[rak-list] "Strategischer Kommentar" : Kosten

Margarete Payer payer at hdm-stuttgart.de
Wed Feb 4 11:44:03 CET 2009


Liebe Frau Wiesenmüller, liebe Kolleginnen und Kollegen,

herzlichen Dank an Frau Wiesenmüller für Ihre ausführliche Mail!

Ich bin froh, dass die Kostenseite auch in den USA gesehen wird. Man
scheint zu übersehen, dass die AACR2 wirklich ein weltweit benutztes
Regelwerk ist und dass RDA das auch sein sollte. Weiß man es nicht oder
will man es nicht wissen, dass die Mehrheit der Bibliotheken in Asien,
Afrika und Lateinamerika sich keine solchen Lizenzen erlauben können bzw.
eine entsprechend schnelle Internetanbindung noch gar nicht haben?

Das Ergebnis wird doch sein, dass die Mehrheit der Bibliotheken in der
Welt RDA gar nicht nehmen können und bei AACR2 (nach meiner Erfahrung ist
das manchmal noch AACR eins)bleiben werden, also wird RDA die Kluft
(digital divide) vertiefen und keineswegs so international sein, wie wir
das wollten.

Schöne Grüße
Margarete Payer


> Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
>
> Herr Eversberg hatte jüngst schon auf die RDA-Stellungnahme des CC:DA
> hingewiesen. Der komplette Text ist inzwischen auf der Homepage
> zugänglich: http://www.libraries.psu.edu/tas/jca/ccda/docs/chair46.pdf
> Vor allem die etwas längere Fassung (ab S. 7) lohnt die Lektüre. Im
> Folgenden gebe ich einige Passagen daraus wieder und kommentiere sie.
>
> In der Einleitung (S. 7) wird deutlich, dass es den KollegInnen nicht
> leicht fällt, sich so drastisch über den derzeitigen Stand der RDA zu
> äußern ("The following comments (...) are admittedly strongly stated"),
> doch fühle man sich zu den deutlichen Worten verpflichtet. Es ist keine
> Frage, dass das CC:DA die Entwicklung eines modernen Regelwerks
> unterstützt: "We understand fully and passionately feel the need for a
> new, forward looking code." Es wird auch zugestanden, dass sich RDA in
> die richtige Richtung bewegt und einige gute Ansätze zeigt. Kritisiert
> werden jedoch die vielen eingegangenen Kompromisse (der hier schon öfter
> angesprochene Wegfall einleitender Artikel beim "preferred title" für
> ein Werk ist dafür ja ein gutes Beispiel) und der "mechanistic approach
> taken". Den letzten Vorwurf kann jeder nachvollziehen, der sich einmal
> in die Entwürfe vertieft hat. Das CC:DA befürchtet, dass die derzeitige
> Entwicklung eine neue "crisis in cataloging" auslösen wird und stellt
> fest: "At present, RDA is unteachable and unusable as a cataloging
> code." Ich selbst habe übrigens in der vergangenen Woche in einem
> Vertiefungsseminar zur Formalerschließung einige RDA-Passagen
> durchgearbeitet und kann bestätigen, dass den Bachelor-Studierenden das
> Eindringen in derartige Texte extrem schwer fiel.
>
> Die Hauptkritik des CC:DA ist zum einen die mangelnde Lesbarkeit ("the
> overall lack of readability") und der Vorwurf, dass RDA die Mehrzahl der
> selbstgesteckten Ziele verfehle. Diese Bedenken seien, so heißt es
> weiter, so schwerwiegend und dabei so lange ignoriert worden, dass man
> sogar ernsthaft darüber nachgedacht habe, die Unterstützung der ALA vom
> RDA-Projekt abzuziehen ("we seriously considered the "nuclear option" of
> withdrawing ALA participation from RDA development and implementation).
> Dazu kommen dann noch die zweitrangigen Bedenken ("secondary concerns")
> wegen der nicht geplanten Print-Ausgabe, des immer noch nicht
> präsentierten Online-Tools und der fehlenden Informationen zur
> Preisgestaltung.
>
> Im "Main Report" (ab S. 8) werden zunächst die Ziele aufgeführt, die ein
> modernes Regelwerk erfüllen müsste. U.a. ist hier explizit von
> relationalen Datenbanken die Rede, aber auch von dem Bedürfnis,
> "cost-effective for budget-minded library instutions" zu sein. Das CC:DA
> drängt auch darauf, von AACR2-Einzelregelungen für unterschiedliche
> Materialarten wegzukommen (die noch ja dazu oft inkonsistent sind) und
> stärker mit "broad, underlying principles" zu arbeiten, die dann auch
> leicht auf neuartige Materialien übertragen werden könnten: Das neue
> Regelwerk müsse "principled and adaptable to an ever-evolving flux of
> digital possibilities" sein.
>
> Die scharfe Kritik am Stil des Regelwerks wird auf S. 9 konkretisiert,
> u.a. die "endless redundancy", die vielen Fälle, in denen eine Regel nur
> auf eine andere verweist und die noch immer vorkommenden zirkulären
> Definitionen. (Dazu hier mal ein schönes Beispiel: 8.6: "When
> constructing a preferred access point to represent a person (...), use
> the preferred name for the person (...) as the basis for the access
> point." und dagegen 9.2.2.1: "The preferred name for the person is the
> name or form of name chosen as the basis for the preferred access point
> representing that person."). Persönlich halte ich diese Kritik zwar für
> vollauf gerechtfertigt, glaube aber trotzdem, dass dieser Punkt nicht so
> ausschlaggebend sein wird. Denn m.E. werden am Ende ohnehin nicht die
> RDA selbst das Werkzeug der Wahl sein, sondern zum einen die Rule
> Interpretations verschiedener Bibliotheken und Verbünde sowie zum
> anderen die zu erwartende Fülle von RDA-Handbüchern. Für die AACR2 gibt
> es beispielsweise eine ganze Reihe von ausgezeichneten und gut lesbaren
> Lehr- und Arbeitsbüchern, die von den Katalogisierern vermutlich weit
> öfter zu Rate gezogen werden als das Regelwerk selbst.
>
> Auf S. 9f. geht es um die Problematik der nicht geplanten Print-Version.
> Es wird daran erinnert, dass es auch Institutionen und Personen gibt,
> die u.U. mit einer Print-Version oder wenigstens einer statischen
> E-Book-Ausgabe besser bedient wären: "libraries with limited financial
> resources to access an online product; libraries with limited need to
> access the rules; training and educational institutions; individuals
> seeking to use the rules; and institutions with limited connectivity to
> electricity, the internet, or both." Bedenken hat man vor allem auch
> wegen des geplanten Preismodells (kein einmaliger Kauf, sondern
> regelmäßige Lizenzgebühren). Letzteres macht auch mir ziemliches
> Bauchweh...!
>
> Das noch immer fehlende Online-Interface wird auf S. 10 angesprochen. In
> der Tat ist es ja ausgesprochen peinlich, dass bis heute nichts von dem
> Demo auf www.rdaonline.org zu sehen ist. Bis weit in den Januar hinein
> konnte man dort lesen, dass das Demo noch vor Weihnachten präsentiert
> werde; dann war zeitweilig überhaupt keine Ankündigung mehr zu sehen.
> Jetzt heißt es, dass das Demo "in early February" kommen wird (ich bin
> gespannt!). Das CC:DA kommentiert dazu: "At this point, no one knows
> what RDA online will look like or how it will work. As we have
> repeatedly been told that navigation in the online interface will
> address the many ongoing concerns throughout the drafting process with
> respect to repetition and poor organization, we are understandably
> anxious to see how these claims will hold up."
>
> Auf S. 11 kommt man noch einmal auf die unbekannten Kosten für den
> RDA-Zugang zurück. Die schon früher vorhandenen Bedenken seien nun in
> der Finanzkrise noch größer geworden. "Lacking any information, there is
> deep and widespread anxiety about the potential pricing structure of
> RDA." Persönlich glaube ich zwar auch, dass RDA unerfreulich teuer
> werden wird, bin mir aber auf der anderen Seite sicher, dass die Kosten
> für den RDA-Zugang vor den Gesamtkosten verblassen werden, die ein
> Umstieg auf eine deutsche RDA-Version mit sich bringen wird.
>
> Weiter geht es mit einer Auflistung der nicht erfüllten Ziele der RDA:
> Außer der "clarity" fehle (S. 12) u.a. auch die "rationality", weil
> viele willkürliche AACR2-Regeln beibehalten werden. Auch "currency" and
> "adaptability" werden dem Entwurf abgesprochen: "the instructions remain
> at their heart a detailed accounting of existing cataloging rules".
> Besonders hervorgehoben werden noch einmal die zu erwartenden
> Schwierigkeiten beim "training of new and old catalogers".
>
> Kritisiert wird auch (S. 13) das unerbittliche Festhalten an den eng
> gestrickten Zeitplänen, das zu einem ellenlangen Dokument mit ungelösten
> und aufgeschobenen Fragen geführt habe. Es sei daran erinnert, dass auch
> viele grundsätzliche Punkte aus den deutschen Stellungnahmen
> zurückgestellt worden sind.
>
> Auf eine gewisse Schizophrenie - die m.E. eigentlich jedem von
> vorneherein klar sein musste - wird auf S. 13 abgehoben: Auf der einen
> Seite sollte RDA "a brand new code" sein, mit einer ganz neuen Grundlage
> und einer neuen Struktur, aber auf der anderen Seite war es vorrangig,
> dass man irgendwie die alten Regeln in die neue Form hineinzwängt: "So
> out of one side of the mouth comes, 'Forget AACR2; this is a brand new
> code for the new millennium!' But out of the other side of the mouth
> comes, 'We don't have time to change what it is we were doing under
> AACR2; wait until we get all this published, then ask for changes.'" In
> der Tat muss man ja nur ein bisschen an der RDA-Oberfläche kratzen, um
> AACR2 zum Vorschein zu bringen. Und dies ist ja auch ein erklärtes Ziel
> der RDA (vgl. 02: die Integration von RDA-Daten in existierende
> AACR-Datenbanken "has been recognized as a key factor in the design of
> RDA.").
>
> Ich habe den Eindruck, dass die RDA regelrecht über's Knie gebrochen
> werden sollen. Auch das CC:DA kritisiert die inakzeptabel kurzen
> Kommentarfristen (S. 13) und weist darauf hin, dass auch schon der
> Verdacht geäußert worden sei, die Motivation für die Eile sei
> finanzieller Natur: AACR2 lasse sich nicht mehr verkaufen, weil der
> Markt saturiert sei; deshalb brauche man ein neues Regelwerk "to
> reinvigorate that revenue stream". Es wird nicht ganz klar, ob dieser
> Kommentar ernst gemeint ist - aber dass er überhaupt in einem solchen
> Dokument gemacht wird, zeigt schon sehr deutlich, wie groß der Frust ist.
>
> Am Ende (S. 14) werden dann schließlich doch noch einige positive
> Entwicklungen hervorgehoben, insbesondere die FRBRisierung der RDA.
> Erwähnt werden hier übrigens auch die "efforts to internationalize RDA,
> recasting the rules in ways that make it adoptable across various
> languages and scripts". Nun, den guten Willen würde ich auch niemandem
> absprechen wollen ;-)
>
> Viele Grüße
> Heidrun Wiesenmüller
>
>
>
> --
> -----------------------------------
> Prof. Heidrun Wiesenmüller M.A.
> Hochschule der Medien
> Fakultät Information und Kommunikation
> Wolframstr. 32, 70191 Stuttgart
> Tel. dienstl. 0711 25706-188
> Tel. Home Office: 0711 36565868
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