[rak-list] Veranstaltung dfes DBV Sektion IV 19.05.05
Heidrun Wiesenmueller
wiesenmueller at WLB-STUTTGART.DE
Fri Jun 10 08:37:03 CEST 2005
Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen,
Herr Eversberg schrieb am 08.06.:
>Wer es nicht verfolgt hat, sich aber noch an die große AACR2-Kontroverse
>erinnert, muß nun erleben, daß die Situation jetzt eine grundlegend andere
>ist. Das Thema "Migration zu AACR2" ist Schnee von gestern! Soviel, aber
>noch wenig mehr, kann man jetzt sagen. Denn dieses Regelwerk wird nun mit
>Sicherheit nicht weiterentwickelt, sondern man hat sich ja im JSC
>entschlossen, einen ganz neuen Ansatz zu wagen und sogar den Namen
>aufzugeben: alles redet jetzt von RDA.
In der Umstiegsdebatte der vergangenen Jahre kam gelegentlich die Idee
eines "dritten Weges" auf, womit die aktive Mitentwicklung eines neuen,
wirklich internationalen Regelwerks gemeint war. Deshalb stellt sich nun
natuerlich die Frage: Koennten die RDA ein solches Regelwerk sein oder
werden? Im Moment kann die Antwort nur lauten: Wir wissen es nicht, da
derzeit nicht einmal Entwuerfe existieren.
Jedoch koennen wir aus der von Herrn Croissant am 02.06. mitgeteilten
Stellungnahme des PPC
<http://www.loc.gov/catdir/pcc/archive/aacr3-pt1pcc.pdf> ablesen, dass der
erste (nunmehr zurueckgezogene) Entwurf - noch unter dem Namen AACR3 -
aehnliche Erwartungen unserer amerikanischen Kollegen gerade _nicht_
erfuellt hat. Sehr ausfuehrlich geht man dort auf die internationale
Kompatibitaet ein (S. 6) und stellt die Frage, ob das Vorgehen des JSC
nicht geradezu kontraproduktiv zu den Bestrebungen der Internationalen
Katalogisierungskonferenzen sei. Beklagt wird dort ausserdem ein "distinct
lack of compatibility with content standards used in other communities"
(vgl. auch S. 3: "To our knowledge, even communities close to ours (such as
those who work with archives, rare materials, image collections, museums,
and sound archives) were not contacted by COP/JSC to find out whether those
communites were even _interested_ in using an AACR3."). Das kuenftige
Regelwerk muesse gut mit anderen Standards zusammenzuspielen, "instead of
either pretending to be an island unto itself, or reinventing many wheels".
Auch sonst waren die Kollegen offensichtlich enttaeuscht, weil vom erwarteten
Modernitaetsschub wenig zu sehen war (S. 8: "We need a next-generation,
forward-looking standard. We don't need simply a new edition of AACR. (...)
These rules are primarily a rearrangement of the rules in AACR2").
Nun will man noch einmal von vorne anfangen, und unter dem neuen Namen RDA
soll alles besser werden. Aber ob die Neufassung die hochgesteckten
Erwartungen tatsaechlich wird erfuellen koennen, muss sich erst noch
zeigen. Schon deshalb sollte es sich eigentlich von selbst verstehen, dass
man sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht auf eine direkte Uebernahme der RDA
festlegen kann.
Hat sich die Situation in Deutschland also wirklich so wesentlich
veraendert? M.E: stehen sich noch immer zwei prinzipielle Ansaetze
gegenueber: Einerseits die "100%-Linie" - also der Wunsch, in Umsetzung der
"reinen Lehre" eine Komplettangleichung an angloamerikanische Regeln zu
erreichen (bisher AACR2, jetzt RDA). Charakteristisch dafuer ist eine eher
theoretische Herangehensweise, wobei auch politische Ueberlegungen eine
Rolle spielen. Frau Siebert hat dafuer den schoenen Ausdruck
"romantisierende Regelwerksideen" gepraegt. Auf der anderen Seite stehen
diejenigen, die statt Perfektionismus eher auf Pragmatismus setzen und sich
moderate Angleichungen wuenschen. Sie waeren auch mit einer
Uebereinstimmung von - sagen wir einmal - 80 % zufrieden. Wozu ich neige,
muss ich hier wohl kaum mehr betonen ;-)
M.E. spricht schon die allgemeine Lebenserfahrung fuer einen pragmatischen
Ansatz:
1. Wir koennen nicht "auf der gruenen Wiese" anfangen, sondern muessen
Ruecksicht auf Bestehendes (= vorhandene Datenbestaende) legen. Dies sehen
uebrigens auch die zitierten amerikanischen Kollegen so, vgl. S. 9:
"Harmony with existing records and catalogs. It is imperative that this be
a functional requirement for AACR3."
2. Egal, wie der weitere Prozess ablaufen wird: Eine 100%-Uebernahme von
RDA (wie auch immer dies am Ende heissen und aussehen wird) ist garantiert
nicht durchzusetzen. Es wird immer Ausnahmen und Zugestaendnisse geben
(nicht nur aus strategischen, sondern auch aus sachlichen Gruenden). Man
denke an die Schweizer Kollegen, die die AACR2 nicht annaehernd 1:1
uebernommen haben.
3. Nach dem Pareto-Prinzip (80:20-Regel) schafft man 80 % der Arbeit mit
nur 20 % des Aufwandes. Fuer die letzten 20 % wuerde man hingegen 80 % des
Aufwandes brauchen - nicht unbedingt wirtschaftlich!
Freilich koennen und muessen wur nun darueber diskutieren, auf welchem Weg
man zu einer solchen pragmatischen Loesung kommen kann. Dass RDA dabei eine
Rolle spielen muss, ist klar. Dass RDA aber bereits die Loesung _ist_, kann
ich derzeit nicht erkennen.
Vielmehr waere es - nach meiner ganz persoenlichen Meinung - auch unter den
jetzigen Rahmenbedingungen immer noch der beste Weg, die RAK
weiterzuentwickeln. Dass diese nicht reformfaehig sein sollten, moechte ich
abstreiten; vielmehr scheint mir, dass die deutsche Regelwerksdiskussion
schon Anfang der 1990er Jahre manches vorweggenommen hat, was heute
"Mainstream" ist. Die Probleme bei der Umsetzung, die es in der Tat gegeben
hat, haben viel mit Strategiewechseln und Entwicklungsbruechen (auch schon
vor dem Nikolausbeschluss!) zu tun, nicht zuletzt auch aufgrund der
zweimaligen Neustrukturierung der Regelwerksgremien 1997 und 2000 (man vgl.
dazu Ursula Hoffmanns immer noch hoechst lesenswerten Beitrag von 2002, S.
875f.: <http://bibliotheksdienst.zlb.de/2002/02_07_04.pdf>).
Natuerlich kann man jetzt nicht einfach das Rad der Zeit zurueckdrehen und
alles ignorieren, was zwischenzeitlich passiert ist. Aber auch wenn man
nicht nahtlos an die RAK2-Entwuerfe anknuepfen kann, so kann man doch von
diesen Vorarbeiten profitieren - ebenso wie von den RFK-Entwuerfen der AG
RAK-Weiterarbeit. Wegweisende Ideen der juengeren Zeit (wozu ich
beispielsweise auch das einheitliche Normdatenformat zaehle) sind in die
Weiterentwicklung zu integrieren. Und natuerlich sollte auch die
RDA-Entwicklung genau verfolgt und nach Moeglichkeit beruecksichtigt
werden. Man mag bei diesem Prozess dann auch zu dem Schluss kommen, dass
das Beibehalten des Names "RAK" fuer die Weiterentwicklung nicht mehr
angemessen waere (wenn
man Namen nicht ohnehin nur fuer Schall und Rauch haelt).
Ein solches Verfahren wuerde es m.E. auch nicht ausschliessen, sich
parallel dazu aktiv mit Stellungnahmen an der RDA-Entwicklung zu
beteiligen. Vielmehr ist eigentlich (wie schon Herr Geisselmann in seiner
Mail vom 24.05. sagte) die Erarbeitung eigener Positionen eine notwendige
Voraussetzung, um den RDA-Prozess sinnvoll mitzugestalten.
Mit freundlichen Gruessen
Heidrun Wiesenmueller
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Heidrun Wiesenmueller M.A.
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