[rak-list] Aufsatzbände und RDA - Teil 2
Heidrun Wiesenmüller
wiesenmueller at hdm-stuttgart.de
Sam Jul 3 18:01:41 CEST 2010
*** und hier der Rest des Textes (der Anfang steht in der Mail mit dem
Betreff "Teil 1" ***
Dass dies eine nicht sehr sinnvolle Lösung wäre, liegt auf der Hand.
Deshalb wunderte ich mich schon darüber, dass es keinen Aufschrei unter
den amerikanischen Kollegen gab. Nun habe ich verstanden, warum: Mit
einem kleinen Trick sorgen die RDA-Verantwortlichen nämlich dafür, dass
Aufsatzbände weiterhin die Haupteintragung unter dem Sachtitel erhalten.
Und das geht so:
Der Terminus "collection" wird in RDA ganz anders verwendet als bisher
(Definition im Glossar: "A group of resources assembled by a person,
family or corporate body from a variety of sources"). Die "collection of
independent works by different persons or bodies" der AACR2 taucht in
RDA nun auf als "compilation of works by different persons, families, or
corporate bodies". Man beachte, dass das Wort "independent" entfallen
ist! Dieser Typ erhält weiterhin die Haupteintragung unter dem
Sachtitel: "If the work is a compilation of works by different persons,
families, or corporate bodies, construct the authorized access point
representing the work using the preferred title for the compilation"
(6.27.1.4).
Die darunter stehenden Beispiele scheinen auf den ersten Blick vom Typ
her genau denen zu entsprechen, die in AACR2 bei den "collections"
stehen, z.B.:
Anthologie de la poésie baroque française / textes choisis et présentés
par Jean Rousset
Exploring the Olympic Mountains : accounts of the earliest expeditions,
1878–1890 / compiled by Carsten Lien
Aber plötzlich ist - schwupps! - auch ein Beispiel für einen ganz
normalen Aufsatzband (hier: eine Festschrift) hineingerutscht:
Music in the classic period : essays in honor of Barry S. Brook /
[edited by] Allan W. Atlas
Als ich das nun bemerkte, habe ich voller Spannung nach der Definition
der RDA für "compilation" gefahndet - leider vergeblich, da ein Eintrag
im Glossar der RDA fehlt. Auch im Haupttext wird nicht näher erklärt, wo
der Unterschied zwischen der "compilation" und dem "collaborative work"
("two or more persons, families, or corporate bodies are collaboratively
responsible for creating the work", 6.27.1.3) liegt. Mit dem bisherigen
Kriterium war die Unterscheidung gut handhabbar, künftig dürfte sie
häufig schwierig werden.
Auch die innere Logik der RDA wird durch den "compilation"-Passus
gestört. Denn auf der Basis der in in 19.2.1.1 gegebenen Definition von
"creator" hätte man m.E. eigentlich keinen Grund, den Aufsatzverfassern
den Status von "Schöpfern" in Bezug auf das Gesamtwerk zu verweigern:
"Creators include persons, families, or corporate bodies jointly
responsible for the creation of a work. Persons, families, or corporate
bodies jointly responsible for the creation of a work may perform the
same role (e.g., as in a collaboration between two writers), or they may
perform different roles (e.g., as in a collaboration between a composer
and a lyricist)." Wenn man einen Beitrag für einen Aufsatzband liefert,
dessen Thema und Konzept man i.d.R. kennt, so betrachtet man sich doch
wohl zu Recht als "Mit-Schöpfer" des Gesamtwerks, oder?
Wenn dies aber nicht gewünscht war und die Aufsatzverfasser nur als
Schöpfer eines Teil-Werkes (des eigenen Aufsatzes) gelten sollen, so
hätte man m.E. an dieser Stelle explizit etwas zu Kompilationen sagen
müssen - und natürlich auch im Kapitel 6 im Text klar machen müssen, wie
die Aufsatzbände einzuordnen sind. Stattdessen wird nur implizit -
nämlich nur durch ein einziges Beispiel - gezeigt, dass der Typ
"compilation" nunmehr (anders als sein Pendant in AACR2) auch klassische
Aufsatzbände umfasst. Das ist schon eine etwas merkwürdige Methode.
Und sie wirft neue Fragen auf: Welche Rolle haben denn dann die
Aufsatzverfasser in Bezug auf die "Kompilation" (die doch zweifelsohne
ein eigenes Werk darstellt), wenn sie nicht deren Schöpfer sind?
Konkret: Wenn auf der Haupttitelseite ein Dutzend Beiträger aufgeführt
sind und man weiterhin (wie nach RAK und AACR2) dem ersten davon eine
Nebeneintragung geben möchte, wie macht man das in der RDA-Welt? Geht es
nur in der Weise, dass man den ganzen Aufsatz als in Beziehung stehendes
Werk in Relation setzt? Das wäre deutlich mehr Aufwand als bisher.
Andererseits scheint es wirklich keine Möglichkeit zu geben, nur die
Person als Beziehung zu erfassen. Denn: welcher Kategorie wäre sie im
System der RDA zuzuordnen? Auf der Ebene des Werkes kennt RDA neben dem
Schöpfer noch "other person, family, or corporate body associated with a
work" (19.3.1.1), worunter z.B. Adressaten von Korrespondenz oder
gefeierte Personen gehören - hierhin passen die Aufsatzverfasser sicher
ebensowenig wie zu den "contributors" (20.2.1.1), d.h. Personen und
Körperschaften, die mit einer Expression in Beziehung stehen (z.B.
Herausgeber und Übersetzer).
Kaum hat man eine Frage geklärt, so stellt sich schon die nächste. Für
sachdienliche Hinweise aller Art bin ich dankbar!
Viele Grüße
Heidrun Wiesenmüller
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Prof. Heidrun Wiesenmüller M.A.
Hochschule der Medien
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