[rak-list] Entity-Relationship-Modell und Relationale Datenbanksysteme

Bernhard Eversberg ev at biblio.tu-bs.de
Don Okt 28 09:32:53 CEST 2010


Am 28.10.2010 08:33, schrieb Jürgen Diet:
>
> angesichts Ihrer sehr kritischen Äußerungen gegenüber relationalen
> Datenbanksystemen (RDB) möchte ich gerne einige Anmerkungen zu
> RDBs machen. Sie haben recht, dass es für den Endbenutzer egal sein
> sollte, was für ein Datenbanksystem einer bestimmten Anwendung
> zugrunde liegt. Für den Endbenutzer ist wichtig, dass das konzeptionelle
> Datenmodell die Wirklichkeit gut abbildet. Hierfür hat sich schon seit
> Jahrzehnten das Entity-Relationship-Modell bewährt, das ja auch bei
> FRBR eingesetzt wird.
Ja. Es ging mir primär darum, die oft falsch verstandene Begrifflichkeit
aufzuklären, im Kern also den Fakt, das das Wort "relational" im Begriff
"Relationale Datenbank" eben nicht, wie man intuitiv meint, andeutet,
ein solches Werkzeug sei ideal für die Konstrukte geeignet, die wir
als "Relationen" im FRBR-Modell meinen. Die beiden Begriffe sind
vielmehr unterschiedlich definiert, die Bezeichnung "relational" ist
beim RDBS eine unglückliche Wortwahl, aber sie ist aus der
zugrundeliegenden mathematischen Theorie entlehnt, und wer soll das
ahnen, wenn er das nicht weiß? Da drängt sich die falsche Assoziation
eben auf. Das war mein Punkt, und mehr mehr als das wäre in
dieser Liste off-topic.

Noch anders gesagt, da wir schon mal dabei sind:
Das Paradigma der RDB ist nicht die Relation, wie wir sie verstehen,
sondern die Tabelle. Mit genügend vielen, geschickt gestalteten und
verwobenen Tabellen kann man, wie Sie sagen, ein ER-Modell abbilden.
Sie haben in all dem Tabellenfachwerk dann aber nirgends ein
zusammenhängendes Objekt, das einem Katalogisat entspricht, sondern
die Elemente des Katalogisats verteilen sich über X Tabellen und
müssen zum Zweck der Präsentation jeweils zusammengesammelt und
arrangiert werden. Was dies für die Programmierung bedeutet, vor allem
aber für die Performance, muß ich Ihnen nicht sagen. Aber OK, weitere
Leistungssprünge in Hard- und Software sind zu erwarten, man kann
sich damit erst einmal zurücklehnen. Solange für den Endnutzer
alles transparent ist, wobei dies Wort aber nicht "durchschaubar"
bedeutet - das ist es fundamental nicht - sondern "unsichtbar",
d.h. der Endnutzer sieht und ahnt nichts von der Komplexität unter
der Oberfläche. Zwar ist das generell eine Eigenheit aller Datensysteme,
schon richtig, und darüber hinaus des modernen Lebens, aber ich denke
immer noch, daß man die Dinge nicht ohne Not weit komplexer machen
sollte als wirklich nötig, und daß Eleganz nicht nur an der Oberfläche
das Designziel sein sollte, sondern auch intern. In dem Punkt läßt die
Tabelle als Paradigma uns aber im Stich.

Nun gut, man kann auch sagen, das "Katalogisat", die Titelaufnahme
als zusammenhängendes Textobjekt ist obsolet, spätestens seit dem
Aufkommen der Normdaten. Richtig. Vorerst und noch lange, denke ich,
muß man schon die Fragen der Eleganz, der Performanz und der
Skalierbarkeit stellen, und ob, nüchtern betrachtet, die Tabelle dabei
das Ei des Kolumbus ist.
Denn wenn Sie schreiben,
>  Wenn man MySQL einsetzt, muss man nur darauf achten,
> dass man nicht die Standard-Storage-Engine MyISAM verwendet,
> sondern die Storage-Engine InnoDB, da MyISAM keine Fremdschlüssel
> unterstützt.
>
dann geben Sie ja auch zu, daß die pauschale Aussage, "man kann das
alles mit einem RDBS machen", so eben nicht stimmt. Bei komplexen
Anforderungen stellt sich das auch anderswo immer wieder heraus,
weswegen ich schrieb, man müsse auf ein RDBS eine sehr dicke
Schicht von Anwendungssoftware draufsetzen, und speziell in unserem
Fall sieht man dann von der eigentlichen Relationalität, von der
Tabellarität also, kaum noch was, und von "Standard" zu reden, wieviel
sagt das dann noch aus? Wie portabel sind die Lösungen dann?
Nicht ohne Grund gibt es eine Bewegung weg vom RDBS und hin zu
"NoSQL"-Lösungen (d.h. das Thema ist nicht meine spezielle Obsession):

   http://nosql-database.org/

und ein ganz neues Buch versucht, da einen Überblick zu vermitteln:
(ISBN 978-3-446-42355-8)

    http://d-nb.info/1002464552

Es ist also noch immer zu viel im Fluß, als daß man sich auf ein
jetzt schon relativ altes Paradigma festlegen sollte.

B.Eversberg