[rak-list] Struktur!

Thomas Berger ThB at gymel.com
Mon Jan 7 15:57:23 CET 2002


Liebe Disputanten,

die Diskussion der letzten Wochen ueberrascht mich doch sehr:

Zunaechst wurden anhand des Brockhaus-Beispiels im OPAC der 
TU Braunschweig Aussagen ueber RAK bzw. AACR gemacht. Ich
halte das fuer einen bedenklichen Kurzsschluss:
- meiner persoenlichen Meinung nach sind alle real existierenden
  OPACs unzureichend
- von einer speziellen Software, die auf Daten eines speziellen
  Bibliotheksverbunds operiert auf Vorteile oder Defizite des
  zugrundeliegenden Regelwerks zu schliessen, erscheint mir
  sehr verwegen.

[Ob RAK oder AACR jedoch bereits als Regelwerk die Verarbeitung
von Daten behindern, ist hingegen ein wichtiger Punkt, der einer
eher theoretischen Eroerterung bedarf]


Die nun aufgebrandete Diskussion ueber "Authority Control"
halte ich ebenfalls fuer eine Scheindiskussion, da sie
nur an der Oberflaeche kratzt: Die RAK erfordern ganz klar
eine Individualisierung von Personennamen, denn sonst
(Staatsbuergerprinzip, zeitliche Zuordnung, Ansetzung unter
Pseudonymen oder wirklichen Namen, Uebersetzungen und
Transkriptionen von Namen) koennte man nie und nimmer eine 
korrekte Ansetzung bilden! Ob nun ein Regelwerk regeln
muss, ob solche Individualisierende Information in einer
Normdatei gefuehrt wird oder nicht, ist Ansichtssache.
RAK hingegen regelt (scheinbar?) dass die muehsam gewonnene
Information sofort vernichtet werden muss, das ist
verwerflich.


Klar fuer mich ist, dass seit mindestens zehn Jahren
versucht wird (mindestens seit dem Entwurf RAK-Online),
RAK an die Erfordernisse der Zeit anzupassen, den auch
schon viele Jahre zurueckliegenden Entschluss, nicht
Einzelloesungen anzustreben sondern die RAK als ganze
zu modernisieren, habe ich damals begruesst. Aufgrund
von Entwicklungen, die ich nicht durchschaue, ist diese
Modernisierung jedoch nicht schnell genug gewesen so
dass wir nun mit leeren Haenden dastehen: Ausser punktuellen
Veroeffentlichungen (etwa dem HBZ-Vergleich zu den
Koerperschaften) sind mir von 10 Jahren Arbeit keine
Ergebnisse bekannt. D.h. Ergebnisse, die ja auch auf
einer starken Auseinandersetzung mit den AACR2 beruhen,
gibt es vermutlich en masse, sind jedoch nur den beteiligten
Expertinnen und Experten zugaenglich, die RAK an sich
sind jedoch in einem nur noch schwer ertraeglichen
Reformstau. Die beruehmte "Machbarkeitsstudie" muss
sich zunaechst bemuehen, dieses Wissen einzusammeln.


Klar ist auch, dass die Ressourcen beschraenkt sind.
Spaetestens das uebernaechste Regelwerk muss ein internationales
sein. Die "Machbarkeitsstudie" muss herausfinden, ob
es aussichtsreicher ist, die AACR von innen her zu
reformieren (oder gibt es dort keinen Reformbedarf?),
oder ob die Energien sinnvoller eingesetzt werden, 
die RAK zu modernisieren und von dieser Position aus
zu einem internationalen Regelwerk zu konvergieren.


Kernpunkt wird die Frage der Entitaeten sein, also etwa
"was ist eine Koerperschaft?". Diese muessen schleunigst
kompatibel gemacht werden, wobei man durchaus jeweils
feiner sein darf als andere Regelwerke, eventuell auch
groeber, nur schief darf man nicht liegen. Ich sehe fuer
die RAK den Zwang, sich hier schnell und durchaus einseitig
sich den Gepflogenheiten der anderen anzupassen, auch wenn
dies vielen wehtun wird.


Eine andere Sache ist in all den Jahren m.W. nie angesprochen
worden bzw. wird immer als naturgegeben hingenommen: Ich
halte die Verquickung von Regelwerk und Datenformat fuer
kontraproduktiv. Die Angelegenheit ist im Laufe der Jahre noch 
weniger gut durchschaubar geworden, weil sich sowohl Regelwerke
als auch Datenformate nicht mehr nur um "Titel" kuemmern, sondern
auch um zugehoerige Normdaten. Ich habe das Gefuehl, dass
Aenderungen im Regelwerk manchmal deshalb nicht moeglich sind,
weil sie Aenderungen in Datenformaten erfordern und dahinter
stecken andere Gremien und auch noch real existierende,
zumeist veraltete Software. Das kann dann qua Rueckkopplung 
zu einer grossen gegenseitigen Blockade fuehren. Mein
Verdacht ist, dass gerade wegen der groesseren Homogenitaet
in der AACR/MARC-Welt diese Verzahnung noch groesser ist
und Veraenderungen weniger gut moeglich sind.
Weil meiner Meinung nach MAB und MARC ein wesentlich kuerzeres
Leben haben werden als Bibliotheken und sogar ihre Regelwerke,
halte ich es fuer aeusserst wichtig, dass das naechste 
Regelwerk, egal ob es RAK2 oder AACR2 heisst, eine grosse
Klarheit und begriffliche Schaerfe haben muss, d.h. es muss
von Entitaeten, Ansetzungsregeln und Datenmodellen sprechen 
(egal mit welchem Vokabular). Nur dann wird es moeglich sein, 
reale "Transportstrukturen", seien es Zettel, Datenformate
oder Bedienungsanleitungen fuer Normdateien und OPACs, unabhaengig
vom Regelwerk zu aktualisieren und auszutauschen. Und
umgekehrt wird es auch nur dann moeglich sein, Regelwerke
kontinuierlich weiterzuentwickeln und nicht nur sprunghaft
in Hardwarelebenszyklen von Verbundrechenzentren.

viele Gruesse
Thomas Berger



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