[rak-list] AACR: Neues von DDB

Heidrun Wiesenmueller wiesenmueller at WLB-STUTTGART.DE
Tue Aug 19 10:05:59 CEST 2003


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ausgesprochen lesenswert ist der Beitrag 'Schwarz-weiss oder bunt?' von 
Elisabeth Niggemann in 'Dialog fuer Bibliotheken' 15 (2003), H. 2, S. 4-8 
(leider nicht online, deshalb im Folgenden einige Zitate, die diese Mail 
zwangslaeufig in die Laenge ziehen werden). Frau Niggemann betont darin (S. 
6), dass nach Abschluss der Machbarkeitsstudie nicht zwischen zwei, sondern 
drei Optionen entschieden werden muesse, naemlich erstens der 
"Neuentwicklung eines modernen deutsch-oesterreichischen Einzelwegs", 
zweitens der "Migration zu existierenden angloamerikanischen Regeln" und 
drittens der "Mitentwicklung eines neuen, modernen, internationalen Wegs". 
Die dritte Option sei in der bisherigen Diskussion nicht genuegend beachtet 
worden.

In der Tat findet sich ein solcher 'dritter Weg' weder im Nikolausbeschluss 
noch in den Szenarien, die in der Machbarkeitsstudie (neuerdings als 
"Migrationsstudie" bezeichnet) zu untersuchen sind. In der oeffentlichen 
Diskussion wurde freilich mehrfach darauf hingewiesen, etwa von Bernhard 
Eversberg auf dem Augsburger Bibliothekartag, von Monika Muennich bei der 
Stuttgarter VDB-Fortbildungsveranstaltung oder auch in einem BuB-Beitrag 
von mir (<http://www.bibliothek.uni-augsburg.de/kfe/mat/bubaacrn.pdf>, S. 
7). Dass dieser Weg nun auch bei DDB ins Blickfeld geraten ist, kann man 
nur begruessen. Einen wichtigen Schritt dazu stellt die gerade zu Ende 
gegangene IFLA-Preconference dar. Sie hatte das Ziel, "to examine 
cataloguing codes currently in use in Europe to compare their similarities 
and differences to see if we could get closer together and perhaps develop 
an International Cataloguing Code." Man darf gespannt sein auf die 
Ergebnisse (darunter ein erneuertes 'Statement of Principles'), die in 
Baelde veroeffentlicht werden sollen (diverse Materialien schon jetzt unter 
<http://www.ddb.de/news/ifla_conf_index.htm>).

Bemerkenswert sind auch Frau Niggemanns Ausfuehrungen ueber die Ziele der 
derzeitigen Regelwerksarbeit (S. 7): "Aus heutiger Sicht sollte das 
Benutzerinteresse, die Suchbarkeit, die Interoperabilitaet, die 
Austauschbarkeit, Vermischbarkeit von Datensaetzen verschiedener Herkunft 
das Ziel mit der hoechsten Prioritaet sein, erreichbar durch Anpassungen 
und Veraenderungen auf dem Weg ueber die Auschtauschformate, durch 
Linkingsysteme oder Crosskonkordanzen zwischen Normdateien oder eben ueber 
die Harmonisierung von besonders widerspruechlichen Regeln." Einerseits 
Ausschoepfen aller technischer Moeglichkeiten, andererseits moderate 
Regelanpassungen, wo sie sinnvoll und machbar sind - koennte das nicht auch 
laengerfristig eine geeignete Strategie sein?

Besonders gespannt ist man natuerlich darauf, wie Frau Niggemann die 
weitere Entwicklung einschaetzt - was kommt nach der Studie? "Angesichts 
der absolut kritischen Haltung in den Bibliotheken zu der dem 
Grundsatzbeschluss des Standardisierungsausschusses zu Grunde liegenden 
positiven Haltung gegenueber einem Umstieg auf angloamerikanische 
Regelwerke und Formate ist zu befuerchten, dass es bei Projektende nicht so 
schnell zu einheitlichen Bewertungen der Ergebnisse kommen wird. 
Realistischer als ein Umstiegsszenario ist wohl die schrittweise Umsetzung 
in solchen Teilbereichen, die mithilfe der Projektergebnisse in ihren 
Rahmenbedingungen und ihren Auswirkungen identifiziert oder bestaetigt 
werden konnten und fuer die es moeglich ist, einen allgemeinen Konsenss zu 
erzielen." (S. 7).

Apropos Projektergebnisse: Seit wenigen Tagen ist nun wenigstens eine 
Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse durch die Projektbearbeiterin 
online, die auch im Bibliotheksdienst 7/8 erschienen ist: 
<http://www.ddb.de/professionell/pdf/umstieg_beirat2.pdf>.

Einige Punkte seien herausgegriffen:

- Um die Fremddatennutzung zu verbessern, wuenschen sich die Verbuende 
nicht etwa mehr auslaendische Fremddaten, sondern primaer einen besseren 
Austausch untereinander sowie eine hoehere Qualitaet des 
Neuerscheinungsdienstes (S. 2). Bei den OeBs spielt die Nutzung 
auslaendischer Fremddaten gar keine Rolle, was sich auch bei einem Umstieg 
nicht aendern wuerde (S. 3).

- MARC bietet theoretisch die Moeglichkeit von Verknuepfungen bei 
mehrbaendigen Werken, jedoch wird dies weder von LoC noch OCLC praktiziert, 
d.h. der "Effekt der problemlosen Nutzung auslaendischer Fremddaten 
entfiele" bei einer solchen Loesung (S. 4).

- Die Ansetzungen von Personennamen des Mittelalters und der Antike sowie 
Herrschern weichen in ca. 60 % der Faelle voneinander ab, was aber in der 
PND 'nur' ca. 13.700 Eintraege betraefe. Schwerwiegender ist das Problem 
der Arbeitssprache: Im Gegensatz zu Originalsprachlichkeit oder Deutsch 
haette Englisch hier "den Vorteil der effektiven Fremddatennutzung, duerfte 
aber kaum konsensfaehig sein".

- Titelsplits bei Zeitschriften: Nur in 15 von 38 untersuchten Faellen 
entstehen nach RAK/ZETA und AACR/CONSER dieselben Entitaeten (d.h. gleiche 
Laufzeiten). Dies ist dramatisch, denn bei jeder zu aendernden Entitaet 
muessten auch alle lokalen Bestandsdaten angepasst werden. Rueckwirkende 
Aenderungen in der ZDB sind daher - so das Fazit - nicht moeglich, 
"Anpassungen koennten allenfalls bei ganz neuen Zeitschriften in der 
Zukunft und bei aktuell auftretenden Titelaenderungen vorgenommen werden" 
(was wohl bedeutet, dass die ZDB-Katalogisierer langfristig parallel mit 
zwei Regelwerken arbeiten muessten). Von einem maschinellen Abgleich der 
ZDB mit amerikanischen Datenbanken oder gar einem moeglichen Abbruch bzw. 
Einfrieren der ZDB ist - wie ich mit Erleichterung feststelle - keine Rede 
mehr.

Bei der Gelegenheit noch einmal die Bitte an die Arbeitsstelle fuer 
Standardisierung, auch die zu Grunde liegenden Arbeitspapiere der 
interessierten Allgemeinheit zur Verfuegung zu stellen. Dies koennte die 
Sachkenntnis bei Katalogexperten wie bei der bibliothekarischen Basis 
verbessern und zur Versachlichung der weiteren Diskussion beitragen - was 
auch im Sinn von Frau Niggemann sein muesste, denn sie schreibt S. 7f.: 
"Die Ergebnisse der Studie sollen die notwendige Grundlage fuer eine 
fundierte Entscheidung ueber die Zukunft der Erschliessung in Deutschland 
und Oesterreich abgeben, da sie Einschaetzungen von Experten dokumentieren, 
Zahlen. Daten und Fakten liefern. Sollte sich eine Entscheidung fuer einen 
Umstieg aber als untauglich, unnoetig, nicht konsensfaehig oder auch nur 
als sehr langwierig erweisen, dann werden wir die Ergebnisse kurz-, mittel- 
wie langfristig fuer viele wichtige Einzelschritte nutzen koennen."

Abschliessend noch ein letztes Zitat aus dem Niggemann-Text (S. 7): "Nach 
der Euphorie der Vision eines Aufbruchs in eine internationale Zukunft der 
Regelwerke und Formate bei der Mehrzahl der Mitglieder des 
Standardisierungsausschusses und der panischen Reaktion weiter Teile der 
bibliothekarischen Fachwelt darauf haben viele Expertinnen und Experten die 
Zielsetzung fuer ihre Arbeit verloren. Dieses Vertrauen wieder 
herzustellen, muss ein wichtiges Ziel der naechsten Zeit sein."

Hie Vision, dort Panik? Nun, das mag mancher anders empfunden haben. Sicher 
richtig ist jedoch die Einschaetzung, dass betraechtliches Vertrauen 
verloren gegangen ist und sich vielerorts Frustration breit gemacht hat. 
Schuldzuweisungen waeren jedoch ebensowenig hilfreich wie die Forderung 
nach "Loyalitaet" in einer Sachdiskussion. Fuer die weitere 
Auseinandersetzung des Themas wuenscht man sich stattdessen, dass alle in 
der Sache Kompetenten wieder enger zusammen arbeiten und ein lebhafter 
Ideenaustausch gerade auch dort stattfinden kann, wo man nicht von 
vorneherein derselben Meinung ist.

Mit freundlichen Gruessen
Heidrun Wiesenmueller
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Heidrun Wiesenmueller M.A.
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