[rak-list] Silberstreif am Horizont

B.Eversberg ev at biblio.tu-bs.de
Wed Apr 27 12:30:23 CEST 2005


  "Ein Silberstreif am Horizont"

In der Ausg. 04/2005 der BuB schreibt Renate Gömpel unter obigem
Titel über die Internationalisierung der deutschen Normen (S. 288-91).
Im Vorwort, anscheinend nicht von Frau Gömpel selbst geschrieben,
wird zwar auf Heidrun Wiesenmüllers umfangreiche Stellungnahme
in der Ausgabe 03 hingewiesen, eine Auseinandersetzung damit
findet in dem Beitrag jedoch noch nicht statt, wohl wegen der
fehlenden Vorlaufzeit.
Der Wiesenmüller-Aufsatz steht hier:
http://www2.bibliothek.uni-augsburg.de/kfe/mat/Wiesenmueller_BuB_57_3.pdf
(vielleicht auch www statt www2, das scheint zu wechseln!)

In der gebotenen Kürze kann ich nur einige Punkte herausgreifen,
an denen der Leser stutzen könnte oder offene Fragen sich aufdrängen.
(Statt "Standardisierungsausschuss" schreibe ich kurz StA)


Frau Gömpel beginnt mit einem historischen Abriß. Am 11. September 2001
habe sich auf einer Tagung in Göttingen "schlagartig" die Situation
geändert: die Grundsatzfrage nach der Übernahme von AACR und MARC sei
gestellt und "positiv aufgegriffen" worden.
    Meine Anmerkung:
    Die Fachöffentlichkeit wurde auf der genannten Tagung unvorbereitet
    mit dem Thema konfrontiert. Die Teilnehmer auf dem Podium
    waren darauf erkennbar ebenfalls nicht vorbereitet und allesamt,
    mit Verlaub, keine ausgewiesenen Fachvertreter des Katalogisierungs-
    wesens. Wer dabei war, kann nicht bestätigen, daß die Grundsatzfrage
    "positiv aufgegriffen" wurde. Im Gegenteil gab es Verärgerung, weil
    keine Fragen aus dem Publikum zugelassen waren.


"... anhand der Ergebnisse des Final Report des Library Consultant ...
läßt sich eine allgemeine Aussage treffen : Ein Verbleib bei den
deutschen Standards erfordert deren Weiterentwicklung."
    Hatte jemand etwas anderes vermutet? Deswegen war RAK2 in
    Entwicklung gewesen. Brauchte man für diese Feststellung
    tatsächllich einen Library Consultant?


"Diese Weiterentwicklung müsse internationale Standards stärker
als bisher einbeziehen ..."
    Genau das gehörte schon zu den Vorgaben der RAK2-Entwicklung,
    und aus denselben, auf der Hand liegenden Überlegungen heraus.
    Deshalb hatte es ja auch das REUSE-Projekt schon gegeben.


"Zusammenfassend läßt sich sagen, dass sich im Hinblick auf das
Regelwerk keine Aspekte ergeben haben, die gegen einen Umstieg
sprechen... die Ergebnisse zeigen deutlich, dass es keine
grundsätzlichen Hindernisse gibt..."
    Hierzu hatte Kollegin Wiesenmüller einiges zu sagen, was ich hier
    deshalb nicht zu wiederholen brauche. Was meint Frau Gömpel dazu?
    fragt man sich hier. Oder ist dies die Antwort:


"Bedauerlicherweise mussten die Projektnehmer in der Zwischenzeit
feststellen, dass auch diese Ergebnisse nicht dazu geeignet sind,
den Widerstand in der bibliothekarischen Öffentlichkeit zu
überwinden"
    Was genau sind die Bedenken der Öffentlichkeit, und was wäre dazu
    zu sagen? Es hat, zusammengefaßt von Frau Wiesenmüller, genügend
    inhaltsbetonte und konstruktive Beiträge gegeben, die mehr als
    diesen pauschalen Hinweis von Seiten des StA verdienen.
    Die Öffentlichkeit will immer noch überzeugt und motiviert werden.
    Kann das in dieser Weise gelingen? Nebenbei:
    Der Umstieg auf MARC21 stieß und stößt nicht auf Widerstände.


"Dieser Umstand hindert derzeit auch die Befürworter im StA,
einen Umstieg generell durchzusetzen."
    Daran hindert sie mehr noch die fehlende Befugnis.
    Sie mußten deswegen ja den ursprünglichen Beschluß vom 6.12.2001
    entscheidend modifizieren. Widerstände dürften sich leichter
    überwinden lassen, wenn man solche Dinge zugibt, statt sie
    unerwähnt im Raum stehen zu lassen.


"Des Weiteren hat der StA die aktive Teilnahme am Geneseprozess
der AACR3 beschlossen."
    Was wird getan, um diesen Beschluß umzusetzen? Meines Wissens
    sitzen noch nicht einmal die spanischsprechenden Länder, die
    seit langem ihre AACR-Varianten anwenden, im Joint Steering
    Committee.
    Zugleich ist aber damit gesagt, daß nun AACR2 als Auslauf-
    modell zu gelten hat. Der "Strategic Plan" für AACR3 läßt
    genügend deutlich erkennen, daß ein größerer Umbruch bevorsteht.


Frau Gömpel referiert ferner die Beschlüsse des StA vom 15.12.04,
die, was Regelwerksfragen angeht, nicht über das hinausgehen,
was man sich im RAK2-Umfeld schon als Ziele vorgestellt hatte.
Der Leser fragt sich hier einmal mehr, warum denn die
Verdienste der an RAK2 Beteiligten mit keinem Wort erwähnt
werden, was ja auch Kollege Winkler (Wien) vorgestern anklingen ließ.
Auch mir ist das völlig unerklärlich, das kann ich an dieser Stelle
nicht verschweigen.
Immerhin waren Hans Popst und Monika Münnich die Initiatoren und
Hauptakteure der Übersetzung der AACR2, einem deutsch-amerikanischen
Grassroots-Gemeinschafts-Kraftakt. Die Deutsche Bibliothek war
meines Wissens (korrigieren Sie mich!) daran unbeteiligt.
Frau Münnich ist inzwischen auch maßgeblich an einer Übersetzung
der FRBR beteiligt, die schon weit gediehen ist. Das alles ist
allgemein bekannt, aber sollte man es nicht eben deswegen in
diesem Zusammenhang auch gebührend herausstellen?
Ergebnis der Bemühungen von Popst/Münnich sind u.a. die
Regelwerks-Datenbank und die vorliegenden (und wie gestern
berichtet, bereits sehr stark genutzten) RfK-Entwürfe. Diese
machen sehr weite, aber differenzierte Vorstöße in Richtung
auf AACR. Gehören also zum Thema, fehlen aber in Gömpels Beitrag.

Frau Gömpel erwähnt ferner ein sehr wichtiges Projekt nicht, und auch
in anderen Berichten kommt dieses regelmäßig zu kurz: Die VIAF. Und
daran *ist* die Deutsche Bibliothek beteiligt.
Wenn die Ansetzungssprache Deutsch sein soll, geht das gar nicht
ohne VIAF. Aber mit VIAF relativiert sich entscheidend die
Notwendigkeit und Bedeutung eines Umstiegs: es bleibt dann nur die
Entitätenfrage. Die stand auf der Agenda von RAK2.

Am Schluß schreibt Frau Gömpel:

"Der eingeschlagene Weg einer schrittweisen Internationalisierung ...
birgt aber auch Risiken und Gefahren - es handelt sich um eine
langwierige und schwierige Vorgehensweise..."
    Wäre deswegen eine Hauruck-Aktion besser? Wie sollte man sie
    aber durchführen? Das Projekt hat auf Verfahrensfragen
    keine Antwort gegeben, obwohl dies zur Aufgabe gehörte und im
    Projektbeirat auch als wichtig angesprochen wurde.

"Die deutschen Bibliotheken sollten jetzt ... ihre Chance wahr-
nehmen und sich ... aktiv an der Entwicklung internationaler
Standards beteiligen"
    Frau Münnich hatte das schon lange getan. Aber gut, wo liegen
    die konkreten Chancen und was ist zu ihrer Ergreifung zu tun?
    Wieviele und welche Personen mit welchen Kompetenzen sollten sich
    beteiligen, wer wird die Sache auf Dauer finanzieren? Denn es
    geht nicht um ein befristetes Projekt, hier wäre ein dauerhaftes
    Engagement notwendig, auch von Seiten der Unterhaltsträger.
    RAK2 war demgegenüber ein vergleichsweise kleines Projekt!

Soweit meine Eindrücke. Ich lasse mich gerne in jedem Punkt
korrigieren.
Renate Gömpels Beitrag kann, summa summarum, in mir den Eindruck noch 
nicht zerstreuen, wir könnten heute über mehr als einen Silberstreif 
reden, wäre RAK2 offiziell weitergeführt worden. Immerhin wissen wir 
dank des Projektes aber jetzt umso besser, daß wir RAK2 brauchen.








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