[rak-list] RDA kristallisiert sich heraus

Armin Stephan armin.stephan at augustana.de
Wed Jan 30 11:56:19 CET 2008


Lieber Herr Eversberg, liebe Liste,


die Sicht des "point of no return" belegt auch eine Einschätzung einer 
Kollegin aus dem amerikanischen kirchlichen Bibliothekswesen in einem 
Bericht über ein ALA-Meeting:

"I attended the ALA Midwinter Meetings earlier in
January, and found that
the general attitude to RDA was much more negative
than previously.  The
ALA representative to the JSC acknowledged that
the other partners
(Great Britain, Canada and Australia) are much
more enthusiastic about
RDA than is ALA.  The tenor was so negative that
the chair of CC:DA's
parent committee asked whether ALA should
seriously consider stepping
back from RDA and returning to a revision of AACR2
which would be much
less radical.  There seems to be little likelihood
of that happening
however, since the general feeling was that the
"train has left the
station and if we get off now, we may never be
able to get back on."  So
the work goes on, however reluctantly."

Man ist unglücklich, wagt aber nicht mehr eine Kehrtwende zu vollziehen.


Ich hatte in den letzten Tagen selber wieder einmal Gelegenheit, mich mit 
den aktuellen RDA-Entwürfen zu beschäftigen in Bezug auf den Umgang 
mit biblischen Werken.

Aus der Sicht der meisten KatalogisiererInnen ist das freilich ein 
Randthema und man kann sich beim Durchlesen der Entwürfe auch  nicht 
des Eindrucks erwehren, dass dem Thema sehr wenig Mühe gewidmet 
wurde.

Regelrecht geschockt hat mich zu sehen, dass man in RDA andenkt, 
Katalogisierungsgepflogenheiten (der AACR) zu tradieren, die nun wirklich 
in keinster Weise verträglich sind mit dem Anspruch eines Regelwerkes für 
das Online-Zeitalter.

Beispielsweise sollen in Bibelstellenangaben auch weiterhin römische 
Ziffern Verwendung finden. Man denkt, man träumt, wenn man so etwas 
liest. Keine Chance, so etwas maschinell jemals einigermassen vernünftig 
zu sortieren. Gar nicht daran zu denken, wie Bibliotheksbenutzer 
hierzulande bei  der Recherche mit so etwas zurecht kommen.

Biblische Werke sollen hierarchisiert angesetzt werden, z.B. "Bible. 
Revelation". Eine sinnlose Erschwernis für die Recherche solcher 
Ansetzungssachtitel.

RDA wird also wohl ein unglaublicher Mischmasch von progressiven Ideen 
(FRBR-Strukturen) und bedenkenlos fortgeführten, längst überholten 
Katalogisierungsgepflogenheiten (des angloamerikanischen Raumes). 
Wenn ich die Kollegin richtig interpretiere, würden sich amerikanische 
KatalogisiererInnen sogar noch mehr Festhalten an AACR-Regelungen 
wünschen.

Es ist wirklich kein Wunder, dass die allgemeine Begeisterung für RDA 
ausbleibt.

Und mir ist auch (wieder einmal) deutlich geworden, dass wir uns auf 
weitaus mehr gravierende Umstellungen in unseren 
Katalogisierungsgewohnheiten werden einstellen müssen, als uns lieb und 
derzeit schon bewusst sein dürfte.






Am 30 Jan 2008 um 9:12 hat Bernhard Eversberg geschrieben:

> 
> Auf der ALA Midwinter Conference in Philadelphia hat die RDA-Crew
> wieder
> getagt und neues Material vorgelegt. Nebenbei auch ein neues Logo,
> das
> von Martha Yee schon unschmeichelhaft kommentiert wurde.
> 
> Marjorie Bloss (Project Manager, Australien):
> 
> http://www.collectionscanada.gc.ca/jsc/docs/mb-philadelphia-20080113
> .pdf
> 
> legt dar, wer nun in welcher Weise beteiligt ist und welche
> Zuständig-
> keiten hat. Ferner, was in näherer Zukunft geschehen soll, wie und
> wo.
> Anfang 2009 soll die erste Online-Version in Betrieb gehen, Ende
> 2009
> wollen die Nationalbibliotheken von USA, Kanada, UK und Australien
> implementieren. (Andere Länder sind weder erwähnt noch
> augenscheinlich
> offiziell am Geneseprozeß beteiligt.)
> 
> Sodann hat John Attig, langjährig federführend für das JSC tätig,
> eine
> Präsentation zur neuerlich umgekrempelten RDA-Struktur vorgelegt:
> 
> http://www.collectionscanada.gc.ca/jsc/docs/jca-philadelphia-2008011
> 3.pdf
> 
> Ungeachtet der letztens aus einer LC-Arbeitsgruppe geäußerten
> skeptischen Empfehlung ("suspend work on RDA") verfolgt man, den
> "point of no return" wohl hinter sich wähnend, eine
> Augen-zu-und-durch-
> Strategie.
> Immerhin wird im aufgewühlten Fahrwasser - Schüsse vor den Bug gab
> es
> auch etliche aus der RDA-Liste heraus - eine interessante
> Kursänderung
> vorgenommen: Im Kommentar zu Slide 18 von Attig heißt es:
> "Man kam überein, daß die Regeln zur Notierung in englischer
> Sprache
> ersetzt werden sollten durch Regeln zur Aufzeichnung in der Sprache
> der
> jeweiligen Agentur; dies wird es möglich machen, RDA ohne Änderung
> in
> nicht-englischen Umgebungen einzusetzen." Man kehrt damit zu AACR
> zurück und folgt zugleich dem neuesten (und von deutscher Seite
> noch
> immer unkommentierten) Trend des "IME ICC Statement ..." 5.2.4, wie
> im
> Oktober berichtet:
> 
> http://lists.ddb.de/pipermail/rak-list/2007-October/001087.html
> 
> Nicht mehr nur "Arbeitssprache Deutsch" heißt das für uns, sondern
> auch "Ansetzungssprache Deutsch". International soll das Regelwerk
> ausdrücklich sein, der internationale Austausch aber kann so nicht
> klappen, der fordert entweder realpolitisch konsequent
> "Arbeitssprache
> Englisch" oder aber vorwärtsblickend VIAF und darin Kennzeichnung
> der
> sprachspezischen (oder agenturspezifischen) Ansetzungen, und
> sodann
> Nutzung der VIAF als Schaltstelle zwischen den Katalogen. Diese
> Vorstellung ist immerhin auch bei Attig schon zu finden (im
> Kommentar zum Slide 7). Unser Konzept der originalsprachlichen
> Ansetzung ist damit sicher Geschichte, aber es entstand in einer
> Zeit ohne die heutigen Möglichkeiten, und heute ist VIAF die
> bessere Idee - sie fordert aber eine hochkomplexe Infrastruktur.
> 
> Ganz genau genommen haben wir bisher keine Ansetzungssprache,
> sondern
> wir setzen originalsprachlich an. Die RDA-Formulierung "... in der
> Sprache der Agentur" müßte folglich lauten: "... in der
> Gepflogenheit
> der Agentur". Dem VIAF-Konzept kann das natürlich nichts
> ausmachen.
> 
> Interessant bei Attig sind besonders die Slides 5-7, auf denen
> er drei Szenarien vorstellt, in denen sich RDA entfalten könnte.
> Numeriert sind sie seines Erachtens falsch herum:
> 
> Szenario #3  (das einfachste)
> - Flache Satzstruktur
> - Satz beschreibt eine Vorlage vollständig mit allen Angaben
>    zu allen "Entitäten" (Work, Expression, ...)
> - Satz enthält alle Sucheinstiege (Ansetzungen und Verweisungen!)
>    zu den beteiligten Personen etc., auch Sachkriterien.
> 
> Das ist unser bisheriges MAB-Modell, wenn man die IdNummern der
> Normdaten herausnimmt.
> 
> Szenario #2  (das reale)
> - Satzstruktur wie in #3, aber zusätzlich die IdNummern der
>    Normsätze
> 
> Das ist das bisherige MARC-Modell, wobei aber MARC keine IdNummern
> verwendet, sondern die Ansetzungen deren Rolle (Hinweis auf den
> Stammsatz) mit übernehmen.
> MARC-Sätze enthalten keine Verweisungen, d.h. MARC hat keine
> Entsprechung zu MAB 101,105,... und 201,205,...
> 
> Szenario #1  (Zukunftsmusik)
> - Jede Entität bekommt einen eigenen Datensatz mit eigener ID:
>    Werk, Ausgabe, Version, Exemplar?, Person, Körperschaft, Begriff,
> ...
>    Wie man diese Datensätze nennen soll, steht noch nicht fest.
> - Verknüpfungen mittels der ID-Nummern zeigen Beziehungen an
> - Internationalisierung durch VIAF
> - Strenggenommen braucht dieses Szenario keine herausgehobenen
>    Ansetzungsformen (d.h. HE endgültig erledigt)
> 
> MAB- oder MARC-Sätze alter Art fänden hierin wohl ihre
> Entsprechung im Satz für die Version ("Manifestation"), der
> auf die Ausgabe verweist (und diese zum Werk) und auf den
> von den Exemplarsätzen verwiesen würde. Stammsätze für
> Personen etc. werden in den Sätzen der Typ-1-Entitäten mit
> ihren IdNummern referenziert (verlinkt).
> 
> Wir haben dieses Modell nicht in aller Konsequenz, aber im
> Konzept doch abgebildet in den Pica-Systemen, bis auf VIAF.
> Daher wissen wir um die Komplexität des Austausches zwischen
> Systemen. Solche Erfahrungen liegen in der MARC-Welt noch
> nicht vor. Dort wird demnach zunächst nur vom Szenario #2
> die Rede sein können, d.h. man müßte die MARC-Sätze endlich
> mit IdNummern aufwerten.
> 
> 
> MfG B.Eversberg
> 
> 
> _______________________________________________
> rak-list mailing list
> rak-list at lists.d-nb.de
> http://lists.d-nb.de/mailman/listinfo/rak-list


Mit freundlichen Gruessen
Armin Stephan
Jefe de Biblioteca
Augustana-Hochschule / Bibliothek
D-91564 Neuendettelsau
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