[rak-list] Weiteres ALA-Gutachten zu RDA

Bernhard Eversberg ev at biblio.tu-bs.de
Wed Feb 11 10:09:57 CET 2009



John Attig, der für ALA im JSC sitzt und seit langem als Wort- und
Federführer in Regelwerks- und Formatfragen bekannt ist, hat jetzt
noch eine Stellungnahme für ALA nachgereicht:

http://www.collectionscanada.gc.ca/jsc/docs/5rda-fulldraft-alaresp.pdf

Das Papier führt auf 43 Seiten viele Einzelpunkte auf, aber man stellt
mehrere ausführliche Bemerkungen an den Anfang, die wir ruhig zur
Kenntnis nehmen sollten.

Es folgt eine Übersetzung dieser allgemeinen Einschätzung, die ich
mit John Attigs Zustimmung hiermit verbreite.
[Eine deutsche Fassung der deutschen Einschätzung werden wir aus
berufener Feder sicherlich bald zu lesen bekommen.]


                                                         9. Febr. 2009
AN:    Joint Steering Committee for Development of RDA
VON:   John Attig, ALA Representative to the JSC
THEMA: RDA: Resource Description and Access - Stellungnahme zum
             Gesamtentwurf

ALA hat (unter Schwierigkeiten) den RDA-Vollentwurf begutachtet, der am
17. Nov. 2008 den Beteiligten zur Stellungnahme vorgelegt wurde. Vor
unseren allgemeinen und speziellen Kommentaren ... können wir nicht
umhin, einige Bemerkungen zum Begutachtungsverfahren zu Protokoll zu
geben. Wir erwarten darauf keine Reaktion, wir fühlen uns aber
verpflichtet, unsere Enttäuschung, und was sie für das RDA-Projekt
bedeuten kann, zum Ausdruck zu bringen.

Die Verzögerungen bis zur Herausgabe des Vollentwurfs lösten
    Frustration aus und beschädigten weiter die Glaubwürdigkeit des
    ganzen RDA-Projekts. Die Verzögerungen bewirkten einen äußerst
    knappen Zeitplan für die Begutachtung. Dadurch wurde es vielen
    Interessierten unmöglich, sich ein ausführliches Bild zu machen,
    und auch die Qualität unserer Kommentare kann nicht zufrieden-
    stellen, weil wir nicht ausreichend Zeit hatten, alle Fragen zu
    erörtern und genauere Empfehlungen auszuarbeiten.

Das Scheitern des Vorhabens, den Vollentwurf in einer Vorversion der
    geplanten Software vorzustellen, sorgte für weitere Frustration,
    weil es dazu zwang, einen nichtlinearen Text als lineares Dokument
    zu sichten. Wichtiger noch: Die ALA-Begutachtung hätte eine gute
    Gelegenheit geboten, der Zielgruppe ein günstiges Bild der RDA zu
    vermitteln; in dieser Hinsicht kann man nur von einem Scheitern
    sprechen. Die Verärgerung und die Unzufriedenheit, die aus den
    eingegangenen Kommentaren sprachen (und die wir größtenteils aus
    diesem Papier herausgehalten haben) bezeugen leider, daß es dem
    RDA-Projekt erneut gelungen ist, wichtige Zielgruppen zu befremden.

Die PDF-Dateien, in denen der Vollentwurf schließlich herauskam,
    waren problematische Dokumente voller Schreibfehler und ungenauer
    Verweisungen, und das in einem Layout, das den Inhalt eher vernebeln
    als vermitteln konnte. Dies alles schadete dem Vertrauen in die
    Integrität des vorgelegten Textes: keiner Verweisung konnte man
    trauen, auch wenn die betreffende Regel im Entwurf existierte;
    jeder Fehler in der Zählung konnte bedeuten, daß Paragraphen
    weggefallen waren.  Ein Kommentar sagte dazu: "Die erste Regel
    bei der Migration von Daten auf eine neue Plattform ist, sicher-
    zustellen, daß man die Daten aus der neuen Plattform verlustfrei
    wieder zurückgewinnen kann. [Die Dokumente] sind einer Organisation
    unwürdig, die sich für professionell hält. Daraus spricht eine
    Mißachtung der umfangreichen Bemühungen zahlloser Begutachter bis
    heute."  In der Tat.

Alle diese Faktoren machten unsere Begutachtung der RDA zu einer
    schwierigen und unerfreulichen Erfahrung. Darunter hat nicht nur
    die Qualität der Stellungnahme gelitten, sondern es erhebt sich
    auch die Frage, wieviel Vertrauen man noch in das RDA-Prokjekt
    setzen kann.

1. Allgemeine Feststellungen
Manche dieser Bemerkungen sind keine konkreten, direkt umsetzbaren
Empfehlungen, doch wir sehen auch hier eine Pflicht, unsere derzeitige
Einschätzung der RDA im gegenwärtigen Zustand darzustellen.
Wir beginnen mit sehr allgemeinen und gehen dann über zu spezielleren
Bemerkungen; einige der letzteren könnte das JSC allerdings praktisch
umsetzen.

* ALA sieht eine klare Notwendigkeit für ein neues Regelwerk und erkennt
die grundlegenden Anforderungen an ein solches Regularium an: Gebraucht
wird eine Norm für digitale Umgebungen, in denen Daten in
Datenbankstrukturen gespeichert werden, strukturell geeignet für
maschinelle Verarbeitung statt nur für eine visuelle Präsentation; eine
Norm, die nicht durch Codierung und Darstellungsformate eingeengt ist;
eine Norm, die auf Prinzipien gegründet und adaptierbar ist.  Wir
erkennen deshalb viele positive Ansätze in RDA:  die Neuordnung der
Regeln um eine klar definierte Liste von Datenelementen herum; der
Versuch, sowohl die hergebrachten wie auch zukunftsweisende
Einsatzszenarien zu unterstützen; die Anwendung der FRBR/FRAD-
Datenmodelle mit Einschluß der Attribute, Beziehungen und
Nutzeraufgaben; die Betonung von Beziehungen zwischen Dokumenten und
Entitäten; das Schwergewicht auf der Beschreibung und nicht so sehr auf
den Zugriffselementen; die konsequente Anwendung von IdNummern als
Alternativen zu Zeichenfolgen als Identifizierer von Entitäten; die
Bemühung, die Anwendung der RDA außerhalb des anglophonen Raumes zu
fördern; und auch die Entscheidung, den Kriterien der Sacherschließung
in RDA Raum zu geben. Schließlich hat die Kooperation mitden ONIX- und
DCMI-Gemeinschaften schon zu Resultaten geführt, die sich womöglich als
der größte Gewinn des RDA-Projekts erweisen werden.

* Andererseits tradieren die  Regeln viele der willkürlichen
Entscheidungen, die in den  AACR2 getroffen waren, und die Neuordnung
läßt so manche Willkür nun noch deutlicher als solche hervortreten.  Das
Ergebnis ist eine frustrierende Kombination aus zukunftsweisender
Struktur nebst Bewahrung einer großen Menge von Kasuistik und
Willkürentscheidungen der Vergangenheit. Die Spannung zwischen guten
Absichten und einer unvollkommenen Ausführung erschwert es, mit RDA
Kontinuität oder Fortschritt zu erreichen.  Katalogisierer spezieller
Materialien, wie etwa Karten oder Filmen, sind inzwischen überzeugt, mit
RDA nichts gewinnen zu können, aber viel zu verlieren; es löst die
drängendsten Probleme  dieser Gattungen nicht und verbirgt auch noch die
wenigen nützlichen Regeln unter einem Wust von unorganisierten und
unwichtigen Details.

* RDA verfehlt so manche seiner Ziele, keines aber deutlicher als das
der Klarheit:  RDA ist nicht "klar und in einfachem Englisch
geschrieben."  In diesem Zusammenhang finden wir es wichtig, daß
Katalogisierer anhand von externen "workflows" durch den Text geführt
werden sollen.  Die schon vorgestellten Beispiele konzentrieren sich auf
vereinfachte Darstellung von RDA-Regeln, wobei manches in schlichter und
vereinfachter Redeweise umformuliert wird; damit gibt man zu, daß RDA
umgeschrieben werden muß, ohne daß diese Einsicht im eigentlichen Text
umgesetzt würde.

* Als ALA-Vertreter bemerke ich ironischerweise einen Silberstreif in
der wolkig-nebulösen Erscheinung RDA:  Das Studium des Vollentwurfs war
lehrreich; es war erstaunlich, wieviele wichtige Einsichten in die
Ziele, Denkweisen und Vorentscheidungen der RDA den Begutachtern
entgangen sind, die von Anbeginn den Prozeß begleitet haben. Dies
spricht wenig dafür, daß Verständnis und Anwendung der RDA von
Katalogisierern geleistet werden könnte, die der Sache bisher nicht
gefolgt sind.  Während meiner Zusammenstellung dieser Stellungnahme habe
ich meine Entscheidungen in einem Blog festgehalten; Dieses ist voll mit
Erklärungen von Dingen, die nicht erklärungsbedürftig hätten sein
dürfen.

* Internationalisierung bleibt ein unerfülltes Vertsprechen, weil RDA
nicht konsequent mit allgemeinen und speziellen Regeln umgehen, die auf
Sprache oder Schrift bezogen sind.  Ferner sind zu wenige Beispiele in
nichtlateinischen Schriften zu finden, besonders im Teil 1.  Falls JSC
zu Änderungen bereit ist, haben wir im Abschnitt 3 dieser Stellungnahme
genügend Beispielmaterial bereitgestellt.

* ALA bevorzugt, wie die LC, statt "romanization" den Terminus
"transliteration". Wir schlagen vor, eine Definition von
"Transliteration" ins Glossar aufzunehmen.

* Die Alternativen und Ausnahmen für Frühdrucke überall in RDA sind zu
stark auf Praktiken in westlichen, europäischen Sprachen und Ländern
konzentriert. Diese Regeln sollten auch die Anwendung anderer
Richtlinien gestatten, die in den Agenturen akzeptiert sind, in denen
einschlägige Daten entstehen.

* ALA hat zahlreiche Kommentare aus der Society of American Archivists
erhalten, die sich mit der Anwendbarkeit der RDA für das Katalogisieren
von Sammlungen in Archivumgebungen befassen. Diese Kommentare sind im
Folgenden nicht wiedergegeben, weil noch mehr formale Vorschläge erst
erarbeitet werden müssen.  Wir empfehlen aber, anzuerkennen (in der
Allgemeinen Einführung?), daß RDA vielleicht kein allgemeiner Standard
sein kann für die Beschreibung von archivalischen Sammlungen.
Einbeziehung einiger Hinweise auf besser geeignete Standards (DACS und
vergleichbare Normen in anderen Ländern) wäre hilfreich.

* Für das Protokoll: ALA wendet sich nochmals gegen die Entscheidung,
bei A.D. und B.C. zu bleiben statt  C.E. und B.C.E. einzuführen.

* ALA hatte gehofft, daß Fußnoten in den neuen RDA-Produkten nicht
möglich wären.  Leider stellt sich heraus, daß auch diese Hoffnung
vergebens war, wie so viele andere.  Wir drängen deshalb nochmals
darauf, Fußnoten abzuschaffen. Soweit sie Erklärungen oder Alternativen
bieten, sollte man sie in den Text einarbeiten.  Soweit darin andere
Dokumente zitiert werden, sollte man dafür eine getrennte Liste von
Zitaten schaffen, in die hinein man aus dem Text verlinken könnte, wo
immer es angebracht ist.


2. Spezielle Feststellungen [zu einzelnen Regeln]

Zur "Introduction": Die ALA-Gutachter waren enttäuscht über die
"Allgemeine Einführung", weil man erwartet hatte, es entstünde ein
konzeptioneller und praktischer Leitfaden zur bibliographischen
Beschreibung. Wiewohl es stimmt, daß die überarbeitete Struktur der RDA
auf viele unserer früheren Bedenken reagiert hat, so werden
Katalogisierer doch präzisere Leitlinien brauchen, und es ist
mißlich, daß RDA selbst diese nicht bietet.




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