[rak-list] Re: Umstieg auf AACR2

Bernhard Eversberg ev at BUCH.BIBLIO.ETC.TU-BS.DE
Wed Dec 19 13:47:25 CET 2001


On 19 Dec 01, at 6:49, Roger Brisson wrote:

> ... ja, wir haben nach Ihrem
> Vortrag in Washington ein paar Mal über Hierarchien ('Part-Whole
> Relationships') diskutiert, und wir haben damals festgestellt, dass die
> Lage etwas komplizierter ist, als Sie es in Ihrem REUSE Aufsatz
> charakterisiert haben. Das Problem liegt in der unterschiedlichen
> Handhabung von 'Item-level' Kontrolle, oder 'Inventory Control' zwischen
> amerikanischen und deutschen Bibliotheken 
Ja, das ist mir noch bewusst.
Hier haben wir eine tiefgreifende Begriffsverwirrung, deretwegen ich langsam 
zweifle, ob wir je zusammenkommen koennen, denn es gibt deswegen nicht nur im 
Denken, sondern auch in den Daten unangenehme Unterschiede.

Zu dem Beispiel Brockhaus: 
> 
> Hier ist das Resultat einer Recherche für die Brockhaus Enzyklopädie.
> Wie Sie sehen, wird in diesem Index jeder einzelne Band gelistet, also
> jedes 'Stück'.
> 
> Titel: Brockhaus - die Enzyklopaedie : in vierundzwanzig Baenden; [1796
> - 1996, zweihundert Jahre Brockhaus-Lexika] 
> Teil: Bd. 24: Weli - Zz 
> Koerperschaft: F. A. Brockhaus GmbH (Leipzig; Mannheim)
> Ausgabe: 20., ueberarb. und aktualisierte Aufl. 
> Erschienen: Leipzig [u.a.] : Brockhaus, 1999 
> Umfang: 752 S. : zahlr. Ill., graph. Darst., Kt. 
> ISBN: 3-7653-3124-4 
> Sachgruppen: 01.22 Allgemeinenzyklopaedien
> 
> Man sieht, dass ein einzelner Band ("Band 24") als gesamter
> bibliographischer Titelsatz selbständig angezeigt wird.
Nein, der Band wird unter dem Hauptdatensatz angezeigt, aber ausdruecklich als 
"Teil", das heisst also, dass er nicht als selbstaendige Publikation gilt. Alle 
Angaben zu diesem Band sind bibliographische Angaben!

> Amerikanische
> Bibliothekare werden diesen Titelsatz als verwirrend ansehen, da es als
> bibliographisches Werk kein selbständiges Leben haben soll.
Hier beginnt das gravierende Missverstaendnis: von "selbstandig" ist ja gar nicht 
die Rede.

> Diese Daten
> sind doch in einem amerikanischen OPAC eingetragen, und zwar in dem
> völlig abhängigen Item-Level Satz (oder, in zunehmender Weise, in dem
> 'Holdings' Satz).
Ein bibliographischer "Band" ist aber kein "item" im Sinne der Bestandskontrolle. 
Es koennen mehrere Exemplare des Bandes vorliegen, das sind dann "items", der 
Band als solcher ist aber eine logische, keine physische Einheit.
Nochmal: die bibliographischen Angaben zum Band, die man oben sieht, sind eben 
keine Bestandsdaten, sondern bibliographische Daten. Das ist nicht nur unsere
abweichende Meinung, sondern doch wohl ein unbestreitbares Faktum.

> Amerikanische Bibliothekare sehen die
> 'Inventory-Control' Funktion eines OPACs völlig getrennt von der
> bibliographischen Funktion.
Wir auch. Wir ziehen aber die Grenze zwischen Bestandsdaten (wie Signaturen und 
Standorten) und bibliographischen Angaben, wie Bandnummern, woanders - und zwar 
da wo sie logisch hingehoert.
Der amerikanische Pragmatismus geht uns hier ganz klar und ganz unangenehm einen 
Schritt zu weit, das muessen wir in aller Deutlichkeit so sagen. Und ich denke
nicht, dass man uns das als uebertriebene deutsche Gruendlichkeit anrechnen kann.
Vor allem dann, wenn ein Band einen eigenen Titel hat. Der muss als Titel 
auffindbar sein, genauso wie der Haupttitel des Gesamtwerks. Das gehoert nicht in 
die "inventory control", damit vermengt man die Dinge in unsauberer Weise.
Zudem : die AACR-Praktik erzwingt groesseren Aufwand in jeder einzelnen 
Bibliothek, die ja jeweils fuer sich die Item-Saetze anlegen muessen und eben 
nicht per Austausch beziehen koennen! Haben Sie ueber dieses Rationalisierungs-
Potenzial noch nie nachgedacht? Im Vortrag hatte ich es deutlich herausgestellt.

Aber wie ebenfalls  im Vortrag gezeigt: man KANN das alles mit AACR (und MARC) 
machen. Wenn wir aber nur allein es machen, ist der Vorteil der AACR-Uebernahme 
um einiges geringer, fuer beide Seiten. Und nochmals: AACR-Bibliotheken koennen 
ihre Daten durch Einspeisung deutscher Untersaetze im genannten Sinne aufwerten
und auch sogar fuer die Inventory Control dabei profitieren, siehe oben.
Der Hinweis auf die nun mal vorhandenen gewaltigen Mengen von Legacy-Daten wird 
damit denn doch etwas relativiert. Die Last der Bewaeltigung von Altdaten wird 
auf unserer Seite WEIT groesser sein.

>    Auf jeden Fall ist dieses Thema wichtig und verdient weitere
> Diskussion. Wäre es vielleicht möglich, einen Weg zu finden, wo wir mit
> einer Arbeitsgruppe auf einer formelleren Basis diese Diskussion
> fortsetzen und einen Bericht darüber schreiben (mit Ihrem REUSE Aufsatz
> als Ausgangspunkt)?
> 
Zum Bibliothekartag (Augsburg, Maerz 2002) muss ich ohnehin ein Papier 
vorbereiten, da werde ich auf dieses Thema erneut eingehen. Hinweise und 
Anregungen aller Art sind willkommen.


Bernhard Eversberg
Universitaetsbibliothek, Postf. 3329, 
D-38023 Braunschweig, Germany
Tel.  +49 531 391-5026 , -5011 , FAX  -5836
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