[rak-list] Personennamen: von RAK zu RDA

Thomas Berger ThB at Gymel.com
Sam Feb 23 18:59:00 CET 2013


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Liebe Frau Payer,

> mich interessiert in erster Linie, wie der Benutzer den Personennamen
> angezeigt bekommt. Wegen der Individualisierung sind die Anforderungen an
> das Erfassen von Personennamen ja sehr viel anspruchsvoller geworden: das
> ist ein echter Service, den Bibliotheken leisten. Also sollten die
> wichtigen Angaben beim ersten Blick auf eine Titelaufnahme enthalten sein
> d.h. zum normierten Sucheinstieg gehören (was nach RDA möglich ist) - und
> nicht nur hinter einem weiteren Link verborgen sein.

Ich behaupte, dass er in 99,9% der Faelle dasselbe angezeigt bekommt
wie nach AACR. Diese Anzeigeform ist aber beim Vorgehen nach RDA
eben nicht das Ziel der bibliothekarischen Arbeit, sondern nur der
(ein) Ausfluss der differenzierteren Betrachtung, die zu eingestaendigen
Datenelementen fuehrt, wie /wir/ es im uebrigen von PND und GND
gewohnt sind.


> zu zwei Fragen:
> 
> 1. Zur "Geistfrage":
>>> - - offen bleibt, wieso nach AACR2 die Form
>>>>
>>>> $a Chopin, Frédéric, $d 1810-1849 $c (Spirit)
>>>>
>>>> ist und nicht
>>>>
>>>> $a Chopin, Frédéric, $c (Spirit)
>>>> oder meinetwegen mit Datum
>>>> $a Chopin, Frédéric, $c (Spirit), $d 1810-1849
>>>>
>>>
>>> ich erkläre das so: $d 1810-1849 gehört zu der Identifizierung eines
>>> bestimmten Frédéric Chopins und folgt deswegen direkt auf den Namen. Der
>>> "Geist" in diesem Fall behauptet, der Geist von eben diesem Frédéric
>>> Chopin
>>> zu sein; folglich setzt man den Zusatz (Spirit) hinter die Lebensdaten
>>> und
>>> nicht davor.
> Ich würde den selbsternannten Geist nicht mit den Lebensdaten der
> historischen Persönlichkeit versehen. Wenn eine Unterscheidung nötig sein
> sollte, besser mit dem Zeitraum, in dem der "Geist" sich geäußert hat (so
> etwa: aktiv Ende des 19. Jahrhunderts). Man könnte auch den Namen der
> Person nehmen, durch die der Geist gesprochen hat (Channeling).

Lt. LC ist dieser Geist um das Jahr 2000 zum ersten Mal aktiv
geworden und hat eine Sonate komponiert. Ob dieser Geist mit einer
derzeit lebenden biologischen Person besonders eng verbunden ist
(etwa nur ein Pseudonym ist), ist nach den neuen Regeln irrelevant
bzw. erfordert siehe-auch-Verweise zwischen separaten Datensaetzen,
/angesetzt/ in dem einen wird auf jeden Fall der Geist.


> 2. Die Frage wegen der Adelsnamen
> RDA 9.2.2.13 scheint mir eindeutig zu verlangen, dass heutige Angehörige
> von ehemaligen deutschen königlichen Häusern mit Familiennamen angesetzt
> werden. Es wird ja auch geregelt, was zu machen ist, wenn kein Nachname
> vorhanden ist (man nimmt den Namen der Dynastie, des Hauses oder des
> Territoriums).
> 
> Wenn die betroffenen Personen ihren alten Titel noch benutzen, muss dieser
> hinzugefügt werden. (Bei den Preußenbeispielen kann man das leicht auf
> deren Homepage feststellen).
> Ein anderes Beispiel: ein Ehrensenator der Uni Tübingen wird angegeben als
> "SKH Carl Herzog von Württemberg", alphabetisch einsortiert wird er auf
> der Liste der Ehrensenatoren unter "Württemberg". Daraus ergibt sich m.E.
> Württemberg, Carl Herzog von, 1936-
> "SKH = Seine Königliche Hoheit" wird als Anrede ja wohl übergangen.

Vergleich mit den AACR hat mir inzwischen klar gemacht, dass die
Ambivalenz im deutschen Text 9.2.2.13 der Uebersetzung geschuldet ist,
das Original drueckt vermutlich deutlicher aus, dass alle Mitglieder
ehemals regierender Haeuser gemeint sind und nicht nur ehemals
regierende Mitglieder von (natuergemaess dann regierenden) Haeusern.

Nach meinen Lemmatisierungserfahrungen in der Wikipedia tut sich nun
die Schere auf: Man kann wissen oder vermuten, dass "Herzog von Wuerttemberg"
der buergerliche Nachname der Person ist ("Carl Herzog von Wuerttemberg"),
die vorliegenden oder verwendeten Namensformen koennen aber auch das
Fehlen eines Nachnamens und die Nutzung eines Adelstitels nahelegen:
"Carl, Herzog von Wuerttemberg" bzw. "Herzog Carl von Wuerttemberg".
(das /ist/ real: Das Pendant aus dem Haus Wittelsbach ist bekannt als
"Herzog Franz von Bayern" obwohl es starke Hinweise auf "Prinz von Bayern"
als buergerlichen Nachnamen gibt mit Namensaenderung auf "Herzog von Bayern"
im Jahre 1996). Beim Versuch, die "Wahrheit" herauszufinden stoesst man
auf Schwierigkeiten, nicht zuletzt gibt es auch Schranken durch den
Persoenlichkeitsschutz. Mindestens genau so wichtig wie irgendeine
"Wahrheit" ist ja die Verwendung von Namen durch die Person in ihren
Publikationen und die Behandlung des Namens der Person in Nachschlagewerken
(RDA und AACR2 schliessen hier Adelsverzeichnisse aber generell aus)

Wir muessen daher einmal vergleichen, wie sich die Herangehensweisen
ueber RDA 9.2.2.13 vom Ergebnis unterscheiden, wenn wir es einmal
"mit Nachnamen" und einmal "mit etwas, das als Nachname fungiert"
und einmal "ohne Nachnamen" zugrunde legen. Wir werden in allen
Faellen andere Resultate als nach RAK erhalten, weil dort Worte
fuer Titel generell als nicht zum Namen gehoerig betrachtet werden,
(d.h. Herzog als Titel und "Herzog" als Namensbestandteil werden
gleich weggestrichen und es bleibt nur "Carl von Wuerttemberg", der,
da nicht selbst regierend, als "Wuerrttemberg, Carl von" anzusetzen
ist).

A. Nachname "Herzog von Wuerttemberg": Wird als erstes Element
erfasst, wobei uns 9.2.2.13 ja nach 9.2.2.9 schickt und ich nicht
weiss, ob die dort formulierten Ausnahmen jetzt noch greifen:
* Wenn die Person "in ihren Werken einen Adelstitel und keinen
  Nachnamen verwendet"
  (In der DNB liegen vor: "Herrschaft im Wandel : Beiträge zur Geschichte
   Württembergs ; Festgabe für S.K.H. Carl Herzog von Württemberg"
   und "DxDiane, I.K.H. Diane Herzogin von Württemberg, Prinzessin von
   Frankreich, S.A.R. Diane Duchesse de Wurtemberg, Princesse de France /
   [hrsg. von Carl Herzog von Württemberg. Übers.: Monique Rival ; Céline
   Robinet]"
  Unsere Fiktion bei dieser Teilueberlegung ist, dass es sich um
  den Nachnamen handelt

* oder wenn die Person in Nachschlagewerken unter einem Adelstitel
  aufgefuehrt ist: NDB kennt ihn nicht (Indiz auf Einordnung im
  noch nicht erschienen Band "W"?); Munzinger: "Carl Herzog von
  *Württemberg* (Königl. Hoheit)" mit Hervorhebung im Original.
  Lemmatisierung im Vergleich: "Gerhard *Schroeder*", "*Willem-Alexander*
  Claus George Ferdinand, Prinz von Oranien, Prinz der Niederlande,
  Prinz von Oranien-Nassau und Jonkheer van Amsberg"
  Moeglicherweise verstehe ich das falsch, aber wenn die Hervorhebung
  *Wuerttemberg" ist, dann ist "Herzog von Wuerttemberg" ein Adelstitel?
  Vorsichtshalber werden wir versuchsweise auch nach 9.2.2.14 vorgehen

Zunaechst also: "Carl Herzog von Wuerttemberg" ist Name, darin enthalten
der Nachname "Herzog von Wuerttemberg", erfasst als "Herzog von Wuerttemberg,
Carl". Da "Herzog" Namensbestandteil ist und daher nicht ein verwendeter
Titel, entfaellt die Erfassung von "Herzog" oder "Herzog von Wuerttemberg"
als zusaetzliches Datenelement

Alternativ unter der Regel 9.2.2.14 (die Faelle a) und b) sind genau die,
wegen der 9.2.2.9 uns hierhin verwiesen hat, ich sehe in der Regel keinen
Unterschied zu AACR 22.6.A.1):
"Wuerttemberg" ist der Eigenname im Adelstitel "Herzog von Wuerttemberg",
und wird daher als erstes Element erfasst. Es folgt der persoenliche Name
"Carl" sowie der Rang "Herzog von", jeweils nach Komma. Ansetzung also als
"Wuerttemberg, Carl, Herzog von"
Nach Anwendung dieser Regel fallen wir eigentlich zurueck nach 9.2.2.9,
zurueck nach 9.2.2.13 und muessen den Titel "Herzog von Wuerttemberg"
noch einmal als gesondertes Datenelement erfassen?


B. "von Wuerttemberg" ist Nachname oder fungiert als Nachname (anders
als bei den Wittelsbachern in Bayern oder den Hohenzollern in Preussen
sind bei den Wuerttembergern ja der historische Geschlechtername und der
ihres ehemaligen Territoriums identisch):

9.2.2.9 schickt uns in jedem Fall nach 9.2.2.14 allerdings ist "Herzog"
nicht unbedingt Teil des Namens, ("von Wuerttemberg" ist der Adelstitel),
moeglich nun also auch

"Wuerttemberg, Carl"

und vermutlich gerade nicht "Wuerttemberg, Carl von" wie wir es beim
Nachnamen "von Wuerttemberg" erhoffen wuerde.

Nach Anwendung dieser Regel fallen wir eigentlich zurueck nach 9.2.2.9,
zurueck nach 9.2.2.13 und muessen den Titel "Herzog von Wuerttemberg"
noch einmal als gesondertes Datenelement erfassen?

[Es ist bedauerlich, dass es keine Beispiele fuer deutsche Adlige gibt,
"von Dingsda" ist bereits Adelspraedikat und hat m.E. in der normannischen
Tradition kein Pendant]


C. "Carl Herzog von Wuerttemberg" enthaelt keinen Nachnamen oder etwas
das als soclher fungiert (wenig realistisch bei unserem Vorwissen, cf.
aber Hohenzollern/Preussen und Wittelsbacher/Bayern): Erfassung erfolgt
dann mit dem Territorialtitel "Wuerttemberg". Dann scheint es mit
irgendwelchen hier nicht erwaehnten ueblichen Regeln weiterzugehen,
jedenfalls landet auch der persoenliche Name in der Ansetzung und
wir bekommen vermutlich

"Wuerttemberg, Carl von" plus die uebliche Erfassung des Titels als
weiteres Datenelement

D. (uns ist kurzzeitig entfallen, dass die Wuerttembergs die ehemals
regierende Familie im souveraenen Koenigreich Wuerttemberg waren):
9.2.2.14 greift direkt, Ergebnis also wie bei B.


Das betraf also die Erfassung des Namens als erstes Element der
Ansetzung.

9.4.1.5 hat m.E. seine Entsprechung in AACR 22.12A., betrifft
dort aber nur die Faelle, wo der Titel eben noch nicht aufgrund
22.6 (RDA 9.2.2.14) erfasst wurde, etwa bei Bismarck, Otto, Fuerst
von (warum auch immer: Nachname "von Bismarck-Schoenhausen", verkuerzt
zu "von Bismarck", hoechster Titel "Herzog zu Lauenburg" schmollend
bewusst nie verwendet, Titel davor "Fuerst von Bismarck". vgl. die
aus AACR uebernommenen Beispiele bei 9.2.2.17 wie "George-Brown,
George Alfred Brown, Baron". Also warum nicht "Bismarck, Otto von
Bismarck, Fuerst von"?).

Die RDA-Uebersetzung verstehe ich nicht ganz (9.2.2.14/15 bezieht
sich AACR-like auf Titel), bringen als Beispiele dann aber den
Adels/rang/ (hier: Herzog) und gerade nicht den Adels/titel/ "Herzog
von Wuerttemberg"
Der einschraenkende Bezug auf das Vorhandensein des Adelstitels
im vorhergehend erfassten Datelement "bevorzugter Name" ist
fuer Datenelemente ohnehin unschoen. Wenn man aber unterstellt,
dass hier ein evtl. immer noch fehlendes
"Herzog",
"Herzog von"
oder
"Herzog von Wuerttemberg"
herbeipraktiziert werden soll, dann funktioniert es so nicht, denn
unter B. oben haben wir Faelle, wo diese 9.2.2.14 genutzt wurden und
irgendetwas mit "Herzog" aber nicht in den Namen gewandert ist und
daher diese Regel 9.4.1.5 greifen sollte.

Fuer die Ansetzung wird jedenfalls in diesen Faellen das hier gefundene
mit "," an den unter A.-D. ermittelten Namen angefuegt, evtl. sogar
pleonastisch.


> Die Österreicher haben es besser :-)

Ich bin mir nicht sicher: Nach 1920 sind vermutlich dort diverse auslaendische
Adlige eingewandert oder durch Heirat naturalisiert worden und spaetestens
mit dem EU-Beitritt Oesterreichs hat man die Regeln harmonisieren muessen:
Warum sollte ein EU-Buerger seinen Namen nicht aendern muessen, wenn er von
Deutschland nach Frankreich umbuergert, wohl aber wenn er die oesterreichische
Staatsbuergerschaft annimmt? (IANAL)

viele Gruesse
Thomas Berger
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