[rak-list] Abschlussbericht der FRBR-Arbeitsgruppe zum Thema "Aggregates"

Heidrun Wiesenmüller wiesenmueller at hdm-stuttgart.de
Mit Feb 1 10:54:30 CET 2012


Liebe Frau Payer,


> Das Beispiel 2 der Working Group "Understanding FRBR" ist ein begrenztes
> Sammelwerk mit übergeordnetem Titel (13 Kapitel verschiedener Verfasser
> und ein Herausgeber, der einiges dazu geleistet hat). Die 13 Kapitel sind
> alles Einzelwerke und jeweils als "work" anzugeben. Die Working Group
> sieht diese Schrift als "Aggregating Work" an.

Eben nicht, und das ist gerade das Absurde am Ansatz der Arbeitsgruppe: 
Nicht das begrenzte Sammelwerk selbst ist das "aggregating work", 
sondern der Prozess des Zusammenstellens ist das "aggregating work". 
Dies ist sehr schwer zu verstehen. Im Abschlussbericht heißt es dazu auf 
S. 13: "The aggregating work encompasses all of the intellectual effort 
required to identify the topics to be covered, solicit the authors, edit 
the manuscripts, write the introduction, compile the index and other 
related activities." Man beachte, dass das "aggregating work" wiederum 
nicht etwa die Einleitung oder das Register selbst beinhaltet (dies sind 
normale einfache Werke), sondern nur den Prozess des Schreibens der 
Einleitung und des Registermachens, zusammen mit den anderen erwähnten 
Aktivitäten. Ein solches Prozess-Werk ist per se schon sehr merkwürdig, 
denn Werke sind in FRBR eigentlich als Schöpfungen (creation) definiert, 
und nicht als Prozesse. Und es kann, wie schon gesagt, nicht einmal 
einen Titel oder ein Thema haben (denn es ist der Aufsatzband, der Titel 
und Thema hat, nicht der Prozess der Zusammenstellung).

Das Prozess-Werk hat wiederum eine Prozess-Expression (wie auch immer 
man sich diese vorstellen soll) - und diese ist dann _zusätzlich_ zu den 
Expressionen der normalen Werke (d.h. der einzelnen Aufsätze) in der 
"aggregate manifestation" enthalten (hier heißt es jetzt bewusst 
"aggregate" und nicht "aggregating"). Die Idee ist, dass ein Aggregat 
mehr ist als die Summe seiner Teile: D.h. die aggregierte Manifestation 
besteht nicht nur aus den Manifestationen der Aufsatzwerke, sondern 
enthält darüber hinaus auch noch etwas anderes, das für die Leistung des 
Zusammenstellens steht. Man kann das intellektuell schon nachvollziehen, 
nur sehe ich einfach keinen Sinn darin. Die Benutzer interessieren sich 
doch nicht für den Prozess des Zusammenstellens, sondern für das dadurch 
geschaffene Werk, d.h. den Aufsatzband. Ein solches Werk sollte man 
tunlichst als "aggregate work" bezeichnen, um es nicht mit dem 
"aggregating work" der Arbeitsgruppe zu verwechseln.

Bei einem normalen Werk ist es ja genauso: Da interessiere ich mich im 
Normalfall auch nicht für den Prozess des Schaffens (wenn ich nicht 
gerade Literaturwissenschaftler bin), sondern für das Ergebnis. Der 
Prozess des Schaffens ist FRBR-technisch in der Beziehung zwischen Werk 
und geistigem Schöpfer m.E. völlig ausreichend ausgedrückt. Und niemand 
hält es für nötig, noch eine zusätzliche Prozess-Entität für den 
Schaffensprozess bei einem normalen Werk anzusetzen. Entsprechend sollte 
der Prozess des Zusammenstellens auch ausreichend dadurch ausgedrückt 
sein, dass man (wie auch immer es modelliert wird) eine Beziehung 
zwischen dem Herausgeber und dem "aggregate work" hat.

Übrigens war sich die Arbeitsgruppe auch selbst keineswegs einig. Es 
gibt ein abweichendes Votum, das m.W. von einem nicht geringen Teil der 
Mitglieder getragen wurde, und das sich etwas verklausuliert im Anhang 
versteckt.

Viele Grüße
Heidrun Wiesenmüller

-- 
---------------------
Prof. Heidrun Wiesenmüller M.A.
Hochschule der Medien
Fakultät Information und Kommunikation
Wolframstr. 32, 70191 Stuttgart
Tel. dienstl.: 0711/25706-188
Tel. Home Office: 0711/36565868
Fax. 0711/25706-300
www.hdm-stuttgart.de/bi