[rak-list] RDA: Falsche Lösung für das falsche Problem?

Bernhard Eversberg ev at biblio.tu-bs.de
Mit Feb 9 07:53:56 CET 2011


James Weinheimer, prononcierter RDA-Skeptiker an der American
University of Rome, hat einen neuen podcast vorgelegt, für uns
wieder einmal empfehlenswert zu lesen:

   http://catalogingmatters.blogspot.com/

betitelt:
   "RDA: the Wrong Solution for the Wrong Problem"

Mit diesem Titel hat er seine Aussageabsicht schon recht treffend
zusammengefaßt. RDA ignoriert, so schreibt J.W., die realen Probleme,
vor denen Bibliotheken und ihr Personal stehen, insbes. in der
Katalogisierung:

1. Es gibt vollkommen neu- und andersartige "Ressourcen"
2. Es gibt gänzlich neue Methoden, sie im Netz zu finden
3. Menschen gehen mit Information um, wie es nie zuvor möglich war,
  und infolge alles dessen
4. hat die Allgemeinheit ganz neue und andere Erwartungen und
    Bedarfe, für die Bibliotheken und Kataloge schlecht gerüstet sind.

Nun richten sich die tiefgreifenden Veränderungen zwar nicht
gezielt gegen Bibliotheken, sondern diese treffen eher Nebenwirkungen
der Umwälzungen in der Publikationsindustrie und der Wege und
Weisen der allgemeinen und der fachlichen Kommunikation.
Viel leichter, meint Weinheimer, werde es künftig sein, ein
Abonnement für GBS zu finanzieren als Schulungen und Umstellungen
für so etwas wie RDA, welches keinen vorzeig- und kommunizierbaren
Mehrwert hervorbringe. GBS bietet attraktive Zugänge zu publiziertem
Material, die ohne Input von Bibliotheken auskommen. [Nicht ganz:
Katalogdaten spielen keine sehr geringe Rolle dabei, sogar die
LC-Schlagwörter sind als solche gezielt suchbar. B.E.] Dies kann
nicht ohne Auswirkung auf die Nutzung physischer Bibliotheken
bleiben. Die hergebrachte Katalogisierung und der lokale Katalog
stecken in einer tiefen Krise, schließt Weinheimer. Preisfrage:
Was leistet RDA, um den Herausforderungen zu begegnen? Er meint, es
ignoriere sie: RDA gehe über das Denkmodell von Panizzi (1797-1879)
kaum hinaus.
J.W. sieht große Gefahren in einer sich abzeichnenden Spaltung: nur
wenige große werden implementieren können, sehr viele, wenn nicht
die meisten, werden ihre schwindenden Ressourcen anders und
effektvoller einsetzen wollen.
Aus Sicht der Öffentlichkeit, so J.W., seien Bibliotheken so etwas
wie eine Black Box, in die man seit undenklicher Zeit Mittel
hineingesteckt hat, um einen gewissen Output herauszubekommen - ohne
genau zu wissen, was da drinnen wirklich abläuft - doch ist es nun
immer schwerer zu erkennen, worin dieser Nutzen denn noch besteht.
Bevor andere es tun, unsere Geldgeber zumal, müssen wir selber
hineinblicken in die Schwarze Kiste und alles, was wir darin
finden, distanziert und kritisch beleuchten und den Nutzen, so sich
noch einer erkennen läßt, ganz neu bewerten. Demgegenüber beschränkt
sich RDA auf systemimmanente Kosmetik, die das antiquierte System
selbst unberührt läßt und die Black Box zu.

Zum dringend notwendigen Wandel gehört vornean die Überwindung von
MARC (wer außer uns versteht denn damit umzugehen?), der Wechsel zu
einem moderneren Format, mitsamt einer Befreiung der Katalogdaten
aus dem Käfig unserer Kataloge, damit sie in neuen Umgebungen neuen,
anderen, vielfältigen Nutzen stiften können (Stichwort "Linked Data").
[Nun, J.W. kennt nicht das Gutachten, das im DFG-Umstiegsprojekt
erstellt wurde und in dem AACR2 und MARC21 die Zukunftssicherheit
bescheinigt wurde.]


Eine ganz neue, weltoffene Haltung werde das Katalogpersonal
entwickeln müssen. Ein wenig in diese Richtung gehe die Freigabe der
Subject Headings in einem neuartigen Format, SKOS, wobei J.W. jedoch
einigen Nachbesserungsbedarf sieht: vor allem bei den "subdivisions".
Im normierenden Schlagwortwesen, und insbes. den für LCSH typischen
Unterschlagwörtern (subdivisions), erblickt W. mit den größten und
am wenigsten verstandenen Nutzen der bibliothekarischen Katalogarbeit.
[Und in RSWK wurden gerade die Schlagwortketten abgeschafft...]
Damit werden Zugänge und Entdeckungen ermöglicht, die sich anders und
mit bloßer Algorithmik (Googles Allzweckmittel) nicht erzielen lassen.
Bisher sei es in Online-Katalogen komplett mißlungen, das Potential
der LCSH erblühen zu lassen, und dies sei vordringlich vonnöten.
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Zwar, so sei hinzugefügt, haben die RDA-Eltern ein Kapitel 13 für
Schlagwörter vorgesehen ("Identifying concepts")- schließlich ist
"concept" eine der im Katalog abzubildenden FRBR-"Entitäten". Dieses
Kapitel ist jedoch leider noch immer leer. Für uns Nicht-LCSH-Anwender
wäre sein Nutzen auch eher inorbitant.


B.Eversberg