[rak-list] Kurzbericht von "RDA in Europe"
Heidrun Wiesenmüller
wiesenmueller at hdm-stuttgart.de
Mon Aug 9 11:57:38 CEST 2010
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
gestern fand in Kopenhagen die von Anders Cato und Christine Frodl
organisierte "RDA in Europe"-Tagung statt, auf der viel Interessantes
aus erster Hand zu hören war. Die Präsentationsfolien sollen auf der
Veranstaltungswebsite veröffentlicht werden:
http://www.slainte.org.uk/eurig/meetings.htm
Da offizielle Informationen erst nach der IFLA-Tagung zu erwarten sind,
hier vorab ein kurzer Bericht von meiner Seite (wie immer sind Auswahl
und Wertungen rein subjektiv):
RDA Toolkit:
- Der derzeitige Stand und geplante Entwicklungen wurden ausführlich von
Troy Linker und Barbara Tillett vorgestellt. Anregungen und Kritik sind
ausdrücklich erwünscht (über den "support"-Bereich; man darf Herrn
Linker auch direkt eine Mail schreiben, was ich in Bälde zu tun gedenke).
- In Kürze geplant sind Links von AACR2 zu RDA sowie die Einbindung der
"LC policy statements" (LCPS, diese lösen die LCRI ab). Bei jedem
Paragraphen, zu dem es ein LCPS gibt, wird ein entsprechender Button
angezeigt werden, über den man zum jeweiligen Text gelangt. Man wird
einstellen können, ob die LCPS angezeigt werden sollen oder nicht.
- Beim "shared content" (z.B. Workflows oder Mappings) gibt es derzeit
und wohl auch künftig nur zwei Möglichkeiten: Entweder man gibt die
Inhalte nur innerhalb der eigenen Lizenz frei (also innerhalb der
eigenen Bibliothek) oder gleich weltweit für alle Toolkit-Nutzer.
Künftig sollen solche Inhalte aber nach unterschiedlichen Kriterien
gekennzeichnet werden können, und man kann dann einstellen, welche davon
man sehen will. Es wäre also denkbar, Inhalte als "deutschlandweiter
Standard" oder "Standard im Verbund XY" zu markieren.
- Es wird keine eigenen Toolkit-Versionen für andere Sprachen geben,
sondern alle Übersetzungen sollen in das RDA Toolkit integriert werden;
dort kann man dann eine Sprachpräferenz festlegen. Margaret Stewart
sprach in ihrem Vortrag über die geplante französische Übersetzung vom
Toolkit als einem "single multilingual product allowing users to switch
to different language versions."
RDA in der angloamerikanischen Welt:
- Es gab einen ausführlichen Vortrag von Beacher Wiggins (LC) über die
Tests in USA. Alleine an der LC werden 50 Mitarbeiter testen! Die
endgültige Entscheidung der amerikanischen Nationalbibliotheken ist im
Zeitraum April bis Juni 2011 zu erwarten. Bemerkenswert fand ich die
Aussage von Herrn Wiggins, dass man künftig Vieles dem "cataloger's
judgement" überlassen möchte (deshalb sollen auch die 500 LCRI auf nur
noch 200 LCPS reduziert werden). Im Test will man auch erfahren, ob dies
so funktioniert wie erhofft.
- In Australien und Kanada laufen Vorbereitungsarbeiten (z.B. Klärung
der Optionsregelungen). Mit der Implementation ist frühestens in der
zweiten Jahreshälfte 2011 zu rechnen.
- Die British Library führt zwischen September 2010 und März 2011 eigene
Tests durch. In Großbritannien gibt es kein zentrales
Entscheidungsgremium; jede Bibliothek wird selbst entscheiden, ob sie
RDA anwendet.
RDA in europäischen Ländern :
- Es gab zwei längere Vorträge zu Deutschland und Frankreich sowie
Kurzberichte aus Spanien, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland,
Schweiz sowie spontan noch aus Italien und Portugal. Aus osteuropäischen
Ländern gab es leider keine Berichte (obwohl Teilnehmer aus Polen, der
Tschechischen Republik, der Slowakei und Slowenien anwesend waren).
- Die Mehrzahl dieser Länder arbeitet nach Regeln, die mehr oder weniger
exakt AACR2 entsprechen. Von diesen äußerten sich Schweden und Finnland
sehr positiv zur Einführung von RDA. Ansonsten scheint die Devise
derzeit eher ein "wait and see" zu sein; vielfach hat man sich auch noch
nicht sehr intensiv mit RDA beschäftigt.
- Spanien: Hier wollte man ursprünglich eigene neue Regeln machen, hatte
diese Pläne aber 2008 zurückgestellt. Man sieht sich RDA nun sehr genau
an, und die Nationalbibliothek will RDA testen. Es sei aber alles offen.
Besonders wichtig sind den Spaniern wirtschaftliche Fragen (können sich
die Bibliotheken RDA leisten?) und die Rücksichtnahme auf kulturelle
Spezifitäten, wobei auch Lateinamerika zu berücksichtigen ist.
- Italien: Da erst 2009 neue Regeln eingeführt wurden, steht eine
Einführung von RDA derzeit nicht zur Debatte; gleichwohl würde man eine
italienische Übersetzung von RDA begrüßen (der Sprecher hielt sie aber
nicht für finanzierbar).
- Frankreich: Das war für mich der interessanteste Vortrag in diesem
Segment, und ich bin beeindruckt davon, wie die Franzosen die Sache
angehen. Derzeit arbeitet man bewusst mit internationalen Standards
(u.a. ISBD, IFLA names of persons, diverse ISO-Standards) und betont den
"respect for multiculturalism". Technisch scheint man sogar etwas weiter
zu sein als bei uns (Verlinkungen sind Standard, und wenn ich es recht
verstanden habe, gibt es auch Normsätze für Werke). Aufgrund der
FRBR-Aspekte wird RDA zwar als interessant angesehen, auf der anderen
Seite stört man sich daran, dass keine ISO-Standards verwendet werden,
die ISBD nur "loosely" eingehalten wird und die Perspektive noch immer
klar angloamerikanisch ist. Befürchtet werden Rückschritte: "Moving to
RDA should not entail a backward move in French cataloguing practice."
Manche RDA-Regeln sind für Frankreich inakzeptabel; für diese Bereiche
soll ein "French profile" entwickelt werden. Konkret werden zwei
Arbeitsgruppen eingerichtet: Die eine wird sich mit praktischen Fragen
beschäftigen (u.a. Definition des "French profile", Auswirkungen auf die
Bibliothekssysteme, Kostenkalkulationen), die andere mit strategischen
Fragen. Voraussichtlich Ende 2011 soll es eine Entscheidung zu RDA geben.
Organisatorische und strategische Fragen:
- Caroline Brazier (British Library), Mitglied des "Committee of
principals" sprach über strategische Fragen, insbesondere die
Internationalisierung der RDA-Entwicklung und das Geschäftsmodell.
- Grundsätzlich scheint großes Interesse daran zu bestehen, RDA auf eine
internationalere Basis zu stellen, es gibt jedoch auch Befürchtungen
(z.B. Verlangsamung der Regelwerksentwicklung, Notwendigkeit für zu
viele Kompromisse). Die Zusammensetzung des JSC könnte sich in näherer
Zukunft ändern; verschiedene Modelle werden diskutiert.
- Die Problematik des derzeitigen Geschäftsmodells, das noch aus der
Print-Zeit stammt, ist dem Committee of principals bewusst; man sei auch
sehr sensibilisiert für die Kritik, dass Standards frei zur Verfügung
stehen müssten. Jedoch müsse auch ein künftiges Geschäftsmodell
"sustainable" sein, d.h. die Standardisierungsarbeit muss irgendwie
finanziert werden (bisher wird sie es durch den Verkauf des Regelwerks
bzw. künftig des RDA Toolkit). Konkrete Vorschläge, wie ein neues
Geschäftsmodell aussehen könnte, äußerte Frau Brazier nicht. Ein
Teilnehmer verwies auf das Modell, das etwa im W3C praktiziert wird: Wer
Einfluss auf die Standards nehmen möchte, muss dafür bezahlen, aber
jeder kann sie kostenlos nutzen.
Allgemeines zu RDA:
- Unter der Mailadresse LChelp4rda at loc.gov kann man inhaltliche Fragen
aller Art zu RDA stellen (das werde ich demnächst mal mit dem hier vor
einer Weile diskutierten Problem bei Aufsatzsammlungen ausprobieren).
- Am Rande der Tagung hatte ich Gelegenheit, mit Barbara Tillett und
Margaret Stewart über einige Punkte zu sprechen, die mir im Zusammenhang
mit RDA besonders Bauchweh bereiten. Mein Eindruck war, dass den beiden
die angesprochenen Schwächen von RDA durchaus bewusst sind (Barbara
Tillett war z.B. ganz meiner Meinung, dass Verknüpfungen über
Textstrings abgeschafft werden müssten), und dass sie auf Verbesserungen
in der Zukunft hoffen. Allerdings wird das wohl seine Zeit brauchen...
Viele Grüße
Heidrun Wiesenmüller
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Prof. Heidrun Wiesenmüller M.A.
Hochschule der Medien
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