[rak-list] Umstieg auf AACR
Franz2x at aol.com
Franz2x at aol.com
Tue Feb 26 10:06:43 CET 2002
Hallo RAK-Interessierte,
Vorbemerkung: Eigentlich wollte ich den folgenden Text erst am 6.3.
abschicken, zum erneuten (monatlichen) 'Gedenken' an den 6.12. des
vergangenen Jahres, an dem der Standardisierungsausschuß den Umstieg auf die
AACR beschlossen hat (vgl. meinen Beitrag vom 6.2.). Der gestrige
ausgesprochen zupackende und die Probleme auf den Punkt bringende Beitrag von
U. Hippe hat mich jedoch veranlaßt, meinen Text schon jetzt weiterzuleiten,
da er aus meiner Sicht geeignet ist, den Beitrag von Hippe zu unterstützen
und zu ergänzen. Zugleich veranlaßt das einen potentiellen Beantworter
vielleicht, die gestellten Fragen 'in einem Aufwasch' zu beantworten und
zugleich zu vermeiden, lediglich die bekannten Standard-Argumente zu
wiederholen.
Seit dem 6.2. sind erfreulicherweise ein paar kritische bzw. kritisch
fragende Beiträge in dieser Liste erschienen, darunter auch bereits Mails von
U. Hippe mit Fragen, auf die bisher keine direkte Antwort von Seiten der
Befürworter erfolgt ist.
Hingegen gab es den einen oder anderen für die Umstellung werbenden Beitrag,
von denen mir vor allem der Beiträge von L. Hoffmann (HBZ Köln) und von M.
Münnich (UB Heidelberg) im Gedächtnis geblieben sind. Frau Hoffmann schrieb
am 15. Februar in dieser Liste sinngemäß, man müsse halt einsehen und
akzeptieren, daß die RAK unabhängig von ihren zweifellos gegebenen Vorzügen
international gesehen eine Insel-Lösung darstellten, und daß die
internationale Einheitlichkeit nun mal der höhere Wert sei. M. Münnich
wiederum, auf einen Artikel in der Zeitschrift 'II E aktuell' eingehend, wies
am 19. Februar darauf hin, vermutlich in 'tröstender' Absicht für alle, die
sich Sorgen machen um den Umstieg, man müsse in Deutschland nach dem Umstieg
ja keineswegs auf die so beliebten deutschen Ansetzungen von Personen und
Körperschaften verzichten. Durch Konkordanzen zwischen den deutschen
Normdatensätzen und den amerikanischen, ggf. auch vermittels einer
internationalen Metadatei, sei deren Erhalt kein Problem; allerdings unter
der Voraussetzung, daß man die teilweise vorhandene Nicht-Kongruenz der
betreffenden Entitäten beseitige.
Auf beide Argumente will ich folgendem eingehen, allerdings eingebettet in
eine allgemeinere Darstellung der Problemlage.
Diese allgemeine Problemlage ist dadurch gekennzeichnet, daß es
erfahrungsgemäß wenig sinnvoll ist, mit den folgenden drei Argumenten gegen
die Umstellung zu argumentieren, da jedesmal die bekannten Gegenargumente
kommen, die durchaus 'Totschlags'-Charakter haben.
1. Auf das Argument, die RAK seien doch besser und fortschrittlicher als die
AACR, wird geantwortet, das möge ja so sein, aber darum ginge es gar nicht
(usw. wie oben Frau Hoffmann).
2. Auf das Argument, der Aufwand und die Nachteile seien so enorm, daß man
lieber die Finger davon lassen solle (zumal die Kassen leer seien), wird
geantwortet, der Aufwand werde schon gesehen und die Nachteile auch. Aber so
riesig sei beides nun auch wieder nicht, wenn man auf Perfektion verzichte.
Und außerdem: Da müsse man eben durch, und die DFG werde schon in einem
gewissen Rahmen Hilfestellung leisten.
3. Auf das Argument, besonders nachteilig sei der erneute Katalogbruch (und
Bruch in den Normdateien), und es werde voraussichtlich unmöglich sein, die
RAK-Altdaten je stimmig mit den konkurrierenden AACR-Altdaten und den
AACR-Neudaten zu bekommen, wird meistens geantwortet, auch hier müsse man
natürlich auf Perfektion verzichten. Schließlich seien die deutschen Altdaten
selber schon jetzt eine Mischung aus unterschiedlichen Regelwerksständen, aus
eigenen und aus Fremddaten sowie aus vereinfachten Daten von
Konversionsprojekten.
Der Totschlags-Charakter der Antworten rührt natürlich daher, daß sie -
zumindest auf den ersten Blick - einleuchten, daß sie berechtigt klingen.
Nur: Sind dies überhaupt die richtigen Fragen, muß das Problem nicht
vielleicht ganz anders angepackt werden ? Ich meine, ja. Und zwar durch die
Fragestellung, ob denn das angestrebte Ziel einer vollen Übernahme der AACR
durch die deutschen Bibliotheken überhaupt erreicht werden kann; und wenn
nein, ob der enorme Aufwand und die in Kauf zu nehmenden Nachteile dann noch
in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen; und welcher Nutzen das
eigentlich ist.
Zur Beantwortung dieser Fragen komme ich zurück auf die von mir bereits im
November 2001, also noch vor der entscheidenden Sitzung des SA, in dieser
Liste aufgestellten These, daß selbst bei bestem Willen die AACR, so wie sie
in den USA angewendet werden, voraussichtlich nur zu ca. 85% übernommen
werden können und im Endeffekt auch nur übernommen werden. Die Richtigkeit
dieser These ist erst kürzlich wieder durch M. Münnich untermauert worden,
die in dem oben schon zitierten Beitrag, quasi als Trost für die
RAK-Anhänger, die Möglichkeit der Beibehaltung typisch deutscher Ansetzungen
von Personen und Körperschaften ins Spiel gebracht hat. Nun ist M. Münnich
sicher nicht die offizielle Sprecherin des SA, aber bezeichenderweise findet
sich auch im Protokoll der Dezember-Sitzung die Aussage, eine 'Aufgabe
deutscher Ansetzungen (werde) nicht als zwangsläufig angesehen'. Über andere,
viel eher als 'zwangsläufig' zu bezeichnende Beibehaltungen wie z. B. die
sprachenabhängige Transliteration der Kyrilliza usw., habe ich selber in
meinem Beitrag vom November einiges gesagt.
Es wird also, und das ist meine zentrale These, gar keine Übernahme der AACR
im vollen Wortsinne geben (können), sondern bestenfalls eine 'weitgehende'
Übernahme. Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit so etwas wie eine AACR-D
dabei herauskommen, die - so habe ich es schon im November geschätzt - zu 85%
deckungsgleich mit den AACR-US sein wird. Mit dem Effekt, daß man weiterhin -
vielleicht in einem etwas reduzierten Umfang und stärker automatisiert - die
Daten der jeweils anderen Seite umsetzen, überprüfen und zum Teil sicher auch
noch per Hand ändern muß, wenn man sie in den eigenen Zusammenhang einfügen
will.
Welch riesigen Fortschritt also wird der Umstieg bringen? Einen ausgesprochen
kleinen. Die vielen kleinen Unterschiede und der daraus resultierende Prüf-
und ggf. Änderungsaufwand, der die Protagonisten einer Umstellung an der
bisherigen Situation immer so geärgert hat und den sie mit dem Umstieg
endgültig aus der Welt schaffen wollen, wird bleiben, wird bestenfalls
reduziert. In welchem Verhältnis steht das aber dann zu den vielen Nachteilen
und zu dem enormen Aufwand? (Man denke nur an die Übersetzung der Regelwerke
und deren ständige Aktualisierung, an die Umschulung usw.)
Dies gilt im übrigen umso mehr, als wir mit einer eher 'evolutionären'
Angleichung der RAK an die AACR, wie sie bereits in Arbeit war (aber leider
gestoppt worden ist) unter Einbeziehung der laufenden internationalen
Vereinheitlichungsbemühungen ebenfalls in einigen Jahren auf eine
75-80-prozentige Angleichung der Regeln hätten kommen könnten. (Zum Beispiel
stehen die Konkordanzen zwischen den Normdateien, die M. Münnich jetzt
plötzlich als Trostpflaster für einem Umstieg auf die AACR empfiehlt, schon
seit Jahren auf dem Programm der IFLA, allerdings immer mit dem Ziel einer
Brückenfunktion zwischen *unterschiedlichen* Regelwerken, unterschiedlichen
Ansetzungen! )
Frage zum Schluß: Wann endlich beschäftigen sich die Befürworter des Umstiegs
und insbesondere die Verantwortlichen für den Dezember-Beschluß endlich
einmal ernsthaft mit *diesen* Überlegungen und mit der sich daraus neu
stellenden Frage nach der Kosten-Nutzen-Relation?
MfG
G. Franzmeier
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