[rak-list] "Strategischer Kommentar" des CC:DA zum RDA-Entwurf

Heidrun Wiesenmüller wiesenmueller at hdm-stuttgart.de
Tue Feb 3 17:50:53 CET 2009


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Herr Eversberg hatte jüngst schon auf die RDA-Stellungnahme des CC:DA 
hingewiesen. Der komplette Text ist inzwischen auf der Homepage 
zugänglich: http://www.libraries.psu.edu/tas/jca/ccda/docs/chair46.pdf
Vor allem die etwas längere Fassung (ab S. 7) lohnt die Lektüre. Im 
Folgenden gebe ich einige Passagen daraus wieder und kommentiere sie.

In der Einleitung (S. 7) wird deutlich, dass es den KollegInnen nicht 
leicht fällt, sich so drastisch über den derzeitigen Stand der RDA zu 
äußern ("The following comments (...) are admittedly strongly stated"), 
doch fühle man sich zu den deutlichen Worten verpflichtet. Es ist keine 
Frage, dass das CC:DA die Entwicklung eines modernen Regelwerks 
unterstützt: "We understand fully and passionately feel the need for a 
new, forward looking code." Es wird auch zugestanden, dass sich RDA in 
die richtige Richtung bewegt und einige gute Ansätze zeigt. Kritisiert 
werden jedoch die vielen eingegangenen Kompromisse (der hier schon öfter 
angesprochene Wegfall einleitender Artikel beim "preferred title" für 
ein Werk ist dafür ja ein gutes Beispiel) und der "mechanistic approach 
taken". Den letzten Vorwurf kann jeder nachvollziehen, der sich einmal 
in die Entwürfe vertieft hat. Das CC:DA befürchtet, dass die derzeitige 
Entwicklung eine neue "crisis in cataloging" auslösen wird und stellt 
fest: "At present, RDA is unteachable and unusable as a cataloging 
code." Ich selbst habe übrigens in der vergangenen Woche in einem 
Vertiefungsseminar zur Formalerschließung einige RDA-Passagen 
durchgearbeitet und kann bestätigen, dass den Bachelor-Studierenden das 
Eindringen in derartige Texte extrem schwer fiel.

Die Hauptkritik des CC:DA ist zum einen die mangelnde Lesbarkeit ("the 
overall lack of readability") und der Vorwurf, dass RDA die Mehrzahl der 
selbstgesteckten Ziele verfehle. Diese Bedenken seien, so heißt es 
weiter, so schwerwiegend und dabei so lange ignoriert worden, dass man 
sogar ernsthaft darüber nachgedacht habe, die Unterstützung der ALA vom 
RDA-Projekt abzuziehen ("we seriously considered the "nuclear option" of 
withdrawing ALA participation from RDA development and implementation). 
Dazu kommen dann noch die zweitrangigen Bedenken ("secondary concerns") 
wegen der nicht geplanten Print-Ausgabe, des immer noch nicht 
präsentierten Online-Tools und der fehlenden Informationen zur 
Preisgestaltung.

Im "Main Report" (ab S. 8) werden zunächst die Ziele aufgeführt, die ein 
modernes Regelwerk erfüllen müsste. U.a. ist hier explizit von 
relationalen Datenbanken die Rede, aber auch von dem Bedürfnis, 
"cost-effective for budget-minded library instutions" zu sein. Das CC:DA 
drängt auch darauf, von AACR2-Einzelregelungen für unterschiedliche 
Materialarten wegzukommen (die noch ja dazu oft inkonsistent sind) und 
stärker mit "broad, underlying principles" zu arbeiten, die dann auch 
leicht auf neuartige Materialien übertragen werden könnten: Das neue 
Regelwerk müsse "principled and adaptable to an ever-evolving flux of 
digital possibilities" sein.

Die scharfe Kritik am Stil des Regelwerks wird auf S. 9 konkretisiert, 
u.a. die "endless redundancy", die vielen Fälle, in denen eine Regel nur 
auf eine andere verweist und die noch immer vorkommenden zirkulären 
Definitionen. (Dazu hier mal ein schönes Beispiel: 8.6: "When 
constructing a preferred access point to represent a person (...), use 
the preferred name for the person (...) as the basis for the access 
point." und dagegen 9.2.2.1: "The preferred name for the person is the 
name or form of name chosen as the basis for the preferred access point 
representing that person."). Persönlich halte ich diese Kritik zwar für 
vollauf gerechtfertigt, glaube aber trotzdem, dass dieser Punkt nicht so 
ausschlaggebend sein wird. Denn m.E. werden am Ende ohnehin nicht die 
RDA selbst das Werkzeug der Wahl sein, sondern zum einen die Rule 
Interpretations verschiedener Bibliotheken und Verbünde sowie zum 
anderen die zu erwartende Fülle von RDA-Handbüchern. Für die AACR2 gibt 
es beispielsweise eine ganze Reihe von ausgezeichneten und gut lesbaren 
Lehr- und Arbeitsbüchern, die von den Katalogisierern vermutlich weit 
öfter zu Rate gezogen werden als das Regelwerk selbst.

Auf S. 9f. geht es um die Problematik der nicht geplanten Print-Version. 
Es wird daran erinnert, dass es auch Institutionen und Personen gibt, 
die u.U. mit einer Print-Version oder wenigstens einer statischen 
E-Book-Ausgabe besser bedient wären: "libraries with limited financial 
resources to access an online product; libraries with limited need to 
access the rules; training and educational institutions; individuals 
seeking to use the rules; and institutions with limited connectivity to 
electricity, the internet, or both." Bedenken hat man vor allem auch 
wegen des geplanten Preismodells (kein einmaliger Kauf, sondern 
regelmäßige Lizenzgebühren). Letzteres macht auch mir ziemliches 
Bauchweh...!

Das noch immer fehlende Online-Interface wird auf S. 10 angesprochen. In 
der Tat ist es ja ausgesprochen peinlich, dass bis heute nichts von dem 
Demo auf www.rdaonline.org zu sehen ist. Bis weit in den Januar hinein 
konnte man dort lesen, dass das Demo noch vor Weihnachten präsentiert 
werde; dann war zeitweilig überhaupt keine Ankündigung mehr zu sehen. 
Jetzt heißt es, dass das Demo "in early February" kommen wird (ich bin 
gespannt!). Das CC:DA kommentiert dazu: "At this point, no one knows 
what RDA online will look like or how it will work. As we have 
repeatedly been told that navigation in the online interface will 
address the many ongoing concerns throughout the drafting process with 
respect to repetition and poor organization, we are understandably 
anxious to see how these claims will hold up."

Auf S. 11 kommt man noch einmal auf die unbekannten Kosten für den 
RDA-Zugang zurück. Die schon früher vorhandenen Bedenken seien nun in 
der Finanzkrise noch größer geworden. "Lacking any information, there is 
deep and widespread anxiety about the potential pricing structure of 
RDA." Persönlich glaube ich zwar auch, dass RDA unerfreulich teuer 
werden wird, bin mir aber auf der anderen Seite sicher, dass die Kosten 
für den RDA-Zugang vor den Gesamtkosten verblassen werden, die ein 
Umstieg auf eine deutsche RDA-Version mit sich bringen wird.

Weiter geht es mit einer Auflistung der nicht erfüllten Ziele der RDA: 
Außer der "clarity" fehle (S. 12) u.a. auch die "rationality", weil 
viele willkürliche AACR2-Regeln beibehalten werden. Auch "currency" and 
"adaptability" werden dem Entwurf abgesprochen: "the instructions remain 
at their heart a detailed accounting of existing cataloging rules". 
Besonders hervorgehoben werden noch einmal die zu erwartenden 
Schwierigkeiten beim "training of new and old catalogers".

Kritisiert wird auch (S. 13) das unerbittliche Festhalten an den eng 
gestrickten Zeitplänen, das zu einem ellenlangen Dokument mit ungelösten 
und aufgeschobenen Fragen geführt habe. Es sei daran erinnert, dass auch 
viele grundsätzliche Punkte aus den deutschen Stellungnahmen 
zurückgestellt worden sind.

Auf eine gewisse Schizophrenie - die m.E. eigentlich jedem von 
vorneherein klar sein musste - wird auf S. 13 abgehoben: Auf der einen 
Seite sollte RDA "a brand new code" sein, mit einer ganz neuen Grundlage 
und einer neuen Struktur, aber auf der anderen Seite war es vorrangig, 
dass man irgendwie die alten Regeln in die neue Form hineinzwängt: "So 
out of one side of the mouth comes, 'Forget AACR2; this is a brand new 
code for the new millennium!' But out of the other side of the mouth 
comes, 'We don't have time to change what it is we were doing under 
AACR2; wait until we get all this published, then ask for changes.'" In 
der Tat muss man ja nur ein bisschen an der RDA-Oberfläche kratzen, um 
AACR2 zum Vorschein zu bringen. Und dies ist ja auch ein erklärtes Ziel 
der RDA (vgl. 02: die Integration von RDA-Daten in existierende 
AACR-Datenbanken "has been recognized as a key factor in the design of 
RDA.").

Ich habe den Eindruck, dass die RDA regelrecht über's Knie gebrochen 
werden sollen. Auch das CC:DA kritisiert die inakzeptabel kurzen 
Kommentarfristen (S. 13) und weist darauf hin, dass auch schon der 
Verdacht geäußert worden sei, die Motivation für die Eile sei 
finanzieller Natur: AACR2 lasse sich nicht mehr verkaufen, weil der 
Markt saturiert sei; deshalb brauche man ein neues Regelwerk "to 
reinvigorate that revenue stream". Es wird nicht ganz klar, ob dieser 
Kommentar ernst gemeint ist - aber dass er überhaupt in einem solchen 
Dokument gemacht wird, zeigt schon sehr deutlich, wie groß der Frust ist.

Am Ende (S. 14) werden dann schließlich doch noch einige positive 
Entwicklungen hervorgehoben, insbesondere die FRBRisierung der RDA. 
Erwähnt werden hier übrigens auch die "efforts to internationalize RDA, 
recasting the rules in ways that make it adoptable across various 
languages and scripts". Nun, den guten Willen würde ich auch niemandem 
absprechen wollen ;-)

Viele Grüße
Heidrun Wiesenmüller



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Prof. Heidrun Wiesenmüller M.A.
Hochschule der Medien
Fakultät Information und Kommunikation
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wiesenmueller at hdm-stuttgart.de



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