[rak-list] Aufsatzbände und RDA - Teil 2

Heidrun Wiesenmüller wiesenmueller at hdm-stuttgart.de
Son Jul 4 13:30:37 CEST 2010


Lieber Herr Berger,


> "Compilation" ist wohl recht eng im Sinne von Anthologie, Chrestomathie und
> Collected Works zu verstehen.

So war das bisher in AACR2, aber ich habe eben den Eindruck, dass es in 
RDA nun subtil erweitert worden ist.



>   19.2.1 erzwingt eigentlich sogar die Ansetzung
> aller Aufsatzverfasser und *aller* Photographen in Luftbildbaenden, aller
> Kuenstler in Ausstellungskatalogen etc.:
>
> "If the resource being described contains two or more works associated with
> different persons, families, or corporate bodies, record the persons, families,
> and corporate bodies associated with each of the works in the aggregate resource
> as instructed under 19.2–19.3"
> (ich sehe hier kein Limit, nicht einmal fuer "Core")
>    

Danke für diesen Hinweis, den Passus hatte ich nicht richtig beachtet. 
Hier klingt es auf den ersten Blick wirklich so, als müsste jeder 
Aufsatzverfasser eingetragen werden, da er schließlich Creator (und 
damit Kernelement) des enthaltenen Werkes ist. Das ist aber vermutlich 
nicht gemeint, sondern nur, dass man - sofern man etwas davon erfasst - 
dies gemäß den normalen Regeln tun müsse. Einen Zwang, die Aufsätze zu 
erfassen, kann es m.E. nach der RDA-Logik nicht geben, da die Beziehung 
zwischen Gesamtwerk und Aufsatz eine "related work"-Beziehung ist, und 
diese sind gemäß Kap. 25 keine Kernelemente.

Damit bleibt für mich allerdings immer noch das Problem bestehen, dass 
es offenbar nicht mehr möglich ist, vom Gesamtwerk eine Beziehung zu 
einem Aufsatzverfasser herzustellen, ohne eine related-work-Beziehung 
aufzubauen. Angesichts des vorherrschenden Konservatismus unter den 
angloamerikanischen Kollegen finde ich das, ehrlich gesagt, schwer 
vorstellbar. Die Kollegen müssten dann stets einen Name-title-entry 
machen anstatt einer normalen Nebeneintragung unter der Person.


>
> A person, family, or corporate body responsible for compiling an aggregate work
> may be considered to be a creator of the compilation if the selection,
> arrangement, editing, etc., of content for the compilation effectively results
> in the creation of a new work.
>    

Über diesen Punkt scheint ausführlich diskutiert worden zu sein, und es 
gab in diesem Bereich auch einige Änderungen. Der Herausgeber einer 
Festschrift gilt nach dem jetzigen RDA-Stand definitiv nicht als 
Creator, wie die Beispiele unter "contributor" (20.2.1.3) zeigen. Da 
taucht die Festschrift "Music in the classic period : essays in honor of 
Barry S. Brook / [edited by] Allan W. Atlas" wieder auf, und Herr Atlas 
wird als Contributor (und nicht Creator) eingeordnet.



>
> Beitraeger als Verfasser von Aufsaetzen etc. sind m.E. nicht "*jointly*
> responsible" fuer die Entstehung des Sammelwerks, diese Verantwortung tragen
> ueblicherweise die Herausgeber.
>    

Diese Argumentation kann ich durchaus nachvollziehen, nur entsprach das 
nach meinem Kenntnisstand der AACR2 bisher eben nicht dem 
angloamerikanischen Verständnis. Ich denke auch, dass die Grenze hier 
fließend ist: Wenn für ein medizinisches Handbuch die einzelnen Kapitel 
auf mehrere Personen aufgeteilt werden, ist das m.E. nicht so viel 
anders, als wenn mehrere Leute zu einem bestimmten Thema Aufsätze zu 
verschiedenen Aspekten beisteuern. Genau deswegen wollten sich wohl die 
RAK auf eine solche Diskussion gar nicht einlassen, sondern haben ein 
rein formales Kriterium gewählt (ob man sehen kann, wer welchen Teil 
geschrieben hat, oder nicht). Bisher wurden m.W. beide Typen nach AACR2 
gleich behandelt (beides "shared responsibility"), und nur die Zahl der 
Beteiligten entschied darüber, ob es ein Sachtitelwerk wurde. Jetzt wird 
der zweite Fall als compilation betrachtet, der erste weiterhin als 
gemeinsame Verantwortung. Ich argwöhne, dass man es nicht wirklich 
anders sieht als bisher, sondern einfach der unerwünschten Konsequenz 
aus dem Weg gehen wollte, die Haupteintragung unter dem ersten 
Aufsatzverfasser zu machen.



>
> Interessant natuerlich die Frage nach der "Schoepfungshoehe", also ob eine
> Festschrift ein Sammelwerk ist ("*if* the selection ... effectively results
> in the creation of a new work") und welche Alternativen das "may be
> considered" wirklich eroeffnet: Beispiele gibt es nicht.
>    


Solche Beispiele sind schon vorhanden, aber gemeinerweise nicht 
spezifisch gekennzeichnet. Unter "One Person Responsible for the 
Creation of the Work" by 19.2.1.3 findet sich z.B. dieser Titel:
Same-sex marriage : a selective bibliography of the legal literature / 
compiled by Paul Axel-Lute

Vgl. dazu den Eintrag im Blog von John Attig über das JSC-Treffen im 
März 2009:
"It was confirmed that compilers are only considered to be creators in 
the case of compilation of factual information (e.g., bibliographies, 
dictionaries), but not in the case of compilations of aggregate works.  
In other words, there was no intention to change the AACR2 rules 
relating to collections, which will be entered under the preferred 
title.  6.27.1.4 will be revised to clarify this, as will the 
definitions of Compiler and Editor of Compilation in Appendix I."
http://www.personal.psu.edu/jxa16/blogs/resource_description_and_access_ala_rep_notes/2009/03/report-on-the-meeting-of-the-joint-steering-committee-31709.html

Im Anhang I heißt es entsprechend
"compiler: A person, family, or corporate body responsible for creating 
a new work (e.g., a bibliography, a directory) through the act of 
compilation, e.g., selecting, arranging, aggregating, and editing data, 
information, etc. For a compiler as a contributor, see editor of 
compilation,  I.3.1"


> Ganz weit unten in den Beispielen zu 19.2 ein ganzer Block "Works Reporting the
> Collective Activity of a Conference, Expedition, or Event" wo die Konferenz als
> "creator" von Proceedings angesetzt wird, nicht jedoch die Herausgeber. Das
> duerfte aber ziemlich der AACR2-Praxis entsprechen und laesst sich nicht
> auf andere Sammelwerke uebertragen.
>    

Ja, das ist in der Tat ein Sonderfall. Kongressbände gehören nach AACR2 
zu den Fällen, wo die Kongresskörperschaft die Haupteintragung bekommt. 
An solchen Dingen sollte ja nichts geändert werden, folglich muss die 
Kongresskörperschaft als Creator aufgefasst werden.


> RDA 19 betraf aber die Ebene "Work", Aufsaetze in Sammelbaenden sind (? ich
> wusste nicht, dass FRBR for aggregations schon Ergebnisse geliefert hat) aber
> auch Expressions der Aufsaetze als eigene Werke (oder ist die Logik eine
> andere: dasselbe Sammelwerk haette auch ein anderer Editor hinbekommen, daher
> ist er mit der Expression assoziiert?), jedenfalls ist zusaetzlich RDA 20
> zu beachten. Hier fallen dann die Herausgeber in die grosse Klasse der
> "Contributors" und bei den Beispielen hier sind Festschriften, Proceedings
> und andere Formen thematischer Sammelwerke.
>
> Was nun die einzelnen Beitraege angeht: "Aggregated work" taucht ausgerechnet
> in RDA 6.x ueberraschenderweise ueberhaupt nicht auf.
>    

Es gab ja eine nicht ganz unberechtigte Kritik an RDA, dass man sich mit 
FRBR auf ein Modell stütze, das nicht wirklich getestet ist. Ich selbst 
bin ein großer FRBR-Fan, aber in der Tat sind die "aggregate works" ein 
wunder Punkt. Bisher ist das alles nicht wirklich geklärt, und wenn man 
erstmal mit Nachdenken anfängt, kommt man immer schnell zu Problemen und 
Widersprüchen. Es gibt seit 2005 (!) eine Arbeitgruppe zu Aggregates, 
von der ich aber bisher nicht mal ein vorläufiges Papier zu Gesicht 
bekommen habe. Auf der Homepage steht auch nicht viel darüber:
http://www.ifla.org/node/923




> RDA 7.10 verweist bezueglich "For instructions on recording contents as
> whole-part relationships see chapter 25" fuer meinen Geschmack irgendwie ins
> Leere (dort geht es ja hauptsaechlich um Bearbeitungen).
>    

Kap. 25 sollte man ergänzend den Anhang J anschauen, werden dort unter 
J.2.4 auch "whole-part work relationships" angesprochen, u.a.:

"contained in (work) A larger work of which a part is a discrete component."
bzw. umgekehrt "contains (work) A work that is a discrete component of a 
larger work."

Im Kap. 25 gibt es auch Beispiele für "contained in"- und 
"contains"-Relationen, die allerdings ausschließlich dem Typ der 
früheren "collection" entsprechen, z.B.:

Contains: Davis, Jack, 1917–2000. Dreamers
Contains: Johnson, Eva. Murras
Contains: Walley, Richard. Coordah
Contains: Maza, Bob, 1939–2000. Keepers
Resource described: Plays from Black Australia / Jack Davis, Eva 
Johnson, Richard Walley, Bob Maza ; with an introduction by Justine 
Saunders. An anthology of four plays


> Ich habe die RDA noch laengst nicht auch nur annaehernd durchdrungen, sehe
> aber die ueblichen Freiheiten
> - - bei der Wahl der Ressource, die da beschrieben werden soll
> - - beim ob und wie "Inhalt" in Form von "Notes" beschrieben wird
> - - bei der "Erschliessungstiefe", also inwieweit nicht-primaere Bezuege
>    ermittelt und notiert werden.
>
> Insofern wird man also einen Sammelband weiterhin ohne Hinweis darauf
> katalogisieren koennen, dass er Aufsaetze etc. enthaelt (ausser, vgl.
> 2.4.1.4 die Beitraeger werden prominent genannt und werden im Rahmen
> der "Statements of responsibility" notiert). Es gibt weder einen Zwang,
> enthaltene Werke in irgendeiner Fussnote zu verbuddeln, noch die
> umgekehrte Forderung, Einzelaufnahmen fuer Aufsaetze zu veranstalten.
> Und - soweit ich das sehe - auch keine Aufforderung, entweder das eine
> oder das andere zu tun: keine der beiden Moeglichkeiten wird ja auch
> nur thematisiert.
>    

Da stimme ich Ihnen völlig zu. Aber trotz aller Freiheit scheint die 
bisherige Praxis nicht mehr möglich zu sein, eine schlichte 
Nebeneintragung unter dem erstgenannten Beiträger zu machen, ohne große 
Kapriolen zu schlagen - das finde ich weiterhin erstaunlich. Ich bin 
gespannt, ob man beim amerikanischen Test auf dieses Problem stoßen wird.

Viele Grüße
Heidrun Wiesenmüller


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Prof. Heidrun Wiesenmüller M.A.
Hochschule der Medien
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