AW: AW: [rak-list] Re: Aus der 10. Sitzung des STA (Teil 2)
Heidrun Wiesenmueller
wiesenmueller at WLB-STUTTGART.DE
Mon Jun 13 09:13:19 CEST 2005
Liebe Frau Hengel,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
es soll nun nicht wie beim Pingpong immer hin und her gehen, aber (mit
leichter Verspaetung) doch noch einige Anmerkungen zu Frau Hengels Antwort
vom 7. Juni auf meine Mail vom 6. Juni.
>Die Zukunft der Bibliotheken liegt im Web.
Also, nach meinem Eindruck liegt schon die Gegenwart der Bibliotheken im
Web ;-)
>Es gilt zu organisieren, dass Benutzer mit ihrer jeweiligen Suchsprache
>und ohne Vorkenntnis von bibliothekarischen Regeln verteilt gehaltene
>Medien und Informationen suchen und benutzen können. Die Regeln, nach
>denen erschlossen wird, und die Erschließungsinstrumente wie Normdateien,
>Klassifikationen, vereinbarte Codes etc., die dabei verwendet werden,
>müssen international zueinander passen und Umstiegsmöglichkeiten zwischen
>den Erschließungsinstrumenten vorsehen.
(...)
>Die Aussage ist zwar banal, aber trotzdem richtig und für große
>Datenbestände besonders wichtig, dass die Recherche in heterogen
>erschlossenen Datenbeständen die besten Ergebnisse hat, wenn die
>Abweichungen in den zur Erschließung verwendeten Standards möglichst
>gering sind, die Entitäten und die zur Beschreibung verwendeten
>Elementtypen übereinstimmen.
Auch wenn es wuenschenswert waere, so scheint mir doch die Vorstellung
etwas naiv, dass man im Web zu einer nennenswerten Homogenitaet der
Standards kommen koennte. Schon in dem von mir genannten Beispiel
(Datenbestaende von Landesinstitutionen wie Bibliotheken, Archiven,
Bildstellen, Museen etc.) ist die Heterogenitaet gewaltig. Aber das ist
nichts im Vergleich zum freien Web mit seiner Unzahl von "Playern", die
ganz unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Wir wissen alle, dass der
Erfolg der Metadateninitiativen bisher sehr begrenzt ist. Natuerlich ist es
eine schoene Sache, wenn etwa eine Konkordanz zwischen Dublin Core und RDA
hergestellt wird - aber wieviele Dokumente im Web haben denn ueberhaupt
DC-Tags? Und bei denen, die mehr als DC simple verwenden: Wieviele
unterschiedliche Versionen sind im Umlauf? M.W. haben z.B. praktisch alle
deutschen bibliothekarischen Projekte, die mit DC arbeiten, dieses
irgendwie modifiziert. Und selbst wenn die Metadaten-Kategorien komplett
uebereinstimmen: Wie sieht es denn mit den Inhalten aus - wer verwendet
ueberhaupt Normvokabular?
Vor diesem Hintergrund halte ich es weiterhin fur ziemlich sekundaer, ob
deutsche und angloamerikanische bibliothekarische Regelwerke noch eine
Nuance enger zusammenruecken oder nicht. Denn wir kommen sowieso nicht
darum herum, technische Loesungen mit "intelligenten", lernenden Systemen
zu entwickeln, um der ausserhalb der bibliothekarischen Welt herrschenden
Vielfalt Herr zu werden.
>2) Vielmehr ist fuer mich bisher noch immer nicht ueberzeugend belegt,
>dass die RAK fuer unsere Nutzer tatsaechlich ein nennenswertes
>Recherchehindernis darstellen. Die Ausfuehrungen dazu waren immer recht
>allgemein - vielleicht koennte man das einmal anhand realistischer
>wissenschaftlicher Bedarfsszenarien und konkreter Recherchebeispiele
>verdeutlichen?
>
>Zu 2)
>Die RAK in der heute vorliegenden Form bieten an vielen Stellen
>Recherchehindernisse, z.B. bei den sich widersprechenden Sonderregeln,
>z.B. bei abweichenden Ansetzungsformen in Formal- und Sacherschließung,
>z.B. in Ansetzungs- und Verweisungsregeln, die die Angabe des Namens einer
>Körperschaft in unveränderter Form regelrecht verbieten.
Das war, scheint mir, ein Missverstaendnis. Dass die RAK-WB in manchem
verbessert werden koennten und muessten, ist keine Frage - das war ja das
Ziel von RAK2. Und wenn die RAK-Entwicklung nicht immer wieder ausgebremst
worden waere, haetten wir vermutlich schon laengst die Sonderregeln
vereinheitlicht und zusammengefuehrt etc.
Mir ging es um Beispiele, wo Regelwerksunterschiede zwischen RAK und AACR
_real existierende_ Benutzer bei _real durchgefuehrten_ Recherchen das
Leben schwer machen. Aus meiner eigenen Erfahrung im Auskunftsdienst (an
einer grossen Universalbibliothek mit geisteswissenschaftlichem
Schwerpunkt) kann ich sagen, dass mir das noch nie untergekommen ist. Aber
vielleicht sieht das z.B. in Spezialbibliotheken ganz anders aus? Ich waere
an Erfahrungsberichten interessiert!
>Aber selbst wenn dies nicht so wäre, ist eine internationale Abstimmung
>notwendig.
>Deutsche Erschließungsregeln in einer weiterentwickelten, international
>vereinbarten Form soll und muss es geben.
Es ist ja in der Diskussion oefter der Verdacht geaussert worden, dass es
bei der ganzen Geschichte weniger um Sachfragen geht als um Politik: Dass
einfach "Internationalitaet" (oder das, was man dafuer haelt) her muss,
egal ob es in der Praxis etwas bringt oder nicht. Die zitierte Formulierung
scheint mir auch wieder etwas in diese Richtung zu gehen. Im Juni 2003
(vgl. STA-Protokoll 04.06.2003) hatte sich DDB uebrigens schon mal mit der
Frage beschaeftigt, wie man vorgehen sollte, falls "sich die Globalziele
Wirtschaftlichkeit und Internationalitaet nicht harmonisieren lassen", und
ausgefuehrt, dass "im Konfliktfall der Interoperabilitaet, der
Austauschtauschbarkeit, der Vermischbarkeit von Daten verschiedener
Herkunft die hoechste Prioritaet eingeraeumt werden" sollte.
Und jetzt noch kurz zum Thema Koerperschaften - wobei ich deutlich sagen
moechte, dass ich auf diesem Gebiet wirklich keine Spezialistin bin. Die
Aussagen in meiner letzten Mail sollten bewusst plakativ sein und waren
daher notwendigerweise auch etwas vereinfachend.
>Die Vermischung von Ortsnamen und Körperschaftsnamen bedeutet die Kreation
>eines Kunstnamens, der sich nach eigenen Regeln ändert, wenn sich der Name
>eines der beiden Bestandteile ändert. Dieser Kunstname ist auch nicht in
>allen Fällen dem Benutzer geläufig und für die Recherche geeignet.
>Durch die separate Angabe von Körperschaftsnamen und Ortsnamen erreicht
>man, dass der Name der Körperschaft klar definiert ist und der Ort als
>Sitz der Körperschaft, durch den die K. näher definiert wird, getrennt
>verwaltet, geändert und auch gesucht werden kann.
Wie fast alles im Leben ist sicher auch die GKD (deren Loblied ich in der
letzten Mail gesungen hatte) nicht so gut, dass sie nicht noch verbessert
werden koennte - was man im Zuge der RAK-Weiterentwicklung in Angriff
nehmen sollte. Die Angabe des Koerperschaftssitzes in einer eigenen
Kategorie (oder Unterfeld oder sonstwas) etwa hat sicher einen gewissen
Charme (werden die RDA denn das machen? In AACR2 ist es m.W. nicht so).
Grundsaetzlich sollte man sich aber bei der Definition komplexer
Datenstrukturen immer fragen, ob man auch entsprechend komplexe
Suchmoeglichkeiten im OPAC anbieten kann und will. Ich erinnere an die SWD,
die m.W. derzeit in kaum einem OPAC recherchierbar ist. All die schoenen
Informationen (Oberbegriffe, Laendercodes, Definitionen...), die wir seit
vielen Jahren erfassen und die zweifelsohne die Recherche drastisch
verbessern wuerden, enthalten wir unseren Benutzern vor und speisen diese
stattdessen meist mit sehr simplen und zum Teil auch irrefuehrenden
Suchmoeglichkeiten (wenn Schlagwoerter aus unterschiedlichen Ketten bei der
Verstichwortung einfach in einen grossen Topf geworfen werden) ab. Das nur
nebenbei - aber gleichzeitig ist es ein gutes Beispiel fuer Dinge, die
dringlicher und effektiver waeren als ein Umstieg auf ein neues Regelwerk.
>Beim Zusammenführen von Entitäten kann man Korrekturen automatisch
>durchführen. Ungleich schwieriger sind nachträgliche Splits herzustellen.
>Allerdings kann das Fehlen von Differenzierungen für eine übergreifende
>Recherche hinderlich sein, wie sehr hängt vom jeweiligen Fall ab. Wir sind
>im Moment im GKR-Projekt an der Zusammenstellung einer Übersicht über die
>Entitätenzuschnitte nach den RAK-WB, den RSWK und den AACR2 - was sehr
>aufwändig ist und wofür ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanke -
>und werden die Ergebnisse gemeinsam mit der Projektgruppe für die
>beteiligten Expertengruppen aufbereiten.
Daran waere ich sehr interessiert und hoffe daher, dass das Papier
veroeffentlicht wird.
Zu meiner These, dass es dem Benutzer egal ist, ob er eine deutsche Form
angezeigt wird, solange er nur damit suchen kann, schrieb Frau Hengel:
>Wir erwarten das von unseren Normdaten-Benutzern eigentlich jetzt schon
>durchgehend, wenn er mit Verweisungsformen sucht.
Das ist mir klar - deshalb finde ich es ja gerade so unsinnig, wenn jetzt
die Personennamen des Mittelalters auf Deutsch getrimmt werden muessen,
obwohl diese Formen als Verweisungen schon laengst da sind. Ich sehe hier
einfach keinen Recherchegewinn.
>Zur Vorgehensweise: In der Tat ist die Zusammenführung von
>SWD-Körperschaften und GKD-Körperschaften in gemeinsamen Normdatensätzen
>unsere im GKR-Projekt und darüber hinaus anvisierte Zielsetzung.
>(Manueller Nachbearbeitungsaufwand in Titeldaten soll dabei nach
>Möglichkeit vermieden werden, und auch bei den Normdatensätzen sprechen
>die Größenordnungen gegen manuelle Verfahren.)
Sobald neue Splits ins Spiel kommen, wird es aber wohl doch nicht ohne
manuelle Korrekturen gehen. Deshalb faende ich es gut, wenn bei der
Diskussion konkreter Vorschlaege immer auch eine (realistische)
Abschaetzung des damit verbundenen Aufwands vorgelegt wuerde.
Und abschliessend noch zum Thema Abwaertskompatibilitaet der Normdateien:
>Wir machen uns gerade daran, diese Details gemeinsam mit den Experten und
>den Normdatenpartnern zu entwickeln. Dazu haben wir bisher zwei Projekte
>begonnen, das schon erwähnte Projekt "Entwicklung Gemeinsamer
>Ansetzungsregeln für Körperschaften" (GKR-Projekt) und ein zweites Projekt
>"Entwicklung eines Gemeinsamen Körperschaftsformats" (GND-Projekt). In
>beiden Projekten werden von einer kleinen Arbeitsgruppe mit Vertretern aus
>den beteiligten Expertengruppen bzw. Verbünden die Problembereiche - z.B.
>Entitäten, z.B. Sprachfrom des Namens, z.B. separate (Unter-)Felder für
>Datenelemente - inhaltlich vorbereitet und in den Expertengruppen zur
>Diskussion und Beschlussfassung vorgelegt. Die Experten sind dabei
>aufgefordert, auch die Diskussion in den Verbünden anzustoßen und zu
>organisieren, und AfS hat sich vorgenommen, möglichst breit zu informieren.
Das ist uneingeschraenkt zu begruessen!
Mit freundlichen Gruessen zum Wochenbeginn
Heidrun Wiesenmueller
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Heidrun Wiesenmueller M.A.
Wuerttembergische Landesbibliothek
Landesbibliographie / Karten- und Graphische Sammlung
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