[datenformate] Zum Aschermittwoch: Was wird aus MARC?

Jakob Voss jakob.voss at gbv.de
Wed Mar 9 10:17:44 CET 2011


Lieber Herr Eversberg,

> Was kommt nach MARC?
>
> Auf der Fortbildung letzten Freitag in Berlin kam u.a. auch die
> Frage aller Fragen: Welches Format wird oder koennte MARC ablösen?
> Meine Antwort war nur ein indirektes Eingeständnis, es nicht zu
> wissen.  Allerdings weiß momentan wohl niemand eine Lösung.

Vielen Dank für ihre offenen Worte. Wir wissen es nicht. dies gilt für 
jede der genannten Alternativen (XML, MODS, RDA, RDF... - wobei hier 
Äpfel mit Birnen verglichen werden). Deshalb bleibt nichts anderes übrig 
als es auszuprobieren, sofern wir nicht die Hände in den Schoß legen und 
die Entwicklung anderen überlassen wollen.

Ich möchte auf einen Aspekt hinweisen, der anscheinend immer wieder 
übersehen wird. Sie sprechen von "einem MARC-Nachfolger" und "voll 
ablösen", als sei das einzig denkbare, MARC durch ein ebenso 
monolithisches System zu ersetzen. Vielleicht deutet die Schwierigkeit, 
einen Nachfolger zu finden, darauf hin, dass es nicht den einen 
Nachfolger geben wird. Für die bibliothekarischen Anforderungen bis in 
die 1980er Jahre erfüllt MARC seinen Zweck doch auch nicht schlechter 
als andere denkbare Systeme, warum also nach einem Nachfolger suchen?

Die Frage "Was kommt nach MARC?" ist eben falsch gestellt, denn es wird 
nicht die eine Lösung kommen. Stattdessen müssen wir uns damit abfinden, 
in einer Welt zurechtzukommen, wo viele verschiedene Techniken und 
Formate nebeneinander verwendent werden und lediglich über gemeinsame 
Basistechnologien wie Unicode, HTTP und URI miteinander verbunden sind. 
Die Alternativen zu MARC sind nämlich schon längst da, nur verstellt das 
Katalogkarten-zentrierte Paradigma die Sicht darauf.

 > Revolutionär gebärdet sich die Denkrichtung "RDF" und "Linked Data",
 > und das wäre eine gänzlich andere Abbildung und Strukturierung alles
 > dessen, was wir unter bibliographischen Daten bisher verstehen. Diese
 > Schule will keine Datensätze mehr, sondern "statements", lauter
 > einzelne, freischwebende (nicht zusammenhängend gespeicherte) Aussagen
 > über Ressourcen, welche jeweils mit einer URI eindeutig benannt wären.

Zugegeben, die RDF- und Linked-Data-Bewegung ist zur Zeit in der 
Hype-Phase. Nicht alle Versprechungen und Erwartungen werden erfüllt 
werden, aber das gilt für jede neue Technik. RDF löst nur ein 
Teilproblem (die Integration von Daten aus unterschiedlichen Kontexten 
und auch das mit Einschränkungen wir jedes System), also sollte es auch 
nur für dieses Teilproblem eingesetzt werden. Die Verabschiedung vom 
Konzept "Datensatz", das letztendlich wieder auf die Katalogkarte 
zurückführt, ist dabei gerade eine der Stärken von RDF.

 > Ein solches Konzept mag gut ins "Cloud"-Paradigma des globalen Netzes
 > passen, es bräuchte aber noch weit mehr Speicher und
 > Verarbeitungsleistung und noch dazu Bandbreite ohne Ende, weil ja
 > dem Suchenden dann doch immer wieder Zusammenfassungen von Statements
 > präsentiert werden müssen, und die wären dann jeweils blitzschnell
 > von allen Kontinenten herbeizuholen.

Das ist ein verbreiteter Irrtum. Best-Practice ist, die benötigten Daten 
durch Caching jeweils lokal vorzuhalten. Das ist bei "Lokalsystemen der 
alten Schule", die ihre Daten in regelmäßigen Updates von anderen 
Systemen beziehen, auch nicht anders.

 > Wie und wo dann alle Statements zu einer Ressource zu erfassen, zu
 > editieren, zu speichern und sodann zu indexieren wären, das alles
 > gilt es noch zu konzipieren.

[...]

 > Ein extrem wichtiger Aspekt ist die Ökonomie, und zwar nicht nur
 > hinsichtlich Speicherplatzbedarf und Verarbeitungsgeschwindigkeit
 > (auch die ist mit XML suboptimal), sondern auch hinsichtlich der
 > Eingabe und Bearbeitung der Daten. In dem Punkt ist ein halbwegs gut
 > gemachtes MARC-Editiersystem mit Kategorienummern kaum zu schlagen,

RDF oder XML sind auch garnicht zur Eingabe und manuellen Bearbeitung 
von Daten gedacht. Hier spricht der Gedanke von einem 
eierlegenden-Wollmilch-Format, das MARC zu sein vorgibt, das es aber 
nicht ist und auch nicht geben wird.

> Wenn's nun für MARC finster aussehen sollte, wie stehen wir dann da
> mit unserem Umstieg von MAB auf MARC? Sind wir von einem sinkenden
> Schiff auf ein ebensolches umgestiegen? Falls ja, dann gehen wir
> immerhin nicht mit einem Fährschiff unter sondern mit einer Titanic.

Vielleicht sollten wir endlich aufhören uns auf die Schifffahrt zu 
beschränken, sondern lernen, je nach Ziel und Weg das jeweils passende 
Verkehrsmittel zu wählen. Wir werden nicht darum herumkommen, auch mal 
einen kaputten Motor reparieren zu müssen. Dafür bin ich mir sicher, 
dass uns auf der einen oder anderen Strecke jemand mitnimmt, wenn wir 
uns dazu bequemen, den den Daumen rauszuhalten.

Schöne Grüße
Jakob Voß

-- 
Jakob Voß <jakob.voss at gbv.de>, skype: nichtich
Verbundzentrale des GBV (VZG) / Common Library Network
Platz der Goettinger Sieben 1, 37073 Göttingen, Germany
+49 (0)551 39-10242, http://www.gbv.de


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