.uni-augsburg.de/kfe/mat/Wiesenmueller_BuB_57_3.pdf).
Es waere deshalb gut, wenn der Standardisierungsausschuss nun bald konkrete Planungen fuer die Umsetzung seiner juengsten Beschluesse vorlegen wuerde - inkl. einer Aufwandsabschaetzung, welche auf realistischen Voraussetzungen, belastbaren Zahlen und einer soliden Methodik basiert.

Mit freundlichen Gruessen
Heidrun Wiesenmueller
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Heidrun Wiesenmueller M.A.
Wuerttembergische Landesbibliothek
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