[rak-list] Die Welt neben RDA

Bernhard Eversberg ev at biblio.tu-bs.de
Thu Sep 3 11:18:08 CEST 2009


Ted Schirmer schrieb:
> http://www.ifla.org/files/hq/papers/ifla75/107-petrucciani-de.pdf
> 
> Vielleicht war jemand auf der Veranstaltung und möchte seine persönliche Einschätzung oder gar eine Kritik dieses Regelwerkes abgeben.
> Würde mich interessieren.

Zwar war ich nicht dort, habe mir aber das neue italienische Regelwerk
jetzt mal angeschaut:
http://www.iccu.sbn.it/upload/documenti/REICA_bozza_complessiva_genn2009.pdf?l=it
Datiert vom 30.1.2009
(Ja, es ist frei verfügbar, anders als RDA!)

Es ist, muß man zugeben, ein erstaunliches und mutiges Werk, das zeigt,
wie man zu einem modernen, ebenfalls an FRBR orientierten Regelwerk
gelangen kann, das sich selbstbewußt neben RDA wird behaupten können
und im Gegensatz zu letzterem bereits in Betrieb gegangen ist.
Den italienischen Kolleginnen kann man nur wärmstens gratulieren.

REICA hat nur 380 Seiten, allerdings viel dichter bedruckt und mit etwas
weniger Beispielen versehen als RDA. Die Sprache ist, soweit ich da
urteilen kann, klar, verständlich, präzise, slangfrei. Die handwerkliche
Qualität ist beeindruckend: schlicht, aber wirklich gut gemacht.
Es gibt drei Hauptteile:

0. Einführung (S. 14-21)
    Begriffsdefinitionen und Grundsätze

I. Bibliogr. Beschreibung und Exemplardaten (S.23-199)

II. Werke und Ausprägungen (S.200-255)

III. Verantwortlichkeit (S.256-348)

App. A-G (S.349-380)

Das Werk und seine Identifikation steht hier ganz klar im Mittelpunkt,
wo es ja hingehört, damit zusammenkommt, was zusammengehört - was
seit je oder spätestens seit Panizzi als Hauptaufgabe des Katalogs
begriffen wird. Die konkrete Anwendung sieht dann wohl so aus, daß
man Normsätze für Werke anlegt, mit denen jede konkrete Veröffentlichung
verknüpft werden kann. Dies entspräche dem "Szenario 1", das man für
RDA angedacht hat, über dessen Umsetzung jedoch noch nicht entschieden
ist. (Wer bemerkt, wie schwer selbst so etwas wie das
Nichtsortierzeichen in MARC einzuführen ist, dem kommen Zweifel.)
Die Behandlung mehrbändiger Werke, davon kann man sich im italienischen
Zentralkatalog überzeugen:
    http://www.internetculturale.it/moduli/opac/opac.jsp
entspricht schon jetzt in der Praxis weitestgehend unseren
Vorstellungen, während das in RDA bislang nur Theorie ist und keine
Absicht einer Umsetzung in MARC zu erkennen ist. In Italien wird
augenscheinlich UNIMARC angewandt, was man auch besichtigen kann,
und darin erkennt man die Verknüpfungen, nicht in der USMARC-Anzeige.
Nichtsortierzeichen gibt's auch nur in UNIMARC.

Frau Ohlschlägers Übersetzung des IFLA-Beitrags von Alberto Petrucciani
ist sehr gut, sieht man ab von der Häßlichkeit des reformerischen
Neuschriebs, die sie zwar nicht zu verantworten hat, aber sie folgt der
Altfassung von 1996, nicht der schon abgemilderten und mit besseren
Alternativen versehenen, jetzt gültigen Fassung von 2006
(bibliografisch!, so genannten!, im Allgemeinen!). Zu bemängeln ist
sonst höchstens der exzessive Gebrauch (7x) des Unworts "beinhaltet".

Womöglich könnte man tatsächlich zu einem für uns brauchbaren, wirklich
modernen und doch recht schlanken Regelwerk kommen, nähme jemand die
Aufgabe einer Übersetzung der REICA auf sich. Zuerst müßte das freilich
politisch gewollt sein. Wer irgend Italienisch kann, es muß nicht auf
hohem Niveau sein, unbedingt ansehen!
Nach Italien aber ein herzliches "Auguri!"


B.Eversberg



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