[rak-list] Zur RDA-Genese

Bernhard Eversberg ev at biblio.tu-bs.de
Thu Dec 22 10:01:26 CET 2005


"Ressourcenbeschreibung und Zugriff". Oder "... und -zugriff"? (RBZ?)
Wie soll der deutsche Titel lauten? Oder wird keiner gebraucht?

Aber im Ernst: Erstens ist nicht zu erkennen, ob "Resource Description
and Access (RDA)" nur ein Arbeitstitel ist und ein besserer noch
gesucht wird. Zweitens ist "Ressource" nach wie vor im Deutschen
kein Terminus, mit dem man Bibliotheksbenutzer konfrontieren sollte,
wenn in Wirklichkeit denn doch überwiegend Bücher gemeint sind.
Das Regelwerk ist ja nur fürs Personal? Schon, aber was spricht dafür,
die grundlegendsten Begriffe mit Vokabeln zu belegen und diese schon im
Titel zu verwenden, die dem Außenstehenden nichts offenbaren?
Wir gehen mit "Veröffentlichungen" um, auch "Publikationen" versteht
jeder. Der Begriff muß nur so erweitert werden, daß darunter alles
fällt, was einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, dann stimmt
er auch im Internet, egal was da noch kommt. Oder hat jemand schon
einen Leser erlebt, der sagte, "ich suche Ressourcen über ..."?
Indessen muß der Titel nicht unbedingt den Gegenstand erwähnen, mit
dem das Werk sich befaßt, der Titel kann ruhig die Tätigkeit benennen,
die damit geregelt wird - also "Regeln für die Formalkatalogisierung",
das ist und bleibt stimmig.

Sieht man den neuen Entwurf durch, dann wird außerdem klar, und es wird
auch deutlich gesagt (1.1.1), daß der Regeltext mit "resource" im
allgemeinen nichts anderes meint als was wir "Vorlage" nennen würden.
Sogar "Werk" wird in den RAK ja ebenfalls oft in dem Sinne verwendet.
Die "geistige Schöpfung" ist zwar nur ein Abstraktum, und kommt in RDA
gar nicht mehr vor, aber man kommt um sie nicht ganz herum, vor allem
wenn es an den Einheitstitel geht (jetzt "citation", s.u.).

Es geht nun aber nicht um Wortklauberei - nur kann man sie nicht ganz
vermeiden, es sei denn, man will auf eine Übersetzung gleich völlig
verzichten. Als Krittelei an der Sache selbst ist dies jedoch bitte
nicht mißzuverstehen. Denn:

Der RDA-Teilentwurf könnte sich zu einem wirlich großen Wurf
auswachsen, soviel ist ganz gut erkennbar. Anders als beim Ansatz zu
AACR3 wird hier ein konsequenter Neuentwurf aus dem Boden gestampft,
und das ist beeindruckend. Besonders aus der Sicht derer, die bislang
AACR anwenden, aber nicht nur. [Das wichtige und vermutlich umfang-
reiche Kap. 3, "Technical description", fehlt noch.]
Es deutet sich an, daß die alte Kasuistik auch in den entscheidenden
Teilen II und III überwunden werden wird zugunsten von logisch schlüs-
sigen Prinzipien, die sich überall durchziehen. Begrifflichkeit wird
klar definiert, und zwar in eigenen Abschnitten, statt irgendwo im Text
oder gar nicht (wie bei "work" in AACR).
Sucheinstiege (nun "Relationships" genannt - das ist unverkennbar
B. Tilletts Handschrift und FRBR) und Ansetzungen ("Access point
control") erhalten eigene Teile, II und III.
(Eine Entsprechung zu unserer griffigen "Ansetzung" und zum "ansetzen"
gibt es freilich nicht!) Neu ist "citation", womit die formale,
eindeutige Benennung eines Werks in Verbindung mit "expression" und
"manifestation" gemeint ist. Dies ist eine Erweiterung des "uniform
title" (dieses Wort tritt nicht mehr auf) und löst zugleich die
Haupteintragung ("main entry") ab, die es als Begriff ebenfalls
nicht mehr gibt. Was wollen wir dafür auf deutsch sagen? Die
Wörter "expression" und "manifestation" sind ja auch noch nicht
adäquat übersetzt! Neuer Vorschlag: "Fassung" und "Version".

Mit einem Wort: man erreicht die entscheidenden Punkte, die mit RfK
erreicht werden sollten und schon angelegt waren und sind. Was noch
fehlt, sind allerdings Indexierungsrichtlinien (welche die alten
Ordnungsregeln ablösen, aber die hatte AACR ja auch nie) und Aussagen
zur Verwendung von Codes. Dies liegt wohl auch daran, daß man
sorgfältig jeden Hinweis auf Fragen der Datenmodellierung, also
Formatfragen, vermeidet.

Realpolitische Vernunft legt es nun also nahe, auf diesen neuen Entwurf
zu setzen. "Umstieg auf AACR2" ist keine Option mehr, aber RDA ist noch
nicht in anwendbarer Form vorhanden - das ist nun jedoch das Problem.
Aber was hülfe Jammern. Zwar könnte mittlerweile ein geschlossenes
Regelwerk für Formalkatalogisierung vorliegen, hätte es nicht den
Nikolausbeschluß gegeben. Und dieses wäre von dem, was RDA erst noch
werden will, nicht weit entfernt! "Was solls", ist hier offenkundig
die Haltung der Akteure, die sich vor allem darin verrät, wie man das
mit RfK konzeptionell und inhaltlich erreichte in keiner Weise erwähnt
und auch in der Rede von der "aktiven Beteiligung" nicht auf irgend-
welche Erfahrungen abhebt, die evtl. einzubringen wären.

Es gibt aber, wie schon angedeutet, Punkte, die im Zuge der deutschen
"Beteiligung am Geneseprozeß" noch eingebracht werden könnten und
sollten. Wenn schon der Wille fehlt, von der Kraft nicht zu reden, ein
eigenes Regelwerk zu erstellen, und wenn dies nicht mehr opportun
erscheint, dann wird jetzt alles auf die Umsetzung des "Genesis-
beschlusses", nennen wir ihn mal so, ankommen. Für die Endverbraucher
aber, die KatalogisiererInnen, zählt das Ergebnis, das man schluß-
endlich in die Hand nehmen kann - die deutsche Ausgabe. Man fasse sich
noch ein paar Jahre in Geduld.

Mitwirkung am Geneseprozeß, oder wenigstens dessen Beobachtung,
wird sodann wohl kaum in dieser Liste stattfinden, deren Name ja nun
definitiv obsolet ist, sondern eher noch in der neu geschaffenen
RDA-Liste:
    http://www.collectionscanada.ca/jsc/rda.html#discuss

Also nix wie hin!

Doch auch indem ich dieses niederschreibe, da warnt mich was, daß ich
dabei nicht bleibe...
Tun wir wirklich das Richtige? Was wird der Stellenwert eines Formal-
katalogisierungs-Regelwerks noch sein, ab 2009? Wie sieht die Zukunft
der Katalogisierung wirklich aus? Mehr dazu steht zwar andernorts, aber
noch ein Hinweis ist hier nötig: Beim Katalogisieren arbeitet man heute
fast überall mit Eingabesystemen, die entweder formularähnlich sind
oder aber das Eingeben von Datenfeldern verlangen. Man denkt dabei in
Kategorienummern, nicht in Regelwerksparagraphen. Was also gebraucht
wird, ist ein System der kontextbezogenen Hinweise, die man jederzeit
genau da abrufen kann, wo man sie braucht: F1 drücken und der Text zu
dem betr. Feld erscheint! In unserer heterogenen Formatlandschaft ist
das natürlich weniger leicht umzusetzen als in einer MARC-Landschaft.
Beim GBV z.B. hat man mit der Online-Katalogisierungsrichtlinie schon
fast so etwas wie einen Regelwerksersatz ... Das gebundene Regelwerk
bleibt als theoretische Grundlegung nötig, aber die Praxis braucht
etwas anderes.


Trotz alledem: Frohes Fest und ein gutes Jahr 2006!

B. Eversberg




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