[rak-list] Re: Rezension von Frau Wiesenmüller zur RDA-Übersetzung

Armin Stephan armin.stephan at augustana.de
Fre Jan 10 10:52:32 CET 2014


Lieber Herr Berger,

ich bin aktuell dabei, einen Katalog zu konvertieren, in dem 
jahrzehntelang auf Ansetzungsarbeit verzichtet worden ist.

Leider kann ich ihn nicht zur Veranschaulichung der Konsequenzen in eine 
Mail packen.


Am 10.01.2014 10:36, schrieb Thomas Berger:
> -----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----
> Hash: SHA1
>
> Lieber Herr Eversberg,
>
>> Heißt das, Sie plädieren für Wischiwaschi-Ansetzungen, weil man
>> die besser intuitiv erraten kann? Oder was genau schlagen Sie
>> konstruktiv vor?
>
> Die Eindeutigkeit von Ansetzungen im Sinne von "zwei Katalogisierer
> kommen zum gleichen Resultat" ist nur vor dem Hintergrund
> gleicher Information der Ansetzenden gegeben, eine nicht
> realistische Annahme.
>
> Die Eindeutigkeit von Ansetzungen im Sinne von "zwei Personen
> bekommen niemals dieselbe Zeichenkette" ist durch die Regelwerke
> nicht einmal gegeben, Frau Wiesenmueller hat auf der RDA-Liste
> dazu schon einige Anlaeufe gemacht. Der Knackpunkt dabei ist
> m.E., dass die Regeln so formuliert sind, dass das fuer einen
> gegebenen Katalog zu einem gegebenen Zeitpunkt logisch ist,
> aber bereits fuer eine Normdatei wie die GND ist nicht mehr
> klar, wie da die Anforderung sein muesste und wie das als
> Regel zu formulieren waere: Niemand ueberblickt zukuenftige
> Nutzungen "seiner" Ansetzung an anderen Orten.
>
> Der Kontext von Ansetzungen wird stets eine mit Altdaten
> kontaminierte Landschaft sein, die letzten 8 Jahre hatten wir hier
> die Regel, in der GND, hilfsweise den LC NAF gefundene Ansetzungen
> /unhinterfragt/ zu uebernehmen und erst dann selber Ansetzungen
> zu stricken, wenn man wirklich nichts anderes gefunden hat.
>
> Ansetzungen sind eine Kruecke, da sie Information in eine
> zwar geregelte, aber letztendlich willkuerliche Reihenfolge
> bringen. Auch im Zusammenhang mit den RDA ist bereits andiskutiert
> worden, dass "Anreicherung zuerst mit Lebensdaten, dann evtl. mit
> Beruf" (unsere RAK-Praxis) bei Peter Mueller an Grenzen stoesst,
> da ist jedes Jahr einer geboren, aber Tibetologen dieses Namens
> gibt es nur einmal pro Jahrhundert: Daher weiss ich vom relevanten
> Personal meines Fachs typischerweise auch nicht die exakten
> Geburtsjahre und muss fuer die Identifikation eine lange Liste
> durchackern. Der umgekehrte Ansatz (etwa der RSWK), zuerst die
> Taetigkeit anzugeben, dann die Daten, ist auch problematisch:
> Erst einmal kommt da ein (Proto-)thesaurus ins Spiel, und wenn
> ich einen "sortenreinen" Katalog etwa mathematischer Werke habe,
> bringen mich die Pleonasmen nicht wirklich weiter. Ich denke
> das beweist, dass es keine universellen Ansetzungsregeln geben
> kann, die in jedem Nutzungszusammenhang optimal sind
> ["Ansetzungen" sind uebrigens ein optionales Element in den
> RDA, fundamental und nicht verhandelbar hingegen ist dort die
> Ermittlung und Erfassung der fuer die Disambiguierung erforderlichen
> Information als /Daten/. Leider ist das alles so passgenau geschneidert,
> dass im Regelfall exakt die AACR2-Ansetzungen herauspurzeln koennen,
> daher gibt es auch in den RDA bibliothekstypische Verhinderungsregeln,
> die dafuer sorgen sollen, dass nicht ein Zuviel an erfasster Information
> das traditionelle Ergebnis "verfaelscht". Ebenfalls leider hat
> man ohne Not fuer den D-A-CH-Bereich beschlossen, die RDA in
> der Variante "mit Ansetzungen" zu implementieren, obwohl wir ja
> mit der PND ein ueberzeugendes Beispiel dafuer implementiert hatten,
> dass es auch mit "Daten" statt "Ansetzungen" geht]
>
> Problem am Rande: Bereits der eigentliche Name als Datenelement
> (was eher dem entspricht, was wir nach RAK als Ansetzung bezeichneten)
> wird in den RDA fuer einige Personengruppen so rabiat "normiert",
> dass das meiste gesagte auch dafuer gilt.
>
> Ich persoenlich lese aus Ansetzungsregeln einen impliziten Anspruch
> auf "Wahrheit" heraus: Genau eine vollstaendige Namensform ist
> ermittelbar, genau eine gebraeuchlichste Namensform, genau ein
> Geburts- oder Todesjahr ist von allen Biographen anerkannt etc.:
> In den Daten koennen wir mit diesen Unschaerfen leben (technische
> Verfahren dazu sind wenig entwickelt, auch ausserhalb der
> Bibliothekswelt), fuer Ansetzungen hingegen braucht man wiederum
> monstroese Zusatzregeln, damit einerseits etwas nicht wirklich
> falsches aber andererseits noch lesbares codiert werden kann.
>
> Bereits gestern geaeussert: Je komplexer die Regeln, umso mehr
> werden Ansetzungen zu einer eigenen Kunstsprache, die dann
> immer staerker ausschliesslich durch Stichwortsuchen zugaenglich
> ist. Praesentation von Ergebnissen in einer fuer den aktuellen
> Recherchekontext nuetzlichen Ordnung und Gliederung wird
> durch Ansetzungen tendenziell eher beeintraechtigt (ich brauche
> dafuer die Datenelemente, habe aber keine Moeglichkeit, die
> Pleonasmen zu bereinigen die dadurch enstehen, dass deren
> Inhalt vielleicht in der Ansetzung enthalten ist, vielleicht
> aber auch nicht), es sei denn, alle sortieren ungeachtet des
> Kontextes immer und ueberall strikt "nach Ansetzung", was
> im Hinblick auf das vorhandene Potential bereits heute sehr
> rueckschrittlich anmutet.
>
> Wenn Sie es also so nennen wollen, bin ich fuer Wischi-Waschi:
> Es geht darum, Entitaeten zu /benennen/, zentral dafuer ist
> /ein/ Name dafuer, disambiguierende Zusatzinformation, die
> gleichzeitig transportiert wird, ist auch wichtig. Das wird
> aber m.E. bereits von "der Maler van Gogh" geleistet, zumindest
> in den meisten Kontexten. Und da Ansetzungen wie von mir
> dargelegt keine kontextunabhaengige und universelle Perfektion
> erreichen koennen, sollte man dem Regelwerk nicht durchgehen
> lassen, tonnenweise ultrakomplexe Regeln hierfuer aufzustellen,
> die nur dieses nicht erreichbare Ziel motiviert werden.
>
>
>
>> Mit den heutigen ALL-Zugriffen über den Einwurfschlitz kombinieren
>> wir doch längst beides, ohne noch irgendeinen Versuch, dem Endnutzer
>> die Hinter- und Abgründe klarzumachen. Einen richtig guten Dienst
>> tun wir damit aber nicht, eine richtige Profession sollte darüber
>> hinausgehen können. Schaffen wir nicht, da haben Sie recht.
>
> Das liegt aber nicht daran, dass wir dumm sind und "die Informatiker"
> ach so schlau, sondern daran, dass es um technische Entwicklungen
> geht, die ueberdies nicht in Stufen ablaufen sondern sich in
> staendigem Fluss befinden. Daher sollten wir nicht versuchen, im
> Rahmen der Regelwerke auch noch technische Verfahren festzulegen:
> Der Preis fuer die dadurch erhoffte staerkere Einheitlichkeit des
> Rechercheerlebnisses ist einfach zu hoch!
>
>
>>> Und bei der known-item-
>>> search (gerne ueber Titelstichworte)
>> Auch das machen wir ständig, stillschweigend davon ausgehend, daß
>> wir die richtige Schreibweise wissen. Gerade für die Behandlung der
>> Titelstichwörter brauchen wir Indexierungsregeln, wie es die zitierte
>> KOBV-Studie vorgeschlagen hat. Und auch damit ist nicht alles
>> erschlagen.  Schauen Sie mal als Beispiel, wie viele Einträge Sie unter
>> "selbstständig?" bzw. "selbständig?"  finden, oder unter "demograf?"
>> bzw. "demograph?" oder sonst was mit "graph" bzw. "graf?" oder
>> "...potenzial?" bzw. "...potential?". Marginalitäten? (Und das
>> ist jetzt kein Argument für Indexierungsregeln, sondern gegen die
>> Verläßlichkeit des Stichwortzugriffs.)
>
> Das Dokument von 2004 ist eine Art Best Current Practice fuer Aleph-
> Systeme mit MAB-Daten innerhalb eines bestimmten Regionalverbundes
> (also der Domaene einer bestimmten, redaktionell verklammerten
> Anwendung von RAK). Natuerlich sind die meisten Regeln dort
> Binsenweisheiten fuer den Umgang von im Deutschen Sprachraum
> enstandenen Daten im Hinblick auf auch auslaendische Benutzer
> (etwa: Umlaute muessen sowohl aufgeloest als auch auf den Grundbuchstaben
> reduziert /suchbar/ sein. Warum das fuer die "ungarischen" Vokale
> mit Doppelakut nur eingeschraenkt gefordert wird, weiss vermutlich
> niemand mehr). Ich sehe eine gewisse Notwendigkeit, auch solche
> Selbstverstaendlichkeiten aufzulisten, damit einem die Hersteller
> von Bibliothekssystemen nicht unbrauchbaren Schrott unterjubeln,
> aber der Ort dafuer sind DIN-Normen und definitiv nicht bibliothekarische
> Regelwerke.
>
>
>
>>> Aber zurueck zum Thema: Wenn ich vorhin "eindimensional" gedacht
>>> habe, wie Sie mir vorwarfen, dann lag es daran, dass ich zugegebener-
>>> massen dem FISO-Ansatz zu sehr verhaftet bin, und /nur/ Dinge
>>> im Sinn hatte, die als known-item-search in einem leicht erweiterten
>>> Sinn anzusehen sind. Und auch dort - ich wiederhole mich - laufen
>>> Ansetzungen und Indexierungsregeln Gefahr, Teil des Problems
>>> zu werden, zu dessen Abschaffung sie angetreten sind.
>>>
>> Also keine Indexierungsregeln, basta? Oder andere? Werden Sie mal
>> konkret und konstruktiv.
>
> Definitiv keine Indexierungsregeln und auch nichts verwandtes: Ein
> Regelwerk sollte (vgl. etwa die "Content Standards" von Museen
> oder Archiven) vor allem die intellektuellen Prozesse klaeren, die
> beim Ueberfuehren von Information in Daten (mal ganz salopp gesagt
> weil ich weiss, dass Herr Umstaetter hier nicht mitliest) fuer
> unseren Bereich wichtig sind. Hier ist es moeglich und auch
> angebracht, das international einheitlich hinzubekommen, man
> muss sich nur hueten, irgendeine Vollstaendigkeit der Modellierung
> zu behaupten, insbesondere in den Faellen, wo man mit anderen
> Domaenen (Archivalien, Kunstobjekte, Musikalien, ...) ueberlappt.
>
> Anders als andere Domaenen legen bibliothekarische Regelwerke
> traditionell auch in vielen Faellen eine Erfassungssyntax fest,
> damit meine ich ausnahmsweise nicht ISBD-Interpunktion, sondern
> "Ansetzungen". Das ist auch aus heutiger Sicht nicht voellig
> abwegig, immerhin haben wir mit Verfielfaeltigungsstuecken oder
> universell abrufbaren e-Ressourcen zu tun, und gluecklicherweise
> gibt es eine voellig fragmentierte Produzentenlandschaft und nicht
> nur Sony, BMG und Apple. Voellige Internationalisierung ist m.E.
> hierbei aber nicht moeglich und auch nicht wuenschenswert.
>
> Diese Schichten legen die Grundlage dafuer, dass wir Daten haben,
> mit denen wir gewisse Zwecke dann auch realisieren /koennen/.
> Diese Zwecke sollten als "Fundamental Requirements ..." durchaus
> fuer sich formuliert werden. Die dann noch noetigen Vorschriften,
> die dafuer sorgen, dass unsere jeweiligen Systeme (vom Bibliotheks-
> verbund ueber ein Computerprogramm bis hinunter zur Schreibmaschine)
> diese Anforderungen dann auch tatsaechlich /leisten/, gehoeren
> definitiv nicht in ein Katalogisierungsregelwerk.
>
> viele Gruesse
> Thomas Berger
>
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> Version: GnuPG v1
> Comment: Using GnuPG with Thunderbird - http://www.enigmail.net/
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