AW: [rak-list] RAK-Weiterentwicklung und FRBR-Begriffe

Hengel-Dittrich, Christina hengel at dbf.ddb.de
Wed Mar 19 19:28:56 CET 2003


Hier ein Beitrag zur Diskussion um den potentiellen Nutzen der FRBR:
Angenommen, ich bin ein Katalogisierer in DDB und katalogisiere eine neu
erschienene Publikation. Angenommen, es handelt sich um eine Erstausgabe.
Meine Titelaufnahme enthält Autor (Urheber), Titel, Erscheinungsjahr -
Angaben, die sich sowohl auf das Werk als auch auf die Ausgabe/Manifestation
beziehen -, daneben aber auch Verlag, Erscheinungsort, Beschreibung der
äußeren Form - Angaben, die sich klar nur auf die Manifestation beziehen,
und dazu noch "Zwitter": Angaben zur inneren Form (z.B. Text oder Ton), zur
Sprachform etc..
Angenommen, ein Katalogisierer in der LoC katalogisiert ein Jahr später die
neu erschienene Übersetzung der von mir katalogisierten Publikation ins
Englische. 
Er übernimmt die Teile, die sich auf die Werksebene beziehen, aus meiner
Titelaufnahme und ergänzt den Übersetzer, den Titel im Englischen, den neuen
Verlag, das neue Erscheinungsjahr etc..
Wird diese englische Form jetzt als Hörspiel vertont, können wiederum die
zutreffenden Teile der LoC-Titelaufnahme weiterverwendet werden. Die Kette
läßt sich entsprechend bei weiteren Bearbeitungen des zugrundeliegenden
Werks und seiner Derivate verlängern. Das heißt, es entsteht ein Workflow,
in dem die Metadaten zu den jeweiligen Vorprodukten, die in die Publikation
einfließen, mitgenommen werden. 
Die Übernahme wird erleichtert, wenn die Titelaufnahme für die einzelnen
Bearbeitungsschichten - Angaben zu Werk, Expression 1, Expression 2,...,
Manifestation - modulartig aufgebaut ist und die einzelnen Module ohne
weiteres extrahierbar sind und für sich selbst stehen können (etwa durch die
Unterscheidung unterschiedlicher Namespaces). 
Die Katalogisierung der Erstausgabe ist nicht aufwändiger als eine
herkömmliche Titelaufnahme, für die nachkommenden Derivate wird die Arbeit
erleichtert (z.B. durch Übernahme von Personen- und Körperschaftssätzen)
bzw. die Qualität verbessert. Die in FRBR unterschiedenen Entitäten sind
Schichten in jeder Titelaufnahme. Sie haben bei "Eintagsfliegen" zwar nur
geringe Relevanz. Für die Datennachnutzung ist es aber vorteilhaft, sie für
den Bedarfsfall von vornherein logisch sauber zu unterscheiden, zumal dies
im Regelfall auch nicht besonders aufwändig ist. Natürlich gibt es
schwierige Fälle und Entscheidungsprobleme, aus der
Altbestandskatalogisierung und aus anderen Bereichen. Die sind aber auch
ansonsten schwierig und müssen entschieden werden.

Das Verfahren lässt sich in einer Einzelinstitution durchführen, gewinnt
aber seine volle Schönheit, wenn es international betrieben wird und durch
entsprechende international nutzbare Datenpools für die Module unterstützt
wird. 
Der langen Rede kurzer Sinn: Die FRBR sind ein Verfahren, um die Nachnutzung
bzw. gemeinsame Nutzung von Titeldaten zu optimieren. Gleichzeitig ist es
ein Workflowmodell, in dem auch die Copyright-Informationen der jeweiligen
Stufen eine wichtige Rolle spielen. 
Die darin enthaltenen Entitäten und die zugehörigen Datenelemente müssen
noch sauber definiert werden und darauf aufbauend ein Datenmodell erarbeitet
werden. Mir scheint, dass es sinnvoll ist, sich hier an die internationale
Entwicklung anzuschließen, daran mitzuarbeiten und keine Alleingänge zu
machen. In der IFLA hat die neue Arbeitsgruppe FRBR diese Aufgabe
übernommen. Eine wirkliche Umsetzung muss aber wohl zwischen Institutionen
vereinbart werden.
Schöne Grüße
Christel Hengel     

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Christel Hengel
ECOR 
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> 
> Bernhard Eversberg wrote:
> > 
> > Charles Croissant stoesst die wichtige Diskussion um 
> "expression" und
> > "manifestation" erneut an und hat die Dinge noch einmal 
> sehr einleuchtend
> > zusammengefasst.
> > 
> > Er schreibt:
> > > ... kam es sehr darauf an, der lang
> > > anhaltenden Verwirrung um den Begriff "edition"/"Ausgabe" 
> ein Ende zu
> > > machen.
> > Eben diese Verwirrung haben wir in unserem Kontext 
> allerdings nicht verspuert.
> > Fuer uns war "Ausgabe" schon laengst viel weiter gefasst, 
> und im Regelwerk
> > definiert, als das intuitive, von AACR ja nicht definierte 
> "edition". Unsere
> > Ausgangsbasis, unser Grundverstaendnis ist also anders. 
> 
> Herr Eversberg schreibt, "Eben diese Verwirrung haben wir in unserem
> Kontext allerdings nicht verspürt." Ich frage mich manchmal: Hängt das
> eventuell damit zusammen, dass die RAK-WB sehr  
> "buch-orientiert" sind?
> 
> In anderen Medien, vor allem bei Musikalien, ist es noch kniffliger,
> "expressions" und "manifestations" auseinanderzuhalten, und gerade da
> wäre es m.E. für den Benutzer vorteilhaft, sie unterscheiden 
> zu können.
> Rafael Joseffy hat z.B. das Oeuvre von Chopin "herausgegeben" -- seine
> "editions" würde ich im FRBR-Sinn als "expressions" werten, sie liegen
> auch als "manifestations" von einer Unzahl verschiedener Verlage vor.
> Joseffy's "editions" als "expressions" einstufen zu können, wäre dem
> Katalogisierer, der eine Titelaufnahme erstellen muss, schon 
> eine Hilfe;
> dann weiss er, wo und wie diese Information im Katalogisat am besten
> unterzubringen ist.
> 
> > Aber was koennen wir
> > konkret damit anfangen, was wir bisher nicht machen 
> konnten? Wo und wie schaffen
> > wir im Katalog neue Klarheit, die wir bisher nicht hatten? 
> Neue Funktionen, die
> > wir noch nicht anbieten konnten? Darum geht es uns. Das 
> Regelwerk soll,
> > philosophisch gesehen, nichts regeln, fuer das es keinen 
> Bedarf und keine
> > Funktion gibt.
> 
> Das ist natürlich die Frage, der wir uns stellen müssen. Wir sollten
> auch nicht davon ausgehen, dass FRBR pauschal für die ganze
> Katalogisierung anzuwenden sei. Bei Verfassern von wenigen 
> Werken, z.B.,
> lohnt sich ein solcher Aufwand sicherlich nicht. Aber gerade bei
> Dichtern und Schriftstellern von Weltrang, und speziell bei 
> Komponisten,
> könnte sich das FRBR-Modell als sehr nützlich erweisen.
> 
> Die FRBR-Diskussion hilft m.E. klarzumachen, dass wir in unseren
> jetzigen Katalogisaten gleichzeitig "works" und "manifestations"
> beschreiben; d.h., einige Daten in der Titelaufnahme beschreiben das
> Werk, andere beschreiben die Manifestation. Für das weitere Nachdenken
> über die Katalogisierung ist es sehr hilfreich, diese beiden Ebenen
> auseinanderhalten zu können. (Und das ist m.E. schlecht möglich, wenn
> man "expressions" und "manifestations" unter dem einzelnen Begriff
> "Ausgabe" vereinen will.)
> 
> Einen Katalog nach FRBR-Art zu entwickeln wird m.E. 
> erfordern, dass wir
> noch viel mehr Gebrauch von Normdatensätzen machen, und dass wir für
> neue Möglichkeiten von Verknüpfungen von Normdatensätzen und 
> Titelsätzen
> offen sind. Viele Daten, die mit dem Werk zu tun haben, können dann in
> einem Normdatensatz verankert sein, um dann nach Bedarf mit
> verschiedenen Titelsätzen verknüpft zu werden.
> 
> Wer sich ein Bild machen möchte von der FRBR-Diskussion in der
> AACR2-Welt, der kann unter dieser URL eine MARBI Discussion Paper mit
> dem Titel "Dealing with FRBR Expressions in MARC 21" finden:
> 
> http://www.loc.gov/marc/marbi/2002/2002-dp08.html
> 
> mit freundlichen Grüssen,
> Charles Croissant
> -- 
> Charles R. Croissant
> Catalog Librarian
> Pius XII Memorial Library
> Saint Louis University
> 3650 Lindell Blvd.
> St. Louis, MO  63108-3302
> (314) 977-3098
> croisscr at slu.edu
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