[rak-list] Re: Stabilitaet der Zielsysteme - Umstieg auf internationale Formate und Regelwerke (MARC21, AACR2)

Heidrun Wiesenmueller wiesenmueller at WLB-STUTTGART.DE
Mon Mar 22 08:22:24 CET 2004


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

den Hinweisen von Herrn Eversberg moechte ich mich
anschliessen und noch auf einige weitere Punkte im Stillwater-
Report hinweisen:

1. Das Hauptargument fuer die Stabilitaet von AACR und MARC ist
laut Stillwater die Tatsache, dass es in tausenden von
Bibliothekssystemen und -katalogen angewendet wird und damit "a
significant economic and intellectual commitment on the part of
U.S. libraries" darstelle (S. 1). Mit Verlaub: Genau dasselbe
Argument koennte man fuer RAK und MAB in die Waagschale
werfen, die - zwar nicht in absoluten, wohl aber in relativen Zahlen -
in Deutschland und Oesterreich keine geringere Rolle spielen als
ihre Pendants in den USA.

Mit Blick auf eine moegliche Abloesung von MARC lesen wir weiter
(S. 5): "any proposal to replace MARC would meet with
overwhelming resistance from the library community (erinnert Sie
das an was?), and would be an extremely costly undertaking." Auch
unsere US-KollegInnen gehen also davon aus, dass schon ein
Formatwechsel (vom Regelwerk ist an dieser Stelle gar nicht die
Rede) eine ausgesprochen teure Angelegenheit waere. Interessant,
dass hingegen die Fa. Kienbaum fuer unseren Umstieg auf die
angloamerikanischen Standards nur relativ ertraegliche Kosten
errechnet hat...!

2. Die Qualitaet des flachen MARC-Formats wird von den
amerikanischen Experten durchaus kritisch gesehen (S. 7): MARC
sei "incompatible with current database principles"; auch sei es
"difficult, if not impossible", Datensaetze mit zusaetzlichen
Informationen (z.B. Inhaltsverzeichnissen, Rezensionen) zu
verlinken. Es bestaetigt sich hier erneut die Einschaetzung, dass
MAB (trotz seiner Schwaechen) das modernere und flexiblere
Format ist.

Bemerkenswert ist auch, dass die Lebensdauer von MARC als
recht begrenzt eingeschaetzt wird (S. 12): Manche der Befragten
gehen davon aus, dass es schon binnen fuenf Jahren ersetzt wird,
andere geben dem Format immerhin noch zehn Jahre oder auch
laenger (leider erfaehrt man nicht, wieviele der Befragten sich fuer
welche Option ausgesprochen haben).

3. Die US-Experten beklagen (S. 7), dass die fuer MARC
benoetigte Software "highly specialized" sei. Die Bibliotheken seien
daher bei der Auswahl von Bibliothekssystemen eingeschraenkt
und muessten mit solchen Anbietern vorlieb nehmen, die MARC-
faehige Systeme anbieten. Nanu? Ist der amerikanische Markt
womoeglich gar nicht so gross und vielfaeltig? Zur Erinnerung: Ein
zentrales Argument der Umstiegsbefuerworter lautet, man haette
danach eine groessere Auswahl und mehr Wettbewerb bei der
Software.

4. In keinem Plaedoyer fuer den Umstieg fehlt das vielstrapazierte
Wort von der "Internationalitaet", die man dadurch erreichen
wuerde. Stillwater lehrt uns nun, dass die Amerikaner selbst ihr
Regelwerk keineswegs fuer international, sondern eben fuer
amerikanisch halten - vgl. die Frage im "Interview Guide" (Punkt 2):
"Is it possible that AACR2 will develop into an international code
instead of just an Anglo-American code?"

5. Laut DFG-Antrag sollte auch untersucht werden, "inwieweit
AACR2 und MARC21 beeinflussbar" sind. Stillwater hat dies
ausschliesslich als Beeinflussung durch nicht-bibliothekarische
Standards wie XML interpretiert. Ich haette jedoch (genau wie
Bernhard Eversberg) gerne auch gewusst, wie die Chancen dafuer
stehen, nach einem moeglichen Umstieg deutsche Interessen bei
der Weiterentwicklung von AACR und MARC einzubringen.
Offenbar sehen die US-Experten das deutsche Bibliothekswesen
jedoch nicht als Mitgestalter, sondern nur als Konsument, der
amerikanische Strategien und Entwicklungen uebernehmen soll (S.
13). Merkwuerdig beruehrt hat mich auch die Tatsache, dass die
neuen Katalogisierungstagungen der IFLA nicht erwaehnt werden.
Laut Barbara Tillett koennten diese den Weg zu "zukuenftige(n)
internationale(n) Katalogisierungsregeln" weisen, die "das Beste an
bestehenden Regeln und Katalogisierungsgrundsaetzen in sich
vereinigen".

6. Bei der Darstellung der Ergebnisse (Kurzfassung S. 3 bzw.
ausfuehrlich auf S. 13) nennt Stillwater verschiedene positive
Auswirkungen, die ein Umstieg fuer die deutschen Bibliotheken
haben soll (z.B. vereinfachter Datenaustausch, geringere Kosten,
effektivere Katalogisierung). Woher diese Erkenntnisse kommen,
bleibt unklar: Im Haupttext wird darauf nicht eingegangen, und im
"Interview Guide" gibt es keine Frage, die in diese Richtung zielt.
Da auch jeder Hinweis z.B. auf Datenkonsistenz oder die
Normdatenfrage fehlt, hat wohl kaum eine tiefergehende
Beschaeftigung mit der Problematik stattgefunden. Ich hoffe nicht,
dass hier die alte Regel gilt: "Wes Brot ich ess, ...!"

Fuer den Bericht waren laut DFG-Antrag 46.000 Euro veranschlagt
(was offenbar nicht einmal fuer eine deutsche Uebersetzung
gereicht hat). Insgesamt teile ich den Eindruck von Herrn
Eversberg, dass man wenig Neues erfaehrt - Erlaeuterungen zu
XML oder Dublin Core haette ich in so einem Papier beispielsweise
nicht erwartet.

Schade, dass man die Ergebnisse aus anderen Arbeitspaketen, die
vermutlich ergiebiger waeren, immer noch nicht auf der Homepage
des Projekts nachlesen kann. So gibt es ueber die Auswertung der
Fragebogenaktion m.W. nur eine knappe gedruckte
Zusammenfassung von Luise Hoffmann. Zum Abgleich von Format
und Regelwerk inkl. Beurteilung der Migrationsszenarien hat nur die
ZDB ihre Ergebnisse veroeffentlicht (<http://www.zdb.spk-
berlin.de/zdb_aktuell/aacr2_marc21_zdb.html>).

Mit freundlichen Gruessen
Heidrun Wiesenmueller
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