[rak-list] Abschlussbericht der FRBR-Arbeitsgruppe zum Thema "Aggregates"

Thomas Berger ThB at Gymel.com
Die Dez 20 12:51:17 CET 2011


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Liebe Frau Wiesenmueller,

>> Wenn ein "Journal" als "Aggregate of Articles" einbezogen wird, sollte es
>> fuer eine Schriftenreihe auch kein Problem sein...
>>
> 
> Theoretisch ja, aber ich habe schon erhebliche Probleme mit der Vorstellung
> einer "single manifestation" für ein fortlaufendes Werk, die man nach der
> Definition aus dem Papier zwingend bräuchte.
> 
> Nehmen wir als Beispiel eine Schriftenreihe mit derzeit 20 Bänden. Man kann
> natürlich argumentieren: Wenn ich vor einem Regal mit diesen 20 Bänden stehe,
> dann habe ich eine Manifestation der Reihe (bzw. ein Exemplar davon) vor mir,
> die aus 20 buchbinderischen Einheiten besteht. Wenn es die Bände zusätzlich auch
> noch als E-Books gibt, dann wären diese 20 E-Books zusammen eine weitere
> Manifestation. Diesen beiden Manifestationen entspräche eine Expression des
> Reihen-Werkes, die sozusagen aus der Summe des intellektuellen Gehalts der 20
> Bände besteht.

Soweit erst recht fuer die Zeitschrift, nur dass die Print-Schriftenreihe
nicht zwangslaeufig "geschlossen aufgestellt" ist, dafuer das parallele
e-Journal von seiner Form oft deutlicher macht, dass es eine recht lose
Klammer fuer die einzelnen Aufsaetze ist.


> Aber sobald man in die Details geht, stößt man auf Probleme: Was passiert, wenn
> Band 21 erscheint? Dann hat sich ja sowohl der Inhalt als auch die physische
> Form geändert. Muss ich dann also zusätzlich eine neue Expression für die Reihe
> annehmen, welche nun den intellektuellen Gehalt von 21 Bänden enthält, sowie
> eine neue Manifestation, die nicht mehr 20, sondern 21 Bände umfasst? Oder soll
> man irgendwie von Entitäten ausgehen, die sich dynamisch ändern?? Das würde m.E.
> nicht so recht ins FRBR-Modell passen und müsste zumindest kommentiert werden.

Haben Sie das Problem nicht auch bereits bei einem Lexikon, von dem zunaechst
die ersten Baende erscheinen? (und wieviele fortlaufende Sammelwerke moegen
enstanden und wieder eingegangen oder getitelsplittet worden sein, bis hier
der letzte Band erschienen sein wird?)

Vermutlich koennte man das aggregierende Werk[?] in diesen Faellen als
"continuing integrating expression" auffassen (Das Aggregat der 20 Baende geht
nicht reversibel im Aggregat der 21 Baende auf), aber vielleicht ist
insbesondere auf Werkebene eine Idealisierung legitim, die die zeitliche
Dynamik einbezieht und den Endzustand im Blick hat (der Herausgeber weiss
derzeit nicht (konkret), was Band 22 enthalten wird, aber der literarische
Autor wird es fuer Kapitel 22 auch nicht wissen, dennoch sind auch
identifizierbare Ausreifungsstufen keine neuen Werke).

[mehr Probleme]

> Dann wäre es aber nicht - wie im Papier der Arbeitsgruppe vorgesehen - die Ebene
> der Manifestation, die den Doppelcharakter hätte (einerseits Manifestation der
> Expressionen der Einzelwerke, andererseits Manifestation der Expression des
> aggregierenden Werkes), sondern die Ebene der Expression: Jede Expression würde
> sowohl das Einzelwerk (den Stücktitel) realisieren als auch einen Teil des
> Reihenwerks. Das wäre zugegebenermaßen ein Widerspruch zum bisherigen Stand der
> FRBR, denn derzeit kann eine Expression nur genau ein Werk realisieren - das
> könnte man aber m.E. im Fall von aggregierenden Werken durchaus ändern.

"Monograph in a series" und "Journal article" sind in den FRBR die Paradigmen
fuer 5.3.2 "Whole/Part Expression-to-Expression Relationships". D.h. in
den klassischen FRBR muessten demnach die Expression "Journal" bzw. "Series"
und "multipart work" zeitlich invariant sein (d.h. es ist immer noch dieselbe
Expression, wenn etwas dazu kommt). Und dass eine Expression ueberhaupt
Beziehungen zu anderen hat, ist nicht verboten.

Die Schwierigkeit, die ich allerdings sehe, ist bereits die Konstruktion von
"Manifestation", wenn mehrere Ebenen sichtbar sind:

Eine monographische Ressource verstehe ich: Es gibt da die "Version" und
die physische Verkoerperung (gerne unstofflich, dann kann ich zwar nicht
greifen aber immerhin adressieren).

Aber die Manifestation einer Zeitschrift ist fuer mich schon ein Problem:
Die e-Version einer Zeitschrift hat vielleicht noch eine Homepage, von der
man zu den Beitraegen gelangt, aber die Verkoerperung der Print-Version
duerfte wirklich nur die Ansammlung der gedruckten Aufsaetze sein.

Und hat man je versucht, eine e-Schriftenreihe von einer "normalen"
abzugrenzen? Vielleicht: Wenn der Verleger alle Stuecke sowohl als Print
als auch als e-Book vertreibt, wird er zur Abo-Erleichterung evtl.
mehrere ISSNs einsetzen, ein konkreter Fall ist mir allerdings nicht
bekannt, und das Wort "e-Schriftenreihe" auch nicht. Jedenfalls haben
wir in diesem Beispiel klarerweise "Die Schriftenreihe" als Aggregat*ing*
Expression und der Verleger schafft nun (e- und Print) zwei
Aggrega*te* Manifestations (aber wohl nur ein Aggregating Work, die
Schwierigkeiten mit der erst bei Band 11 einsetzenden e-Book-Reihe
einmal beiseite gelassen).

Nach FRBR-Logik muss er das wohl (die Manifestations sind die primaere
Quelle der Erkenntnis, ohne sie ist es nur eine gedachte Schriftenreihe
auf expression level und das reicht nicht fuer ein Aggregating Work ?),
aber tut er das wirklich, bzw. wie ist das zu verstehen?

Der Report bekraeftigt (p.5) zunaechst einmal die Sicht, dass die editorische
Arbeit des Aggregierens bei den Expressions ansetzt, und daher bereits
der Werkbegriff zutrifft:

  The process of aggregating the expressions itself is an intellectual or
  artistic effort and therefore meets the criteria for a work.

Dann aber erzeugt er irgendwie beilaeufig die aggregate Manifestation und
schafft dadurch das Werk (erneut? erst recht?):

  In the process of creating the aggregate manifestation, the aggregator
  produces an /aggregating work/.

Also, ich sehe da in diesen Faellen nur, dass der Herausgeber die
einzelnen Stuecke manifest macht und dann Band 1, Band 2 etc. drauf
schreibt. Aber vielleicht ist das ja auch schon alles: Die Schrift
"Band 1" oder der Aufdruck von Zeitschriftentitel oder ISSN ist halt
das "physical embodiment" des Gesamtzusammenhangs, und jede einzelne
Manifestation der Einzelbestandteile waere gleichzeitig eine
Aggregate Manifestation, naemlich ganz woertlich wird an ihr die
Existenz eines Gesamtzusammenhangs manifest. Damit bliebe der
Doppelcharacter der Manifestation gewahrt und auch die Abbildung
3 im Report ist nicht wirklich falsch, es fehlen halt nur die
weiteren Aggregate Manifestations und der Denkfehler war, sich
die Aggregate Manifestation*s* als Aggregate*d* Manifestation
vorzustellen.

Beim Schreiben dieser Mail ist mir zudem wieder eingefallen, dass
das FRBR-Dokument von 2008/2009
< http://www.ifla.org/files/cataloguing/frbr/frbr_2008.pdf >, auf das der Report
Bezug nimmt, schon einiges an Text zu Aggregates hat. Und im
Vergleich fallen dann im aktuellen Report einige Dinge auf:

1. Aggregations von Items waren beruecksichtigt und werden nun
   ausgeschlossen bzw. beduerfen weiterer Praezisierung

2. Gerade Teil-Ganzes-Beziehungen werden als "Compound" nun von den
   "allgemeinen" Aggregations abgekoppelt!
[Wobei dann der vorgeschlagene Abschnitt 3.4 wenig aussagt, ausser
dass Teil/Ganzes-Beziehungen ueberall vorkommen koennen und angeblich
keine Probleme machen. Hm. Hm hm.]

viele Gruesse
Thomas Berger
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