AW: [rak-list] Individualisierung

Hengel-Dittrich, Christina hengel at dbf.ddb.de
Tue Nov 4 13:18:04 CET 2003


Lieber Herr Croissant, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Danke für Ihre Darstellung, in der Sie die Regelung zur Unterscheidung
gleicher Personennamen in den AACR und die Ausführung dieser Regeln in den
LCNA mit obligatorische Angabe der Lebensdaten beschreiben. Ich möchte gern
einige Assoziationen ergänzen:

Auch in den AACR, die ja die Unterscheidung gleicher Namen vorsehen, ist
bisher "authority control" im strikten Sinne - also Zuordnung aller
zugehörigen Titelsätze zu einem "authority record", d.h. im Prinzip zu einer
Person, nicht ausgeführt. Für die Zukunft ist es allerdings bereits
vorgesehen.  
Immanent kann man den Vorgang zwar auch aus dem Zwang zur Unterscheidung
gleicher Namen ableiten. Welche Namen aber zu unterscheiden sind, dafür sind
nach Regelwerk nur die im eigenen Katalog vorhandenen Namen maßgeblich. Das
bedeutet, dass man von Katalog zu Katalog zu unterschiedlichen Ergebnissen
kommen kann. Ein sehr kleiner Katalog mag sogar völlig ohne unterscheidende
Angaben auskommen. 
Will man den eigenen Katalog aber für den gegenseitigen Austausch, Recherche
und gemeinsame Nutzung öffnen, braucht man einen übereinstimmenden Maßstab,
im Endeffekt die Einigung darauf, die Personen hinter den Namen zu
identifizieren, in den miteinander kommunizierenden Katalogen unterscheidbar
zu machen und alle Titeldaten entsprechend zuzuordnen. 
Das ist in etwa, was in der Diskussion in Deutschland mit
"Individualisierung" gemeint ist: Identifizierung der Person, die sich
hinter einem Namen verbirgt, durch entsprechende Angaben, Zuordnung aller
zugehörigen Titelsätze, nicht nur in der laufenden Katalogisierung, sondern
auch rückwirkend bezogen auf die nicht individualisierten Namensansetzungen
im Altbestand sowie Zusammenführung der verwendeten Namensansetzungen,
-verweisungen, identifizierenden Angaben und Relationen zu anderen Entitäten
in einer in Deutschland gemeinsam genutzten und geführten Normdatei.
 
Mit der Einführung der PND wurde in Der Deutschen Bibliothek mit der
Individualisierung von Personennamen begonnen, allerdings zunächst teilweise
und aufwandorientiert. Bei jedem Katalogisierungsvorgang, für den ein
Personenname benötigt wird, ist dabei aufs Neue zu verifizieren, dass der
benutzte PND-Satz wirklich den betreffenden Autor, Herausgeber etc. meint.
Man stellt im Prinzip bei jeder Zuordnung die Überlegung an, ist der Autor
meines Buches dieselbe Person wie im PND-Satz, oder handelt es sich dabei um
eine neu hinzukommende andere Person mit demselben Namen, macht also eine
Art Gleichnamigkeits-Check. Um die Zuordnung zu unterstützen, sind
identifizierende, individualisierende Merkmale deshalb auch dann sinnvoll,
ja notwendig, wenn bisher nur eine Person des betreffenden Namens in der
Normdatei vertreten ist. 
Wie Sie wissen, steht in den AACR keine Anweisung: "Benutze die LCNA". Wenn
viele Bibliotheken innerhalb und außerhalb der USA sie dennoch anwenden,
dann deshalb, weil genau dieser Gedankengang dahintersteckt: durch die
Verwendung von gemeinsamen Normdaten zur Identifizierung und Kontrolle von
Namensansetzungen soll nationale und internationale Austauschbarkeit und
Nutzbarkeit der Titeldaten ermöglicht werden. 
Neue Namen aus in Deutschland erscheinenden Publikationen sind allerdings zu
etwa 85 % (noch) nicht in den LCNA vertreten, und der Gesamtbestand der PND
und der LCNA überlappen sich, bezogen auf die PND, zu etwa 50 %. Im
VIAF-Projekt bemühen wir uns, die PND-Daten und die LCNA-Daten miteinander
abzustimmen.

Mit besten Grüßen
Christel Hengel


 



> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: Charles Croissant [mailto:croisscr at SLU.EDU] 
> Gesendet: Montag, 3. November 2003 16:46
> An: RAK list
> Betreff: [rak-list] Individualisierung
> 
> 
> Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
> 
> Frau Monika Münnich hat mich neulich um Auskunft gebeten zum Thema 
> Individualisierung bei AACR2; sie hat mich dann ermuntert, 
> meine Antwort 
> an diese Liste zu schicken, in dem Glauben, sie könnte auch 
> für andere 
> KollegInnen von Interesse sein:
> *****
> 
> Zum Thema Individualisierung, wie sie im deutschsprachigen 
> Raum und in 
> der AACR2-Welt gehandhabt wird:
> 
> Ich finde es bezeichnend, daß die Ausdrucksweisen 
> auseinandergehen. Im 
> deutschsprachigen Raum redet man von Individualisierung, in der 
> AACR2-Welt redet man dagegen von "differentiation", also von 
> Unterscheidung. Anscheinend herrscht in Deutschland der Eindruck vor, 
> Individualisierung müße bedeuten, daß man bei _jeder_ Namensansetzung 
> identifizierende Zusätze (Lebensdaten, Beruf, was immer) anzubringen 
> habe. In der AACR2-Welt sieht die Lage anders aus. Da ist eine 
> Unterscheidung, also das Hinzufügen von Lebensdaten usw., _nur_ dann 
> erforderlich, wenn im Katalog ein Konfliktfall schon 
> vorliegt. Solange 
> ein Name zum Zeitpunkt des Ansetzens im Katalog einmalig ist, besteht 
> keine Notwendigkeit, nach identifizierenden Zusätzen für 
> diesen Namen zu 
> suchen.
> 
> Ein Beispiel:
> Es gibt bisher in dem National Authority File nur eine Person mit dem 
> Namen "Hermann Heinzel". Die Ansetzungsform für diesen 
> Verfasser lautet 
> also:
> 
> Heinzel, Hermann.
> 
> Dieser Name ist nach AACR2-Verständnis schon "individualisiert", im 
> Sinne von "im Katalog einmalig". Es sind keine weiteren Zusätze für 
> diesen Namen notwendig. Erst wenn später mal ein zweiter 
> Verfasser mit 
> demselben Namen auftauchen sollte, müßte man entweder die 
> Ansetzung von 
> Hermann Heinzel "Nr. 1" oder Hermann Heinzel "Nr. 2" 
> individualisieren-wohlgemerkt, es ist nicht nötig, _beide_ 
> Ansetzungsformen zu individualisieren; es reicht, wenn man 
> bei _einer_ 
> von den beiden Zusätze anbringen kann.
> 
> Solange ein Name im Katalog einmalig ist, braucht man also nicht 
> zwanghaft nach identifizierenden Zusätzen zu suchen. Wenn aber beim 
> Ansetzen eines Namens die Lebensdaten parat liegen (d.h. in 
> der Vorlage 
> vorhanden sind), dann nimmt der Katalogisierer diese Daten 
> gleich in die 
> Ansetzung mit auf-diese Verfahrensweise stützt sich auf die 
> fakultative 
> Bestimmung in Regel 22.17: "Fakultativ können Lebensdaten zu jedem 
> Personennamen hinzugefügt warden, selbst wenn eine Unterscheidung von 
> Ansetzungsformen nicht nötig ist." Die Library of Congress 
> (und mit ihr 
> alle Bibliotheken, die Datensätze in das National Authority File 
> eingeben) hat sich entschieden, diese Bestimmung obligat zu machen. 
> Durch diese Praxis verringern wir die Chance eines zukünftigen 
> Konfliktfalls.
> 
> In dieser Beziehung wird gerade das deutsche Verlagswesen von 
> AACR2-Katalogisierern sehr geschätzt, denn in deutschen 
> Veröffentlichungen findet man fast immer einige Informationen 
> zur Person 
> des Verfassers; sehr oft steht das Geburtsjahr dabei und kann 
> mühelos in 
> die Ansetzung aufgenommen werden.
> 
> Das National Authority File enthält inzwischen so viele 
> Namen, daß man 
> wohl in 99% der Fälle die benötigte Ansetzungsform gleich vorfindet. 
> Unter normalen Umständen kommt es nur äußerst selten vor, daß man bei 
> einer Neuansetzung lange nach identifizierenden Daten suchen muß.
> 
> Und schließlich, wenn es gar nicht anders geht, haben wir in 
> AACR2 Regel 
> 22.20 immer eine letzte Ausweichsmöglichkeit:
> "Gibt es keine passenden Zusätze (vollständigere Namensform, 
> Lebensdaten 
> oder unterscheidende Bezeichnungen), so wird für alle 
> Personen gleichen 
> Namens dieselbe Ansetzungsform verwendet."
> 
> Das ist die sogenannte "undifferentiated name heading." In so 
> einem Fall 
> wird für die "undifferentiated" Namensform einen einzelnen 
> Normdatensatz 
> erstellt, sozusagen einen "Sammeltopf"-Datensatz. Ein 
> Beispiel davon ist 
> in dem Library of Congress National Authority File zu sehen unter 
> "Müller, Heinrich.":
> 
http://authorities.loc.gov/cgi-bin/Pwebrecon.cgi?AuthRecID=3446885&v1=1&HC=1
&SEQ=20031103102306&PID=10967

Neben diesem "undifferentiated" Datensatz existieren etwa 20 weitere 
Datensätze für verschiedene Heinrich Müllers, die man durch vollere 
Namensformen, Lebensdaten, oder andere Zusätze hat unterscheiden können.

mit freundlichen Grüssen,
charles croissant

-- 
Charles R. Croissant
Catalog Librarian
Pius XII Memorial Library
Saint Louis University
3650 Lindell Blvd.
St. Louis, MO  63108
Tel. (314) 977-3098
croisscr at slu.edu





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