AW: [rak-list] OCLC und Linked Records

Thomas Berger ThB at gymel.com
Tue Feb 5 07:51:06 CET 2002


Liebe Liste,

> > In der aktuellen Diskussion verwirrt mich uebrigens
> > der Sprachgebrauch: Nach meiner Vorstellung koennte man
> > zwar salopp sagen, dass "Titel und Normsatz miteinander
> > verknuepft sind", im Datenformat und bei der Eingabe
> > sind solche Links aber (fast) nie reziprok, sondern
> > im Titel ist ein "Link" auf den Normsatz hinterlegt.
> 
> In der Tat ist es ein haeufiges Missverstaendnis, das wohl aus fehlgeleiteter
> Intuition herkommt. Die genannten Verknuepfungen sind immer 1:n, d.h.
> konkret: ein Normsatz kann mit vielen Titelsaetzen verknuepft sein.
> Aber dann geht die Verknuepfung immer nur umgekehrt, d.h. im Titelsatz
> steht die Normsatznummer, sonst nichts. Diese muss dann indexiert werden,
> und schon existiert, virtuell, auch die umgekehrte Verknuepfung: von der
> Normsatznummer kommt man ueber den Index zu den n Titelsaetzen.
> Nicht die Nummer an sich bewirkt also die Verknuepfung, sondern ihre
> Indexierung.

Zunaechst einmal ist zu bemerken, dass z.B. die Beziehung
zwischen Titeldatensaetzen und Personensaetzen eine m:n-
Beziehung ist, und zwar so klassisch, dass sie in vielen
einfuehrenden Texten zu relationalen Datenbanken als 
Beispiel benutzt wird.

In einem relationalen Modell wuerde man in dieser Situation
sofort zusaetzlich eine sogenannte Relationentabelle einfuehren, 
diese enthaelt dann fuer jede existierende Beziehung einen
Eintrag mit der Identnummer des Titels und einen mit der
Identnummer der Person. Hervorzuheben ist, dass dies eine
ganz offensichtlich symmetrische Loesung ist.

Bibliothekarische Datenmodelle sind typischerweise nicht-
relational (oder zumindest nicht normalisiert, falls man
das sagen kann). In unserer Vorstellung hat ein Titel
einen "Slot" fuer den ersten Verfasser, einen fuer den
zweiten und einen fuer den dritten Verfasser. Und dann
einen fuer Herausgeber etc. Oder aber wir stellen uns
einen "wiederholbaren Slot" vor fuer alle beteiligten
Personen mit Angabe der Funktionsbezeichnungen. Hier
sehen wir, dass das relationale Lehrbuchbeispiel etwas
naiv ist, denn durch die Funktionsbezeichnungen ist
es so, dass die Relationen zwischen Titeln und Personen
stets noch qualifiziert sind (als Verfasser bzw. 1.
Verfasser, 2. Verfasser etc.). Denkt man an Tontraeger
(Lennon, John [Text und Musik]) sieht man, dass auch
zwischen einem Titel und einer Person zwei unterschiedlich
qualifizierte Relationen existieren koennen, das macht
es in einem relationalen Modell schon knifflig, fairerweise
muss man sagen, dass die MARC, MAB und anderen zugrundeliegenden
Datenmodelle hier aber auch keine befriedigende Loesung
anbieten.

Ich denke, aus unserer Tradition der Katalogzettel und
aus der Tradition, dass Buecher katalogisiert werden, kommt
unsere Intuition, die Personen seien im Titeldatensatz
zu vermerken und nicht umgekehrt. Da ein Katalogisat
als Text (zeilenweise gelesen) absolut seriell ist, haben
wir zudem ein Paradigma (und Regelwerke, die uns darin 
bestaerken), dass alles eine ganz bestimmte Reihenfolge
zu haben hat: In einem relationalen Modell hat ein
gegebener Titel etwa vier Mitarbeiter als Menge (Set),
dadurch waere aber die Reihenfolge der Mitarbeiter
beliebig, da unspezifiziert (da irrelevant). In einem
bibliothekarischen Modell gibt es hingegen eine Regel
aus dem Regelwerk, wie diesen Mitarbeitern eine Reihefolge
zu geben ist (nach der Vorlage, alphabetisch) und wir
haben eigentlich nie eine Menge, sondern stets Tupel.
In eine Regelwerksdiskussion gehoert m.E. auch eine
Durchleuchtung dieser Praxis, naemlich ob man im 
Hinblick auf Online-Katalogisate tatsaechlich noch
ueberall eine hunderprozentige innere Ordnung benoetigt.

In einer anderen Welt, wo etwa das bio-bibliographische
Lexikon vor der Bibliothek erfunden worden ist, koennte
man auch das umgekehrte Szenario als ganz intuitiv empfinden:
Wenn ich alle Werke einer Person stets kenne, wuerde ich
im Fall der Erwerbung eines Titels im Personensatz dessen
Identnummer vermerken, also quasi im Slot "abhaken", dass auch 
dieses Werk nunmehr erworben wurde. Das Beispiel hinkt
natuerlich, denn auch in dieser Welt wuerden wir Buecher
erwerben und nicht Personen, arbeitsoekonomisch macht es
also Sinn, den Eintrag der Relation im Zusammenhang mit
anderen Eintraegen zum Titel vorzunehmen, das ist aber
ein Feature der benutzten Software.

Ich hoffe, nach diesen Ausfuehrungen empfinden die deutschen,
an MAB orientierten, Bibliothekare den Transport von 
Identnummern fuer Verknuepfungen im Titelsatz als nicht mehr
ganz so naturgegeben bzw. haben etwas mehr Verstaendnis
dafuer, dass die dorthin gehenden Experimente der MARC-
Welt mit "frei schwebenden" Verknuepfungen arbeiten, ohne
dass dort zunaechst einmal das Datenformat (der Titelsaetze)
"richtig" gemacht wird.

viele Gruesse
Thomas Berger



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